Von Miklos Muhi

Es ist schon nach Mittag, als er beim Schmalzturm ankommt. Er nimmt sein Handy aus der Tasche und liest noch einmal die E-Mail von HackMeister85 und überprüft das Datum und die Uhrzeit: heute Abend um halb sechs beim Marienbrunnen.

 

Nachdem er sich überzeugt hat, dass ihn niemand sieht, holt er einen Schlüssel, den er mit der Hilfe eines Sputniks erstellt hat, aus seiner Tasche und öffnet die Eingangstür zum Turm. Oben angekommen, packt er seine Golfausrüstung und seine Werkzeuge aus. Es dauert lange, bis alles aufgebaut ist und alles sitzt.

 

Und da kommt er schon. Mittelmäßiger Statur, elegant gekleidet, mit einem riesigen Strauß roter Rosen. Er denkt, dass er genau das braucht. Sie braucht es eher … oder um ganz korrekt zu sein, sie will es haben. Eigentlich braucht niemand dieses Unkraut.

 

Die Verabredung lautet auf halb sechs. Das heißt, dass er um viertel nach fünf schon da ist etwa eine halbe Stunde in der heißen Sonne warten muss, denn sie ist immer zu spät, denn sie meint den Anspruch darauf zu haben, dass man auf sie wartet. So kommt sie genau um viertel vor sechs, kleine Statur, kurzer Rock, hohe Absätze und viel, viel Schminke. Die Bluse ist ein Meisterwerk der Schneiderkunst und kaschiert die viel zu vielen Kilos sehr geschickt.

 

Der Blumenstrauß wird überreicht und der übliche Schwachsinn ausgetauscht. Die Gestik ist eindeutig und für jeden verständlich: er gibt vor, stark und fähig zu sein sie zu beschützen, sie gibt vor, schützenswert und jung zu sein. Der Beobachter kann es auch übersetzen. Er meint: „ich will mit dir ins Bett“ und sie meint: „Mal sehen, ob du meiner wert bist.“

 

Ja, Wert ist wichtig, deshalb geht es als Nächstes zur Terrasse des Gasthofes Mohren – ein sehr gutes und teures Restaurant. Dort werden sie zu dem auf der Terrasse reservierten Tisch geführt. Er weiß, wie man diese Rolle spielt, dass muss man ihm lassen. Die Speisekarten werden überreicht.

 

Sie treffen zügig ihre Wahl und er Bestellt. Geistreiche Konversation folgt, auch bekannt als Feilschen, wie der Beobachter im Gegensatz zu den meisten anderen Menschen das nennt – was gibt es für wie viel, sozusagen. Der Beobachter hört zwar nichts, aber er scheint ein bisschen überrascht zu sein. Die Preise sind vermutlich zu hoch. Der Beobachter lacht leise auf.

 

Als der Kellner die Getränke und die Vorspeisen serviert, steigt die Spannung merklich. Sie ist irgendwie beleidigt und er versucht herauszufinden, was das Problem sein konnte. Er fragt, sie antwortet, aber die Antworten sagen vermutlich nichts aus. Er lässt eine Speisekarte bringen und zeigt ihr eine Seite darin. Sie würdigt die Seite nur eines flüchtigen Blickes und er arbeitet hart daran, sie wieder in Stimmung zu bringen. Der Beobachter lächelt bitter, denn er hat den Fehler gemacht nicht genau zu erraten, welches Getränk sie will. Sie will nichts Konkretes sagen, aber erwartet von ihm das Richtige, was sie braucht … oder genauer gesagt will.

 

Als das Essen kommt, ist die Spannung schon weg, man kann ja den Käufer nicht sofort abspenstig machen. Die Stimmung ist wieder gut und die Bluse wird mit eingeübten Griffen so hergerichtet, dass sie die Vorteile besser zeigt und die Nachteile besser kaschiert. Er mag ganz offensichtlich die Vorteile. Er ist wohl genau so dumm wie die meisten Männer.

 

Der Beobachter langweilt sich, wie jedes Mal, wenn gegessen wird. Es wäre spannender zuzusehen, wie Farbe auf der Wand des benachbarten Reisebüros trocknet oder das Gras im Wildpark wächst.

