Von Raina Bodyk                   

Old Smokey sitzt vor seinem Bier und lässt seine flinken Äuglein über die zerlumpten Männer an der grob gezimmerten Theke des ‚White Horse‘ wandern. Er ist klein von Gestalt, der Bart verfilzt, das Haar ungewaschen. Seine Kleidung verdient diese Bezeichnung kaum, Fetzen und Flicken überall. Sein Mantel ist ein Sammelsurium aus dicken Fellen, die er anscheinend selbst zusammengenäht hat.

So unscheinbar und bescheiden sein Aussehen auch sein mag, in seiner Brust klopft ein großes Herz, sein Verstand ist messerscharf. Wilde Geschichten gehen über seine Abenteuer mit Indianern und gefährlichen Tieren um.

Sein umherschweifender Blick bleibt schließlich interessiert an einem jungen Burschen haften, der arg zerrupft und ziemlich verzweifelt aussieht, abgemagert bis auf die Knochen.

„Wieder einer mit dem Kopf voll süßer Träume vom großen Reichtum! Armer Kerl, ob du dem Leben hier oben gewachsen sein wirst?“, murmelt der Alte in sich hinein. Der Junge schaut sich neugierig um und scheint all die neuen, unbekannten Eindrücke gierig in sich aufzusaugen. Wenn einer zum Bezahlen seiner Zeche Goldstaub aus einem Beutel schüttelt, glänzen seine Augen fasziniert und hungrig.

Der Trapper greift entschlossen seinen Humpen Bier, stopft sich seine Pfeife in den Mund und marschiert schnurstracks auf den Neuling zu. Schnappt sich einen Stuhl und bläst seinem Gegenüber erst mal eine ordentliche Wolke seines stinkenden Tabaks ins Gesicht.

„Hey! Bist neu hier, oder? Du siehst aus, als hättest du lange nichts gegessen. Mich nennt man Old Smokey.“

„Guten Abend, Mister Smokey! Ich heiße Dan Hope. Nehmen Sie Platz.“

„Hihi! Mister Smokey! Junge, nur nicht so vornehm! Hier in der Wildnis nützt dir das wenig. Riecht nach Greenhorn!“

Laut ruft er Richtung Theke: „Charly, bring mal zwei ordentliche Steaks, Und du, erzähl, wie bist du hergekommen?“

Dan verschlingt das blutige Fleisch wie ein hungriger Wolf und schildert mit vollem Mund eifrig seine Erlebnisse.

 

„Alles fing mit dem Artikel im ‚Seattle Post-Intelligencer vom 17. Juli 1897‘an. Da war zu lesen:

Gold! Gold! Gold! Gold!
68 Rich Men on the Steamer Portland.‘
(1)   

Stell dir vor, die hatten eine ganze Tonne Gold an Bord! Ich stand mitten in der Menge der Neugierigen an diesem Tag am Hafen. Beim Einlaufen des Dampfers brüllten wir alle im Chor: ‚Zeigt uns das Gold!‘ Die recht armselig aussehenden Kerle auf der Reling packten einfach in ihre Hosentaschen und zogen Nuggets und Goldkörner in allen Größen hervor! In dem Moment wollten alle nur eins – nach Alaska, nach Dawson City!“

„Du offensichtlich auch. Aber besonders gutgelaunt scheinst du nicht zu sein.“

„Ich muss gestehen, es ist so ziemlich alles schiefgegangen, was schiefgehen konnte.“

Old Smokey grinst: „Greenhorn-Schicksal!“

Dan ist nicht beleidigt, stürzt sich lieber auf das zweite Steak und fährt schmatzend fort:

„Die kanadischen Mounties ließen nur die an Bord und über die Grenze, die sich mit tausend Kilo Proviant und Ausrüstung eingedeckt hatten. Niemand hatte davon gewusst.“

„Ja, ich habe davon gehört. Die wollen eine Hungersnot unter euch Glücksrittern verhindern. Wer von euch hat denn jemals Wild gejagt oder solche Temperaturen und Strapazen ausgehalten?“

„Am Chilkoot-Pass schob sich eine endlose Schlange von Männern durch unglaubliche Schneemassen über den steilen Berg. Bei minus 40 °! Viele haben da bereits aufgegeben. Die ganze, umfangreiche Ladung musste rüber geschafft werden. Ich bin wohl vierzigmal rauf und runter. Meine Lunge schmerzte bei jedem Atemzug.

