Von Ronja Post

Fassungslos starrte ich auf die Apfelschorle  vor mir. Was war da gerade passiert? „Hallo?“ Wie von fern nahm ich eine Stimme wahr und erwachte halbwegs aus meiner Trance. Langsam wandte ich Carina den Kopf zu. „Mach mal den Mund wieder zu. Das sieht nicht sonderlich intelligent aus.“ Mechanisch klappte ich ihn zu. „Sofern meine Stimme gerade irgendwie zu deinem Gehirn durchdringt, kannst du mir sagen, was da gerade passiert ist?“ Carina lehnte sich quer über den Tisch und berührte fast meine Nase. Ich versuchte sinnvolle Worte in meinem Kopf zu formen. Doch außer einem großen Durcheinander von Gedanken war da nichts zu finden. Also schüttelte ich nur den Kopf. „Du musst doch irgendwas gemacht haben? Sag mir, was du gemacht hast.  Dich hat gerade der heißeste Typ der Schule nach einem Date gefragt.“ Falls es überhaupt möglich war, hatte sie ihr Gesicht noch weiter in meine Richtung geschoben. „Ich, ich…“, stotterte ich. „Ich hab noch nie ein Wort mit ihm gewechselt.“ Carina legte den Kopf schief und zog ihre schwarz nachgezogenen Augenbrauen hoch. „Ach, und das soll ich dir jetzt glauben?“ „Kannst du dich nicht wieder richtig hinsitzen? Das macht mich nervös, wenn meine Nase fast in deinem Dekolleté steckt.“ Demonstrativ und laut knarzend schob ich den unbequemen Cafeteriaplastikstuhl zurück. Kommentarlos bugsierte sie ihren Körper wieder vom Tisch, aber nicht, ohne mich dabei aus den Augen zu lassen. „Ich versteh es doch selbst nicht“, sagte ich schulterzuckend. „Aber du stehst auf ihn.“ Neckisch grinste sie mich an. „Schließlich triffst du dich nachher mit ihm“ „Ja, das schon, aber ich steh nicht auf ihn. Ich war nur so verdattert, dass ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Er meint das garantiert nicht ernst.“

Fünf Stunden später schloss ich meinen rostigen Drahtesel an den Fahrradständer vor dem Freibad an, wo wir uns verabredet hatten. So langsam war ich doch nervös geworden. Schließlich hatte ich noch nie zuvor ein Date gehabt. Ich war völlig unvorbereitet, obwohl mir Carina während des Matheunterrichts noch alle möglichen Tipps zugeflüstert hatte. Mindestens die Hälfte davon, hatte ich aber schon wieder vergessen. Aber ich habe mir sowieso vorgenommen, möglichst ruhig zu bleiben und keine hohen Erwartungen zu haben. Wahrscheinlich machte er nur einen Scherz mit mir. Aber ich konnte ja das Ganze als Übungsstunde annehmen. Allerdings änderte diese Einstellung trotzdem nichts daran, dass mein Puls mittlerweile so schnell schlug, dass man mich auch gleich hätte einliefern können.

