Von Daniela Seitz

„Vielleicht sollte ich erwähnen, damit es morgen kein „böses Erwachen“ gibt, dass wir trotz vieler Gemeinsamkeiten einen Unterschied haben. Ich habe einen Sprachfehler. Manchmal mehr, manchmal weniger, anyway, es ist für mich kein Problem, aber auf Anhieb weiß man oft nicht, wie man damit umgehen soll. Also nix bei denken und ausreden lassen.“

Ich maile mit James nun seit drei Monaten. Wir haben uns über ein Dating-Portal kennengelernt und in der dritten E-Mail habe ich ihm ein Spiel vorgeschlagen. Jede Email endet mit einer Frage an den anderen, welche der Fragesteller auch gleichzeitig in seiner E-Mail selbst beantwortet, so, als ob er selbst gefragt worden wäre. Zum Beispiel: „Wie gehst du mit Enttäuschungen um?“, „Was ist dein Lieblingsurlaubsziel?“, „Bist du ein Wandschläfer oder ein Betteinnehmer?“, usw. James ist davon so begeistert, dass er mich teilweise mit drei bis vier Fragen pro E-Mail auf einmal überrennt. Aber deswegen habe ich das Gefühl, ihn bereits in- und auswendig zu kennen, obwohl morgen erst unser erstes Date stattfinden wird. Und das gefällt mir sehr gut. Wir treffen uns zum Mittagessen um zwölf Uhr.

Ein Sprachfehler also. Na da könnte mich ja auch Schlimmeres erwarten. Auch, wenn er bisher nicht einen Ton davon erwähnt hat. Soviel zum In- und Auswendigkennen. Während ich ihm per E-Mail antworte, dass ich mich auch mit Sprachfehler auf morgen freue, ruft meine Freundin Cindy an. Sie möchte den heutigen Freitagabend unbedingt nutzen, um in der Disko auf Männerfang zu gehen. Obwohl mir diese zu laut ist und ich lieber ausgeschlafen zu meinem ersten Date gehen möchte, lasse ich mich überreden. Ausgerechnet heute, denke ich.

Doch Cindy hat kein Glück. Als es ein Uhr morgens ist und sie immer noch keinen Erfolg vorzuweisen hat, deute ich wohl zu verhalten an, dass ich nun gerne nach Hause gehen möchte. Doch sie wechselt lediglich den Raum innerhalb der Lokation, nicht jedoch die Lokation selbst. Zu meinem Unglück entdeckt sie dort zwei Typen, von denen einer voll in ihr Beuteschema passt. Nach langem Sich-Umkreisen und Aneinander-Heranpirschen tanzt Cindy endlich mit ihrer Beute. Und ich mit seinem Freund Christian. Verdammt, was mache ich hier? Christian interessiert mich nicht die Bohne, obwohl er gut aussieht. Als er mir eine Cola spendieren möchte, denke ich mit schlechtem Gewissen an James, nehme die Cola aber trotzdem. Cindy fängt mit ihrem Typen zu knutschen an, direkt neben uns. Es ist irgendwie wie Gruppenzwang. Scheiß drauf, denke ich und lasse mich ebenfalls von Christian küssen.

Plötzlich geht die Musik aus und das Licht an. Ich weiß überhaupt nicht, was los ist, weil ich Diskos so wenig leiden kann, dass ich mich normalerweise um ein Uhr aus dem Staub mache. Wenn man mich überhaupt in die Disko bekommt. Nun bin ich dank Cindys spätem Beutezug aber ernsthaft dort geblieben, bis diese zumacht. Hilfe! Wann soll ich denn noch genug Schlaf bekommen, wenn ich schon um elf Uhr dreißig los muss, um um zwölf Uhr zum Treffen zu erscheinen? Verdammte Cindy. Zu allem Überfluss überfordert Christian mich,  weil er mich direkt wiedersehen will. Ach, was soll`s. Morgen ist Sonntag und da hab ich eh noch nichts vor. Ich mache ein zweites erstes Date aus.

Der Samstag mit James ist sehr lustig. Wir reden, essen und verstehen uns sehr gut. Er bringt mich oft zum Lachen. Einziger Kritikpunkt: Ich bin müde, weil ich nur vier Stunden Schlaf hatte. Zu Gunsten des Schlafes, hab ich mir keine großen Gedanken über das Outfit gemacht und sehr wenig Make-Up aufgelegt. Hat schon seine Vorteile, wenn man sich innerhalb von drei Minuten einfach in ein Lieblingsoutfit schmeißen kann. Jeans und ein schönes körperbetontes T-Shirt. Mein Lieblings T-Shirt, sehr bequem. Und eine Jacke, falls es regnet.

Okay, zweiter Kritikpunkt: Sein Sprachfehler macht sich anfänglich weniger bemerkbar, nimmt aber immer mehr zu, je länger wir zusammen sind. Trotzdem zwinge ich mich geduldig zu sein. Verdammt, ist das anstrengend. Nach dem Essen gehen wir noch spazieren und ich bin froh über die frische Luft, weil sie mir dabei hilft, wach zu bleiben. Scheiß Disko Nacht! Und das Gestotter steigert sich. Unfassbar! Er kann nichts dafür, ich bin einfach erschöpft. Der Stress in meinem Job verträgt sich nicht mit einem Wochenende, indem kein einziger Tag nur für mich vorgesehen ist.

