Von Eva Fischer

Freitag der Dreizehnte fällt schon mal auf einen Sonntag.

Als ich mir morgens Kaffee kochen wollte, stellte ich fest, dass das Paket leer war. Ich hätte schwören können, ich hätte noch eins in Reserve, doch dem war leider nicht so. Mit einem Glas Mineralwasser spülte ich das Sonntagsbrötchen hinunter. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, mahnte ich mich und zog mir einen Jogginganzug an. Ganz in der Nähe meiner Wohnung ist ein Park. Beim Laufen pumpte ich meine Lungen mit frischer Luft voll, bewunderte das Grün, das an den Bäumen sprießte und summte den Monty Python Song vor mich hin: „Always look on the bright side of life.“ Dann muss ich immer innerlich grinsen und kriege gute Laune. Allerdings nicht lange, denn ich sah die Hundekacke auf dem Weg nicht und erwischte sie beim nächsten Schritt in voller Turnschuh-Breitseite. Nicht, dass Sie denken, ich hätte etwas gegen Hunde, aber erstens gehören sie im Park angeleint und zweitens gibt es überall Stationen mit Plastiktüten für Hundebesitzer, worin sie die übelriechenden Überreste ihrer Lieblinge verschwinden lassen können. Ich schaute mich um, ob ich den Schuldigen haftbar machen und anmeckern konnte, aber der Park war menschenleer. Mit der Scheiße an den Füßen machte das Laufen nun auch nicht mehr richtig Spaß, vor allem, wenn ich daran dachte, dass ich sie gleich aus den Rillen kratzen musste. Natürlich begegnete ich im Treppenhaus unserer Frau Saubermann, die sofort die Nase rümpfte und missbilligend auf die braunen Spuren wies. „Mache ich gleich weg. Schönen Tag noch!“, murmelte ich genervt.

Der Sonntag ist ein arbeitsfreier Tag. Lass dir die Laune von so einem bisschen Hundescheiße nicht vermiesen, sprach ich mir Mut zu, nahm die Schuhe in die Hand und stieg auf Socken die letzten Stufen zu meiner Wohnung hoch.

Ich war fast fertig mit der Schuhreinigung, als das Telefon klingelte. Meine Mutter!

„Peter, ich habe frische Plätzchen gebacken. Hast du keine Lust zum Kaffee heute Nachmittag vorbeizuschauen?“ Lust ist im Zusammenhang mit dem Besuch bei einer Mutter nicht unbedingt das richtige Wort, aber ich dachte an den Duft von Kaffee. Zugegeben die Plätzchen von ihr sind auch nicht schlecht. 

„An welche Uhrzeit hattest du denn so gedacht?“, erkundigte ich mich noch unentschlossen.

„So gegen vier. Ist das für dich ok?“, säuselte sie zuckersüß.

„Und mach dich schick! Wir erwarten auch den Besuch einer Dame.“

Sofort schrillten alle meine Alarmglocken. 

„Wen hast du denn eingeladen? Doch nicht die Nachbarin, die pausenlos alte Dönekes erzählt, die keinen Menschen unter vierzig interessieren!“ 

„Nein, wir haben eine neue Hausbewohnerin. Sie ist ganz entzückend. Sehr hübsch, sehr intelligent, hat einen guten Job als Krankenschwester und ist etwas jünger als du.“

„Mutter! Ich bitte dich, mische dich nicht in mein Leben ein!“ 

Das fehlte mir noch, dass meine Mutter mich verkuppeln wollte, nachdem mich Jana vor einem halben Jahr verlassen hatte. Ich sei humorlos. Mir fehle die Leichtigkeit des Seins, beklagte sie sich und zog zu einem Hans-guck-in-die-Luft, ohne festes Einkommen, geschweige denn Aufstiegschancen, so wie ich sie als Bankangestellter habe. Aber angeblich sei er witzig, unterhaltsam, immer gut drauf. Mal ehrlich, das konnte nur ein Loser und Träumer sein, der bald auf den Boden der Wirklichkeit knallen würde, aber dann stand ich nicht mehr Jana zur Verfügung. Da musste sie sich schon einen Dümmeren suchen. Ich merkte, wie mich Jana noch immer innerlich in Rage brachte, als meine Mutter erneut einen Anlauf nahm: „Aber Junge! Wer redet denn da vom Verkuppeln! Der Besuch verpflichtet dich zu nichts. Guck sie dir an! Wir plaudern ein bisschen, das ist alles. Oder hast du etwas anderes vor?“, fragte sie spitz.

Nein, ich habe nichts vor, außer Hundekacke aus meinen Turnschuhen zu pulen. Das sagte ich natürlich nicht. Fieberhaft suchte ich nach attraktiveren Beschäftigungen. Ich könnte nachmittags eine Tour mit dem Auto machen. Zum Unterbacher See. Mir all die Liebespaare angucken, die Hand in Hand um den See watschelten. 

Ich könnte Ben anrufen und mit ihm ein Bier trinken und über alte Zeiten quatschen. Ach, wie öde!

Ich könnte endlich den Kühlschrank abtauen und von schimmligen Essensresten befreien. Nö, dann doch lieber Plätzchen essen und mir die unbekannte Schöne angucken. 