Für den weiteren Weg habe ich mich mit anderen zusammengetan. Wir kauften von vorbeiziehenden Indianern Schlitten und Hunde. Unterwegs haben sich zwei Hunde die Hinterläufe auf dem Eis gebrochen und mussten erschossen werden.

Aber es kam noch schlimmer. Auf dem Yukon trieben wir in reißende Stromschnellen und unser selbst gezimmertes Floß kippte um. Die ganze Ausrüstung und der Proviant waren futsch, die letzten Hunde ertrunken und wir halbtot. Ich hätte niemals gedacht, dass ich das überlebe.“

„Tja, ihr kommt mit hochgestochenen Erwartungen, ohne die geringste Ahnung und jammert dann über Schwierigkeiten. Was habt ihr denn gedacht? Dass ihr bequem hierher schippert und euch nur nach den Nuggets bücken müsst?“

 

Der Digger bemerkt mit innigem Vergnügen, dass der junge Mann tatsächlich errötet wie ein Mädchen. Dan gefällt ihm trotz seiner Naivität sehr. Liegt wohl daran, dass er ihn an seinen verstorbenen Sohn erinnert. Es beeindruckt ihn, dass er nicht aufgegeben hat.

„Du hast ja wohl noch keine Unterkunft. Was hältst du davon, bei mir in meiner Blockhütte zu schlafen? Habe noch einen schönen, warmen Schlafsack übrig.“

Hope willigt nur zu gern ein.

 

Am nächsten Morgen werden sich der Trapper und Dan schnell einig, dass dieser erst mal für ihn in seinem Claim arbeiten soll, um Erfahrung zu sammeln, bevor er selbst einen absteckt.

Dan soll damit beginnen, den Boden mit Feuer aufzutauen.

„Wofür soll das gut sein? Ich dachte, man wäscht das Gold mit großen Pfannen aus dem Fluss“, wundert sich Hope.

„Der Yukon ist noch zugefroren. Wie willst du da schürfen? Wir bereiten alles für unsere Arbeit im Frühjahr vor.“

Und so taut Dan die steinhart gefrorene Erde Stück für Stück auf. Mit Hacke und Spaten schaufelt er die enteiste Schicht weg, entzündet ein neues Feuer in der entstandenen Grube und gräbt so immer tiefer. Es ist harte Knochenarbeit, die sich im Frühjahr auszahlen wird, wenn sie das Gold aus dem gewonnenen Schutt im Fluss auswaschen.

Old Smokey und er werden gute Freunde. Sie sitzen oft dick eingepackt in der Kälte vor der Blockhütte, halten die rissigen Hände über ein loderndes Feuer und beobachten die über ihnen tanzenden Polarlichter mit ihren fantastischen Farbspielen.

Meist erzählt der Alte Geschichten. Geschichten von Männern, die in Mooren versanken, in Bergspalten verschwanden, die vor Gier, Hunger und Einsamkeit wahnsinnig wurden. Von Männern, die die gewaltige Natur mit den unzähligen Bergen, undurchdringlichen Wäldern, gefährlichen Sümpfen und die immer hellen Nächte nicht ertrugen und durchdrehten,

Dans Lieblingserzählungen aber handelten von Goldadern, riesigen Nuggets, die entdeckt wurden. Dann funkeln seine Augen begehrlich.

 

 

An einem stürmischen Märztag macht sich Old Smokey auf, seinen alten Freund Mad Jack zu besuchen.

Jacks Blockhütte wirkt seltsam verlassen. Kein Rauch aus dem Kamin. Keine Schneehaufen rechts und links der nur angelehnten Tür. Der Trapper folgt einer dünnen Blutspur und stößt auf einen erschossenen Grizzly.

Mit einem Gefühl unguter Vorahnung betritt der Alte die Behausung und prallt entsetzt zurück. Auf dem Boden liegt steifgefroren sein Freund, Eis in den grauen Haaren und im Bart. Die tiefe Wunde am linken Bein weist Bissspuren auf. Der riesige Bär muss ihn angegriffen haben und Jack ist verblutet.