Da bückt er sich, hebt einen schönen Stein auf und will ihn mir schenken. Scheiße, ist das süß! Auch, wenn ich nicht mehr sammle. Früher hatte ich eine Steinsammlung, was er nicht weiß. Okay, erstes Date, denke ich, er ist bestimmt verdammt aufgeregt. Das legt sich hoffentlich bei weiteren Treffen. Und ich will James wiedersehen. Ich nehme den Stein an und freue mich, denn er ist wirklich sehr schön. Ich stecke ihn in die Jackentasche und wir verabschieden uns.

Am Sonntag fahre ich zu Christian. Ich finde keinen nahen Parkplatz und muss daher ein Stück vom Parkplatz zu ihm laufen. Während des Gehens, stecke ich unbewusst meine Hände in die Jackentaschen. Meine linke Hand findet den Stein, den ich samstags in der Jacke vergessen habe. Sofort denke ich an James und habe zum zweiten Mal ein schlechtes Gewissen. Okay, darüber sinniere ich in Ruhe, wenn ich das zweite erste Date hinter mir habe, denke ich und lasse den Stein los.

Die Begrüßung mit Christian ist merkwürdig, da wir beide nicht so genau wissen, auf welcher Base wir uns befinden. Einerseits ist es ein erstes Date, andererseits war durch die Knutscherei in der Disko der Körperkontakt schon da. Ganz schön verzwickt, aber irgendwie einigen wir uns dann auf eine Umarmung zur Begrüßung.

Er fährt uns zum Kino, kauft die Karten und Popcorn. Es läuft „The Happening“. Und irgendwie hat Christian es geschafft, Karten für die englische Originalversion zu kaufen. Mein Englisch ist schlecht. Vom Film werde ich wohl nicht viel verstehen. Ich setzte mich trotzdem. Ich betrachte das einfach als Möglichkeit, mein Englisch zu verbessern. Doch Christian sieht das anders. Sein Englisch ist ebenfalls schlecht. Und er wollte nicht in die englische Originalversion. Daher nötigt er mich, wieder aufzustehen und den Kinosaal zu verlassen, obwohl der Film bereits läuft und wir damit die anderen Kinobesucher stören. Irgendwie ist das Ganze unharmonisch. Schon seit der Begrüßung. War das Wochenende nicht eigentlich zur Erholung vom Job gedacht? Ich glaube nach diesem Wochenende brauche ich ein Wochenende vom Wochenende. Christian klärt seinen Irrtum an der Kasse auf und wir gehen in den Kinosaal mit der deutschen Version. Guter Film. Auf Englisch wäre mir durchaus Einiges entgangen. Als der Film zu Ende ist, ist es schon spät.

Da wir beide am nächsten Tag arbeiten müssen, fahren wir wieder zu ihm nach Hause. Während ich ihm erzähle, welche Ausbildung ich gemacht habe, stellt er fest, dass seine Ex im gleichen Jahr die gleiche Ausbildung gemacht hat. Ich frage nach dem Namen seiner Ex. Und es stellt sich raus, er ist Tonis Ex. Ich verstoße hier gegen keinen Freundinnenkodex oder so was. Toni und ich sind nicht befreundet. Und seitdem wir mit der Ausbildung fertig sind, habe ich auch nichts mehr mit ihr zu tun. Trotzdem gibt mir das den Rest. Ich kann Toni gut leiden und will nichts mit ihrem Ex anfangen. Und trotzdem habe ich schon mit ihm rumgeknutscht. Ich verabschiede mich. Wieder nur eine Umarmung. Es kommt mir vor, als hätte ich das ganze Wochenende keinen Schlaf gehabt.

James meldet sich montags per Email. Keine Psychospielchen. Er schwärmt von unserem Date und von meinen Augen. Überreicht mir eine verbale Blume nach der anderen. Einerseits freue ich mich sehr über seine Email. Aber ich brauche wirklich ein Wochenende vom Wochenende und montags Arbeiten zu gehen, hat das nur schlimmer gemacht. Ich zieh mir die Decke über den Kopf und verkrieche mich fast den Rest der ganzen Woche im Bett, mit der einzigen Ausnahme, dass ich mich brav ins Büro schleppe. Beide Dates waren anstrengend, wenn auch auf unterschiedliche Art und Weise. Und offensichtlich überfordert mich mein Job. Ich will niemanden sehen oder auch nur mit jemandem kommunizieren. Leider ist dienstlich die Hölle los und Cindy hat Liebeskummer, weil ihre Beute sich nie wieder bei ihr gemeldet hat. Daher klappt das mit dem Nicht-Kommunizieren irgendwie nicht und es ist mir zu viel, dem armen James eine kleine Antwort-Email zu schreiben. Er hört fast eine Woche nichts von mir. So, wie ich gar nichts von Christian höre.

Cindy kommt bei mir vorbei und ich erzähle von meinem Wochenende, von meiner Überforderung. Davon, dass ich James wiedersehen will, weil er mich zum Lachen bringt. Er aber trotzdem nichts mehr von mir gehört hat. Davon, dass ich froh bin, dass Christian sich nicht meldet. Cindy wäscht mir nicht nur den Kopf, sie verpasst mir den gehörigsten verbalen Arschtritt meines Lebens. Als ich James nach einer Woche doch noch per E-Mail antworte und mich entschuldige, frage ich mich, ob Cindy nicht eigentlich mit ihrem Beutezug Schuld an meiner Lage ist. Als ich aber einen Tag später eine Antwort-Email von James erhalte und er überhaupt nicht böse ist, sondern überrascht und hocherfreut ein zweites Date vorschlägt, kann ich nicht anders. Ich bin Cindy einfach dankbar für den Arschtritt.

 

Version drei