 

Bevor das Dessert kommt, wenden die beiden den Blick zur Straße vor der Terrasse und es ist wieder Unterhaltung angesagt. Die Details des Deals sind geklärt, selbst wenn so etwas die Meisten nicht als Deal bezeichnen würden. Wenn jetzt nichts passiert …

 

Aber so läuft der Hase zum Glück nicht. Unter dem Schmalzturm zischt eine Gruppe Radfahrer vorbei in Richtung Neue Bergstraße. Sie Tragen den Trainingsanzug des Triathlonsportclubs und … ja, sie trainieren und das offensichtlich nicht zum ersten Mal – das kann man an den Muskeln von weit weg sehen. Sie radeln vor der Terrasse vorbei und holen Schwung, bevor sie die beachtliche Steigung der Neuen Bergstraße in Angriff nehmen.

 

Sie findet natürlich daran Gefallen. Zeigt auf die Radfahrer und erzählt ihm etwas. Dann kichert sie, spricht weiter, aber wendet ihre Augen nicht von den Radfahrern ab. Es dauert nicht lange, bis die Radfahrer zum Kernstück ihres Standtrainings abbiegen und außer Sicht kommen, aber er empfindet das offensichtlich als viel zu lang. Lustlosigkeit macht sich auf seinem Gesicht breit. Er versucht es mit einem Lächeln zu verdecken, aber so etwas funktioniert nie.

 

Der Beobachter nennt diesen Zeitpunkt „High Noon“ – jetzt kann alles passieren. Der Deal steht noch nicht, aber er ist sehr nah. Die Füße werden aber kälter und die Allgemeinen Geschäftsbedingungen, sozusagen, scheinen nicht gerade ideal zu sein. Er wendet seinen Blick zum Gehsteig vor der Terrasse, aber er sieht nichts, sein Blick ist wahrscheinlich leer, wie der eines meditierenden Zen-Mönches. Sie spricht weiter, wie ein Wasserfall, denn sie merkt, was sie angerichtet hat. Wahrscheinlich hat sie blitzschnell das Thema gewechselt und versucht das Geschehene zu vertuschen.

 

Das geht aber nur so lange gut, bis die Gala im Stadttheater endet. Das Stadttheater ist zwar nicht in der Nähe, aber viele kommen zum Hauptplatz oder gehen durch den Hauptplatz zum Parkhaus.

 

Genau so, wie die Gruppe Jugendlicher, die sich aufgeregt unterhalten und vor der Teerasse entlangschlendern. Unter ihnen befinden sich einige junge Frauen, die, wie üblich, sich für die Vorstellung elegant angezogen haben. Nicht die übliche kurze-Rock-hoher-Absatz-Masche, sondern zeitlose Eleganz. Er sieht sie nicht, obwohl die Gruppe vor ihm für eine Minute stehen bleibt.

 

Sie sieht sie aber und ihr Redeschwall verebbt abrupt. Selbst von hier kann der Beobachter sehen, dass sie blass wird und wieder zu reden anfängt, diesmal aber ohne die übliche Bemerke-und-Bewudere-mich-Gestik. Sie ist stinksauer. Sie ist eifersüchtig. Sie erträgt so etwas nicht und er muss für das zufällige Vorbeikommen der Gruppe büßen.

 

An diesem Punkt sichert der Beobachter sein Scharfschützengewehr. Das leise Klicken zerreißt die Stille des Turms. Die letzten Reste der Stille verfliegen als er seine Sachen zusammenpackt. Zuerst kommt das im DarkNet gekaufte Gewehr in die Packung, dann kommt die Packung in die Golfausrüstung und die Golfschläger umgeben es. Schnell wird die Tür unten erreicht und da es draußen still ist, öffnet er die Tür und tritt hinaus. Er schließt die Tür sorgfältig und er kann noch sehen, wie er in seinem Auto vorbeirast. Allein, wie gewünscht.

 

Auf dem Weg nach Hause empfindet der Beobachter ein triumphierendes Machtgefühl, wie ein bestimmter Politiker sagen würde. Er hat schon wieder verhindert, dass jemand von ihr, von dieser verwöhnten Göre, die körperlich zwar über 40, geistlich aber immer noch höchstens 13 ist, ausgenommen wird. Der Beobachter war mit dieser Göre 14 Jahre lang verheiratet und will jedem anderen Mann dieses Schicksal ersparen.

 

Schießen musste er noch nie.

 

Vielleicht sind nicht alle Männer so dumm.

 

Version 3