Von Renate Oberrisser

Max lässt seine Boxershorts zu Boden gleiten und geht unter die Dusche. Während einer Ganzkörperanwendung mit kaltem Wasser, lässt er den vergangenen Abend Revue passieren. So etwas ist ihm doch noch nie passiert. Er zupft an seinem Bauch herum, spannt seine Gesäßmuskulatur an und  versucht sich ein Bild über seine körperliche Verfassung zu  machen. Für sein Alter ist er doch in einem Top Zustand. Beim regelmäßigen, umfangreichen Workout Pensum hängt er so einige Jüngere noch spielend ab. Bevor er die Duschkabine verlässt, streift er die Nässe von seinem Körper. Pflegeprodukte können so besser in die Haut einziehen, hat er irgendwo gelesen und trägt ein Q10 Körperöl auf.

 

Max schaufelt sich warmes Wasser ins Gesicht. Er schaut in den Spiegel, streicht Schaum auf und  rasiert sich. Anschließend senkt er den Kopf wieder und spült mit kaltem Wasser nach. Zwischendurch gähnt er und nimmt einen Schluck davon in den Mund. Brr, grrr, grrr, brr.  Der schale Geschmack im Rachen und der Brummschädel lassen sich dadurch nicht vertreiben. Er putzt sich die Zähne, spuckt aus und greift zum Kamm. Dabei betrachtet er sein Spiegelbild eingehender. Wird sein Schopf lichter, grauer? Er fährt sich mit der Hand über das Gesicht und die Augen. Zwischen dem wechselseitigen Aufblasen seiner Wangen klopft er mit dem Handrücken gegen seine Kinnlinie.  Er drückt seine locker geballte Faust von unten ans Kinn und versucht mehrmals, den Mund gegen den Widerstand zu öffnen. Danach streichen seine Ringfinger mit sanftem Druck und in kreisenden Bewegungen um die Augenwinkel. Zum Schluss trägt er eine After Shave Creme auf und trommelt mit kleinen, schnellen Bewegungen ein Retinolserum um seine Augenpartie und auf die Stirn.

‚Soll ich mal wegen einer Beratung bei Dr. Worseg* anrufen?‘, sinniert er vor sich hin.

 

Eingehüllt in seinen Bademantel schlurft er in die Küche, um mit einer Tasse schwarzem Kaffee den letzten Rest an Delirium zu vertreiben. Zum Teufel, an wen hat ihn die Kleine von gestern nur erinnert? Wenn doch der Abend vorher nicht schon etwas alkoholgeschwängert gewesen wäre. Er muss ehest mit Anton reden. Anton, der Heimbringdienst und Überblickbewahrer. Anton, der grenzgeniale Familienzuwachs und beste Freund. Gedankenversunken öffnet Max den von seiner Schwester bestückten Vorratsschrank. Müsli, Trockenfrüchte, Nussmischungen, Leinsamen, Dinkelnudeln, Mehrkornmehl, Reiswaffeln und Bio-Erdbeermarmelade. Alles aus dem Reformhaus. Maria ist immer auf seine ausgewogene Ernährung bedacht. Er nennt ihn den Notfallschrank, gefüllt  mit zum Teil essbaren oder vorrangig länger haltbaren Dingen, vieles nicht so ganz nach seinem Geschmack. Seine Junggesellenküche bietet dagegen eine geradezu stümperhafte Auswahl an jegliche Nahrungsmitteln und Kochutensilien.

 

Ambrosia*, sinniert er, die Götterspeise, das Lebenselixier! Das wäre jetzt gerade recht. Oder vorzugsweise zumindest etwas, dass den Restalkohol vom Vortag neutralisiert. Erbarmungswürdig kaut er auf einer trockenen Reiswaffel herum. Soll er sich sein dürftiges Frühstück mit Marmelade versüßen, überlegt er kurz. Dann fällt ihm ein, dass er vor einer Woche damit seine Krawatte ruinierte und spült mit Mokka nach. Sein latentes Magengeschwür wird sich gegebenenfalls beschweren, mutmaßt er und würgt das dezent-bekömmliche Frühstück runter. Mit einem Schluck Multivitaminpräparat und zwei Kürbiskernölkapseln beendet er sein Morgenritual.

