Von Marie Schumann

Ich saß da und starrte auf die kleine Dose. Die samtene Hülle schimmerte im Licht. Langsam lehnte ich meinen Kopf gegen die Wand und winkelte die Knie an. Zitternd griff ich nach der schmalen Box. Mit einem Klicken sprang sie auf.

Kostbar funkelte die Kette darin. Elegant schlang sich das silberne Band um einen kleinen blutroten Rubin. Wie gelähmt betrachtete ich das Schmuckstück. Edel, rein, wunderschön verpackt. Ein Geschenk meines Mannes für mich. Das würde jeder denken, der es fand.

Jeder.

Außer ich.

Es gab genau drei Dinge, die ihn verrieten. Erstens, es gab keinen Anlass. Er war nicht der Art Mann, der mir einfach so ein wertvolles Präsent kaufen würde. Zweitens, ich hasste Ketten. Ich besaß keine einzige, ich trug sie nicht. Das wusste er.

Drittens…

Ich hörte die Eingangstür krachend ins Schloss fallen.

Klickend schloss ich die Box. Träge stand ich auf und versteckte die Dose wieder in der Sockenkommode.

„Liebling“, rief er: „Ich bin zuhause.“

Ich atmete tief ein und warf einen kurzen Blick in den Spiegel. Wie in Trance strich ich mir eine Strähne zur Seite. Ich hatte nicht geweint. Ich sah genauso aus, wie vorher. Makellose Frisur, perfektes Makeup.

„Liebling?“, er kam zur Tür herein und sah mich mit einem strahlenden Lächeln an: „Da bist du ja.“ Mit einem schnellen Schritt war er bei mir und umarmte mich.

„Willkommen zurück“, brachte ich gerade so heraus. Ein dicker Kloß steckte in meiner Kehle. Meine Stimme klang elendig fremd in meinen Ohren.

Er ließ mich los: „Ist das Essen schon fertig? Ich sterbe vor Hunger.“ Lachend verließ er das Zimmer.

„Nein“, flüsterte ich und traf meinen Blick im Spiegel. Sah ich schon immer so…leer aus?

Der Abend verging rasch. Wir aßen zusammen, gingen zu Bett und dann saßen wir auch schon wieder beim Frühstück.

„Ich fahr heute weg“, sagte ich plötzlich. Die Worte rollten einfach so von meiner Zunge.

„Weg?“, er sah auf: „Wohin?“

„Ich besuche eine Freundin in Brüssel. Du weißt schon, die mit der ich zur Schule gegangen bin.“

„Ah…ja.“

Das war gelogen. Es gab gar keine Freundin in Brüssel. Warum wusste er das nicht?

„Wahrscheinlich komme ich erst übermorgen zurück.“

„Das ist schade, aber immerhin hast du sie schon lange nicht mehr gesehen.“

„…genau. Würdest du mich auf dem Weg zur Arbeit beim Bahnhof absetzen?“

„Natürlich.“

Was tat ich da? Wo wollte ich hin?

Ich packte meinen Koffer und er fuhr mich, wie versprochen, zum Bahnhof.

„Soll ich dich zum Gleis bringen?“

„Nicht nötig, der Zug hat wohl Verspätung.“

Er drückte mir einen Kuss auf die Stirn: „Gute Reise“, und stieg wieder in seinen Mercedes.

„Danke.“ Halbherzig winkte ich ihm zum Abschied.

Schon fuhr er davon.

Sein Wagen verschwand hinter einer Kurve. Einen Augenblick sah ich ihm nach. Sollte ich einfach in den Zug steigen? Das Land verlassen? Ein neues Leben beginnen?

Die Antwort kannte ich bereits.

Ich löste ein Busticket und fuhr den ganzen Weg zurück. Gegenüber unserem Haus gab es ein kleines Bushäuschen. Dort blieb ich und wartete.