„Ok. Bis vier dann!“, sagte ich und legte den Hörer auf.

*

Meine Mutter hatte sich aufgehübscht mit ihrer Lieblingsperlenhalskette und ihrem bunt gemusterten Lieblingskleid, das sie angeblich jünger und schlanker macht. Sie wirkte, als hätte sie Stimmungsaufheller geschluckt. Nicht, dass sie sonst ein Kind von Traurigkeit wäre, aber ihre hektischen Flecken am Hals und ihr unnatürliches Lachen verrieten, dass für sie ein aufregendes Meeting bevorstand.

„Setz dich, Junge!“, sagte sie und wies mir einen Platz neben einem weiteren Kaffeegedeck zu.

„Wie geht’s denn so?“

 Wenn ich bei dieser Frage zu einer längeren Antwort ansetze, unterbricht sie mich immer und erzählt selbst von ihren spannenden Treffen mit ihren Freundinnen, also beschränkte ich mich auf ein nichtssagendes „gut“.

„Du siehst so blass aus, Junge. Bekommst du genug Schlaf? Nimmst du auch regelmäßig Mahlzeiten zu dir?“

„Mama! Ich bin zweiundvierzig und keine drei mehr!“, wies ich sie zurecht.

Zum Glück klingelte es und sie tänzelte zur Tür. 

Die Frau, die neben meiner Mutter ins Wohnzimmer trat, entlockte mir ein Wow! Natürlich tonlos. Obwohl man sie nicht im herkömmlichen Sinne als schön bezeichnen konnte, hatte sie eine irre Ausstrahlung. Sie lächelte oder waren es ihre Augen, die lächelten? Ich konnte sie nur wie eine hypnotisierte Schlange anstarren.

„Hi! Ich bin die Petra“, sagte sie und reichte mir die Hand.

Der Name klang in meinen Ohren wie eine Schicksalsmelodie. Unsere gemeinsame Zukunft schwebte wolkengleich vor meinem inneren Auge und ließ mich erröten. 

„Das ist mein Sohn Peter“, half mir meine Mutter aus der Klemme.

Da hörte ich zum ersten Mal ihr betörendes Lachen. Keine Symphonie könnte schöner klingen.

„Des is fei luschtig“, sagte sie und ich beobachtete, wie ihr Busen den Takt dazu schlug. 

„Setzt euch doch!“, dirigierte uns meine Mutter zum Tisch. Sie schüttete Petra eine Tasse Kaffee ein und bot ihr ein Plätzchen an. Petra schloss die Augen als Zeichen höchsten Genusses.

„Hm! Die sin fei köschtlich, Frau Müller. Da müssense mir mol das Rezept gebbe.“ 

Etwas verwirrt über ihren Dialekt biss ich meinerseits in einen Keks. Vielleicht ließ ich es dem Gebäck gegenüber an Aufmerksamkeit und Feingefühl fehlen, denn die rote Marmeladenschicht landete nicht in meinem Mund, sondern auf meiner Krawatte und meinem letzten, weißen Hemd. Die anderen befanden sich in der Reinigung.

Während meine Mutter mich entsetzt anstarrte, und damit vermutlich einen ähnlich dämlichen Gesichtsausdruck wie ich produzierte, explodierte Petra förmlich. Sie lachte und lachte, bis ihr die Tränen liefen.

„Tschuldigung“, murmelte sie kurz, bevor sie erneut ein Lachanfall schüttelte. Und dann geschah das Unerwartete. Ich spürte, wie meine eingerosteten und in Vergessenheit geratenen Lachmuskeln in Bewegung gerieten. Ist Lachen ansteckend? Vermutlich. Jedenfalls spuckte ich die letzten Krümel aus dem Mund und dann ertönte aus den Tiefen meines Körpers ein eher bassähnliches Lachen, was wunderbar zu ihrem Sopran passte. Erleichtert stimmte meine Mutter ein.

Es war so ein beeindruckendes Erlebnis! Mir wurde bewusst, dass ich wohl seit meiner Kindheit nicht mehr gelacht hatte, das Lachen einfach verloren und es noch nicht einmal gemerkt hatte.

Auch mir kamen die Tränen. Tränen der Rührung, Tränen der Freude, Tränen der Befreiung!  

*

Ein Happy End wäre jetzt sicher schön. Peter und Petra geben sich das Ja-Wort und lachen sich durch ihr restliches, glückliches Leben.

Petra entpuppte sich als Laborantin, die kürzlich aus Frankfurt hierhergezogen war. Da hatte sich meine Mutter wohl mit der Krankenschwester verhört. Außerdem wurde Petra mehr vom weiblichen als vom männlichen Geschlecht angezogen. Es war dennoch der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Sie hatte mir das Lachen zurückgegeben und wir erlebten wunderbare Stunden zusammen.

Einmal kochte sie Spaghetti für mich und die Tomatensauce bespritzte die weiße Tapete. Sie hat sich nicht eine Sekunde geärgert, sondern nur gelacht. 

„Das nennt man Tachismus“, prustete sie los.

„Nein, Lebenskunst!“, widersprach ich.

„Oder so!“

 

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