 

Ein Blick auf die Küchenuhr verrät Max, wenn er sich beeilt, kann er Anton und seine Zwerge noch bei der vormittäglichen Leibesertüchtigung am nahegelegenen Spiel- und Sportplatz antreffen. Mit ein paar Jumping Jacks  lockert er sich auf und hofft damit seinen Kreislauf in Schwung zu bringen. Die frühlingsfrische Luft wird ihres dazu beitragen, denkt er noch und hastet übernächtigt davon.

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„Onkel Maaaaax. Schau was ich kann!“

„Paul, schrei nicht so herum. Onkel Max hört und sieht dich auch so. Nein Max, ich weiß nicht wer die Kleine von gestern war.“

„Fang mich doch. Onkel Max. Fang mich doch. Aua. Papa, der Paul hat mich geschubst.“

„Ich komme schon, Süße. Paul, lass Flora in Ruhe, dann spiel ich nachher mit dir noch Fußball. Aber du weißt schon wen ich meine?“

„Klar doch. Die Hübsche, der du gestern einen weinseligen Heiratsantrag machtest, bevor sie dir ein anderer wegschnappt. Komm Flora, wir gehen schaukeln. Dann kann Max mit Paul Fußball spielen.“

„Tor, Tor. Nochmal Onkel Max.“

„Komm Paul, Mama wartet schon zu Hause.“

„Bye-bye Onkel Max.“

„Tschüs ihr Lieben. Und Anton, richte deiner Schwiegermutter aus, ich komme morgen gerne zum Essen, aber nur wenn sie nicht wieder eines ihrer gesundheitsfördernden Spezialmenüs serviert.“ 

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„Manche behaupten Vegan ist das neue Ambrosia, mein Lieber. Aber sei beruhigt, es ist ein köstliches, wenn auch fleischloses Gericht und nicht Vegan. Flexitarisch ist bewusstere und gesündere Ernährung.  Für Jung und Alt. Auch für dich Max. Du ernährst dich alleine meist ja nur von irgendwas.  Und schau nur, wie es Flora und Paul schmeckt“, freut sich Maria über den Appetit ihrer Enkelkinder.

„Ambrosia, das ist ein Allergieauslöser. Eine eingeschleppte Giftpflanze. Vegan, das fehlte mir gerade noch. Maria, die Zwillinge sind viel zu jung und wissen nicht was wirklich schmeckt. Anton, sag doch auch mal was dazu. Ein anständiges Stück Fleisch peppt jedes Sonntagsessen auf.“ Max hofft auf unterstützenden Rückhalt durch Anton.

„Ihr habt beide recht. Ein bisschen hiervon und ein bisschen davon. Aber beim Fleischkonsum solltest du aufpassen. Und Max. Nach deinem Absturz am Freitag schadet dir eine extra Portion leichtere Kost wohl kaum. Außerdem war es in den letzten Wochen im Büro auch sehr stressig für dich. Hast du schon einen Termin beim Hausarzt zum Gesundheits-Check? Oder muss ich einen für dich vereinbaren?“  Anton zückt lachend sein Handy.

„Papperlapapp, stressig,“ lacht Max auf. „Liebe Elisa, da hast du dir ja einen diplomatischen Mann geangelt. Hab ich ein Glück, dass er im Büro nicht so weicheiert. Sonst müsste ich mir das nochmal überlegen mit der Beförderung. Und Anton, begleitest du mich zum Check, damit ich auch sicher hingehe?“

„Onkel Max. Beklage dich nicht. Umsonst hast du Anton nicht zu deinem Stellvertreter gemacht. Und irgendeiner muss ja auf dich aufpassen. Zum Dessert gibt es etwas weniger gesundes. Wer mag Eispalatschinken mit Schlagobers und Schokosauce?“

„Ich.“ „Ich.“ „Ich.“ Mit lautem Durcheinander wird auf dem Tisch Platz gemacht.