Minuten, Stunden vergingen. Die Zeit zerrann ohne, dass ich es wirklich wahrnahm. Die Schatten auf der Straße wurden länger, das Sonnenlicht wich aus dem Grün der Blätter.

Dann fuhr sein Mercedes vor unsere Garage. Dunkel glitzerte die schwarze Farbe im Abendlicht.

Die Beifahrertür öffnete sich und eine junge, rothaarige Frau stieg aus.

„Warte Ruby, lass mich dir helfen“, rief er lachend.

„Ich bin kein Baby, Louis. Ich kann meine Tür selbst öffnen“, kicherte sie fröhlich.

Er lief zu ihr herüber und umarmte sie. Die beiden verschwanden im Inneren des Hauses.

Langsam, ganz langsam erhob ich mich. Meine Schritte trugen mich vor die Haustür. Ich hob die Hand bereit zum Klopfen.

Doch…etwas hielt mich zurück.

Kichern drang durch das dicke Holz nach draußen. Ich lauschte. Die Stimmen klangen sehr dumpf, sie mussten in der Küche sein. Leise schlich ich an der Außenmauer entlang bis zur Küche und spähte durch das kleine Fenster nach drinnen.

Da standen sie.

Eng umschlungen, ihre Lippen aufeinandergepresst. Sie sahen aus, als wären sie im siebten Himmel. Ruckartig machte ich einen Satz rückwärts. Meine Finger drückten sich gegen die Mauer und ich lehnte meinen Kopf gegen den kalten Stein. Eine Schraubzwinge zerdrückte mein Herz. Schmerz brannte in meinen Augen. Ich konnte nicht atmen.

Ich konnte nicht atmen.

Meine Beine gaben nach, ich legte meine Hand auf meinen Mund. Nein. Ich würde nicht weinen.

Nein.

Dann klickte es in meinem Inneren.

Ein Schalter legte sich um. Gefangen in einer Art Trance stand ich auf und verschwand in unserem Keller. Geräuschlos erklomm ich die enge Treppe. Ich hörte, wie sie im Schlafzimmer verschwanden. In unserem Schlafzimmer.

Ich schluckte.

Ohne zu zögern ging ich in die Küche, schloss die Gartentür ab, steckte den Schlüssel ein, verschloss die Eingangstür und nahm auch diesen Schlüssel mit. Dann verschwand ich wieder im Keller. Der große Gaskessel zog mich magisch an. Mit einem schnellen Handgriff drehte ich den Hitzeregler und brach ihn ab. Auch die Kellertür verschloss ich, betätigte die Diebstahlsicherung und lief zurück zu dem Bushäuschen.

Schweigend drückte ich mich in die Schatten. Die Sonne verschwand hinter dem Horizont und alles wurde dunkel.

Es dauerte nicht lange.

Der Gaskessel überhitzte und explodierte. Blutrote Flammen schossen hervor und übernahmen das Haus. Mächtig loderten sie auf und fraßen sich in das Holz. Dicker Rauch erfüllte die Nacht.

Bald hörte man Schreie. Sie beide pochten gegen die Tür, versuchten sie zu öffnen, brüllten, riefen um Hilfe. Die Diebstahlsicherung hatte alle Fenster verriegelt. Die Türen waren abgeschlossen.

Ich saß da und starrte auf die Flammen.

Die Schreie wurden lauter. Hier würde sie keiner hören. Elend langsam erstickten ihre Laute. Ich zog mein Telefon heraus und wählte: 112.

„Hallo? Saphirstraße 9, Nordteil. Hier steht ein Haus in Flammen mit Menschen darin.“

Ich legte auf.

Unbesiegbar wuchs das Feuer höher und höher. Ich verschränkte die Arme. Bald darauf erklangen die Sirenen.

Es gab genau drei Dinge, die ihn verraten hatten.

Erstens es gab keinen Anlass. Zweitens ich hasste Ketten.

Drittens ich hasste Rubine.