Wie stellte man sich eigentlich nochmal lässig hin? Ein bisschen Coolness sollte ich schon ausstrahlen, wenn er kam. Rücklings lehnte ich mich an die Wand des Kassenhäuschens und stützte meinen rechten Fuß ebenfalls dort ab. Dann kramte ich meine Pilotenbrille aus der Tasche und setzte sie auf. Als ich gerade überlegte, wie ich meine Arme positionieren sollte, bremste quietschend ein Fahrrad vor mir. Vor Schreck verlor ich beinahe das Gleichgewicht, konnte aber gerade noch durch eine starke Hand gehalten werden. „Nicht gleich hinfallen. Das wäre ein schlechter Anfang für unser Date.“ Tom lächelte mich verschmitzt an. Super, gleich blamiert. Verlegen zupfte ich mein geblümtes Kleid zurecht. Nervös lächelte ich ihn an. „Na komm. Ich zahl den Eintritt.“ Er schloss sein Fahrrad direkt neben meinem ab und griff meine Hand. Ein unbekanntes, aber schönes Gefühl durchströmte meinen Körper, welches mich unwillkürlich lächeln ließ. Tom zückte sein Portmonee und kaufte uns zwei Eintrittskarten. „Wo magst du hin? Schatten- oder Sonnenkind?“ „Eindeutig Schatten“, sagte ich. „Sonst schmilzt man ja bei der Hitze.“ Für einen Moment schaute er sich um. Dann steuerte er auf einen Baum auf der Wiese zu, unter welchem noch ein schattiges Plätzchen frei war. Seine Finger umschlossen meine Hand noch immer. Sie fühlten sich stark und warm an. Und ich genoss dieses Gefühl und hätte am liebsten meine Augen geschlossen. Aber dann wäre ich wahrscheinlich gestolpert. Wir erreichten den Baum und er ließ seinen Rucksack fallen. Ich tat es ihm gleich und wollte gerade mein Handtuch herausziehen, doch er schüttelte den Kopf. „Das brauchst du nicht.“ „Nicht?“ „Nö. Ich hab nämlich dieses hier.“ Mit einem Grinsen zog er eine monströse Picknickdecke aus seinem Rucksack. Schwungvoll breitete er sie auf dem Boden aus und bedeutete mir mit einer einladenden Handbewegung, mich zu setzten. Ich kickte meine Flip Flops zur Seite und ließ mich nieder. Er tat es mir gleich, doch zog in der gleichen Bewegung sein T-Shirt aus. Darunter offenbarte sich ein wohlgeformtes Sixpack, welches mir den Atem raubte. Seine sonnengebräunte Haut betonte seinen Körper, an dem sich kein Gramm Fett befand. Ich war nicht fähig, meinen Blick davon abzuwenden. „Gefällt´s dir?“ Frech grinste er mich an. „Ich… wow.“ Mir fehlten die Worte. Sein Grinsen wurde nur noch breiter. „Okay, langsam wird das hier echt komisch“, lachte er. Willst du dir nicht auch deinen Bikini anziehen? Wir sind hier schließlich im Freibad.“ Peinlich berührt schaute ich an mir herunter. Ich fragte mich, warum ich mich darauf eingelassen hatte, ins Freibad zu gehen. Ich hatte nicht gerade den schönsten Körper. Trotzdem zog ich mein Kleid aus. Bedacht darauf, dass möglichst wenig von meinen Fettpölsterchen am Bauch zu sehen waren. Ich bezweifelte, dass mir das sonderlich gut gelang. So sehr konnte ich den Bauch gar nicht einziehen. Er sagte nichts, als ich das Kleid neben mich auf die Decke legte. Neben ihm musste ich aussehen wie ein gemästetes Huhn. Bestimmt fand er mich zu dick. Gleichzeitig fragte ich mich, warum mir das überhaupt etwas ausmachte. Sicherlich sah er gut aus und war bis jetzt auch sehr sympathisch gewesen. Trotzdem konnte ich mir immer noch nicht vorstellen, warum er sich eigentlich hatte mit mir treffen wollen. Schweigend legte ich mich neben ihn auf die Decke und schaute in den wolkenlosen, azurblauen Himmel. Er hatte die Hände hinter seinem Kopf verschränkt und schaute ebenfalls in den Himmel. Plötzlich streckte er seinen Arm aus und deutete nach oben. „Siehst du das?“ Angestrengt schaute ich in den Himmel, aber ich konnte absolut nicht sehen. „Nein, was?“ „Diese endlose Weite.“ Ich schwieg und schaute weiter gen Himmel. Nach einer kurzen Pause sagte er: „Es beeindruckt mich immer wieder. Manchmal könnte ich mir das stundenlang ansehen. Es ist, als ob ich darin versinken würde. Kannst du das verstehen?“ „Ja“, sagte ich, ohne zu wissen, woher ich die Worte nahm. „Es ist nichts und gleichzeitig alles. Und dabei ist es so weit weg. Wir könnten es uns tagelang anschauen, ohne es gänzlich zu durchdringen.“ Er drehte den Kopf in meine Richtung und ich konnte seinen Blick auf mir spüren. Es löste kein unangenehmes Gefühl aus, sondern eher eine unerklärliche Wärme, die meinen Körper durchströmte. „Wow“, sagte er. „Was ist?“ Verwirrt drehte ich ihm den Kopf zu. „Du bist beeindruckend. Es hat noch nie jemand verstanden, was ich damit sagen wollte.“ „Mit der Weite?“, fragte ich. Er nickte. „Weißt du, alle halten mich immer für diesen coolen und supersportlichen Typen. Aber nie versteht jemand, dass ich auch gerne tiefgründige Gespräche führen möchte.“ „Aber du bist du doch beliebt.“ „Mag sein“, sagte er. „Aber diese Menschen verstehen mich nicht. Klar, ist mir Sport auch wichtig, aber es gibt so viele mehr auf dieser Welt, was mir wichtig ist.“ Wir schauten uns in die Augen. Es war, als wenn ich wieder in den Himmel schauen würde. „Kann ich dich was fragen?“, sagte ich. „Natürlich.“ „Warum ich?“ „Was meinst du damit?“ „Warum hast du mich nach einem Date gefragt? Ich meine, es gibt so viele hübschere Mädchen auf der Schule als mich.“ „Es ist mir egal, wie hübsch sie sind. Man kann nicht mit Ihnen reden. Da hilft die Schönheit auch nichts.“ „Trotzdem, du hättest jede fragen können.“ „Aber ich hab dich gefragt. Ich kann dir nicht erklären, warum. Aber ich hab gespürt, dass du anders bist als andere.“ „Aber wie…?“ „Frag nicht so viel.“ Er lächelte und strich mit seiner Hand durch mein Gesicht. Die Stellen, an denen er mich berührte, kribbelten. Ich schloss die Augen und genoss es, seine Finger zu spüren. Ganz sanft bewegte er sie auf meiner Haut. „Und ich dachte immer, du wärst ein Idiot“, flüsterte ich. „Siehst du“, erwiderte er. „Deswegen mag ich dich.“