Old Smokey wischt eine Träne ab, die ungewollt in seinen Bart tropft.

Der Trapper durchsucht die wenigen Habseligkeiten nach persönlichen Dingen, die er nicht hierlassen möchte. In einer kleinen, unaufgeräumten Schublade findet er einen Umschlag mit seinem Namen, darin ein Zettel, offensichtlich von einer Hand gekritzelt, die das Schreiben nicht gewöhnt war:

„Alter Freund! Jetzt bin ich dir in die ewigen Jagdgründe vorausgegangen. Wenn du irgendwann nachkommst, werden wir zusammen ein schönes Karibusteak verputzen. Ich vermach dir alles, setz dich damit zur Ruhe. Du weißt, wo du suchen musst.“

Der Digger schluckt überwältigt: „I’ll be damned!“ Fast meint er, Jacks Fistelstimme zu hören. Er unterdrückt seine Wehmut. Sie mögen beide keine Sentimentalitäten. Wenn Jack seine Tränen sähe, würde er ihn auslachen.

Er wirft einen letzten Blick auf den Toten, schließt seine starr aufgerissenen Augen und wirft eine Decke über ihn. Dann verriegelt er die Tür, damit sich keine Tiere an ihm zu schaffen machen können. Beerdigen wird er ihn erst können, wenn der Boden aufgetaut sein wird.

 

Zurück in Dawson City überbringt er Dan die traurige Nachricht und fügt hinzu:

„Ich werde mich demnächst nach Forty Miles aufmachen. Um diese Zeit brauche ich dafür ein paar Tage. Jack hat mir sein Gold vererbt, ich werde es zur Bank bringen.“

„Er hat dir seine Ausbeute vererbt?! Ist es viel?“

„Keine Ahnung, ich habe noch nicht nachgesehen. Es liegt noch in seinem Versteck.“

Dan ist ganz aufgeregt, seine Augen glitzern gierig: „Du hast dich nicht vergewissert, ob es noch da ist? Ich glaub‘s nicht! Soll ich dich begleiten? Es könnte gefährlich werden. Du weißt doch, Diebe, Indianer …“

„Ach was, es weiß doch keiner davon. Mach du hier weiter.“

 

Abends spielt Hope wieder einmal Poker im ‚White Horse‘. Die paar kleinen Nuggets, die er beim Graben findet, sind sein Einsatz. Seit er eine Unze Gold gewonnen hat, hat ihn das Fieber in den Klauen. Bei jeder Runde denkt er voller Erwartung: „Jetzt kommen die richtigen Karten, ganz sicher.“

„Könnt ihr mir nicht was leihen? Ihr bekommt es ganz sicher zurück. Ich weiß genau, dass ich heute gewinne. Wartet’s ab!“

„Wer soll dir denn was leihen? Du hast keinen Claim und dein bisschen Lohn ist nicht der Rede wert.“

„Aber in einer Woche werde ich genug Gold haben, um alles zurück zu zahlen.“

„Hast du etwa eine Ader gefunden? Wo ist sie? Ist sie schon eingetragen?“

Dan sonnt sich in der Aufmerksamkeit der Digger. Deutet an, lächelt geheimnisvoll, lässt Anspielungen durchschimmern. Endlich wird er für voll genommen. Jetzt lacht keiner mehr über das Greenhorn!

 

 

Drei Tage später ist Old Smokey unterwegs. Sein erster Weg führt ihn zur Hütte des toten Freundes. Neben ihr wächst eine riesige Tanne, deren Äste schwer vom Schnee herunterhängen. Etwas über Mannshöhe befindet sich ein Astloch im Stamm, verstopft mit Blättern und Moos. Der Digger zieht einen ziemlich schweren Beutel mit Nuggets heraus.

 

Plötzlich ein Schuss.

Tödlich In den Rücken getroffen, sinkt der alte Trapper zu Boden.

 

Kurz darauf zwei weitere Schüsse.

„Er hat zu viel geredet. Ein Greenhorn eben!“

 

 

 

 

  • https://www.echoak.com/2017/07/headlines-spur-klondike-gold-rush/