 

„Max, kannst du mich morgen nochmal ins Krankenhaus begleiten. Der Arzt möchte den Befund und die weitere Behandlung besprechen. Ich brauch dich. Elisa hat schon genug mit den Kleinen um die Ohren. Da möchte ich nicht zur Last fallen.“

„Aber sicher doch Maria, ich bin für dich da. Du umsorgst mich doch auch immer, Schwesterchen.“ Verstohlen wischt sich Max die Augen. Trotz des Altersunterschiedes  und der verschiedenen Mütter waren er und Maria immer ein Herz und eine Seele. Der Gedanke, dass mit Marias Gesundheit etwas nicht stimmt, liegt ihm schwer im Magen. Sie ist doch noch lange keine 60, grübelt er nach.  Viel zu jung zum Krank sein. Verschweigt sie ihm etwas?

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„Frau Lehermann, wir haben am Telefon schon geklärt, dass wir heute eine Szintigrafie* machen. Ich erkläre Ihnen gleich nochmal die einzelnen Schritte ganz genau.  Wie ich Sie kenne, haben Sie sich noch von verschiedensten Seiten zusätzliche Informationen eingeholt. Die derzeitigen Untersuchungsergebnisse lassen jedoch hoffen …“ Der behandelnde Arzt sieht Maria und Max freundlich an und möchte mit seinen Ausführungen fortfahren. Max starrt ihn mit weit aufgerissenen Augen unverständig an.

„Das ist nicht wahr. Das kann nicht sein. Maria, was hast du? Oh mein Gott, ist mir schlecht“, stöhnt er auf und greift sich an den Oberbauch.

„Max, es ist doch nicht lebensbedrohlich. Ich habe nur Probleme mit der Schilddrüse,“ schluchzt Maria erschrocken auf. Sie war sich sicher, mit Max bei der Erstuntersuchung darüber gesprochen zu haben.

„Schnell. EKG und Blutwerte von Herrn Schubert. Und Schwester Lina, bitte kümmere dich um Frau Lehermann.“

„Alles wird gut, Frau Lehermann. Ihr Bruder ist in den besten Händen“, beruhigt die junge, hübsche  Krankenschwester Maria. „Ich werde gleich nach ihm schauen und sie zu ihm bringen, sobald es möglich ist. Ich gebe Ihnen noch ein Glas Wasser.“

„Danke, Schwester Lina.“

 

„Ah. Daher kenne ich den hübschen Engel. Und Lina? Hast du es dir überlegt, meinen Heiratsantrag vielleicht doch anzunehmen?“

„Hallo Max. Dein Charme funktioniert ja schon wieder! Da kann ich deiner Schwester beruhigt Entwarnung geben.“ Lina setzt sich zu Max ans Bett und nimmt seine Hand in ihre. „Weißt du, wenn ich einige Jahre älter wäre, würde ich deinen Antrag sofort annehmen.“

„Und wenn ich einige Jahre jünger wäre, würde ich nicht locker lassen, bis du JA gesagt hättest.“ Verlegen druckst Max herum. „Du Lina, hast du nicht irgendwie Zugang zu Ambrosia. Du weißt schon, die Götternahrung, die Jugend und Unsterblichkeit verleiht. Das wäre doch zu schön. Es schmeckt mir nämlich so gar nicht, was derzeit alles los ist.“

„Max, Max, Max. Ich würde dir gerne diesen Wunsch erfüllen, aber so ist das Leben nun mal. Zaubern funktioniert da leider nicht.“

„Lina!“

„Ja, Max.“

„Ich hätte da noch einen Wunsch, den du mir leichter erfüllen könntest. Aber nur wenn du wirklich magst.“

„Und der wäre?“

„Sei mein Gast bei meiner Geburtstagsfeier nächste Woche. Ich werde schließlich nur einmal im Leben 75!“

 

 

Dr. Worseg = bekannter Wiener Schönheitschirurg

Ambrosia =  Götternahrung, die ewige Jugend und Unsterblichkeit verleiht (griechische Mythologie)

Ambrosia = Ragweed, Korbblütler aus Nordamerika, Allergieauslöser

Szintigrafie = schmerzfreie und ungefährliche bildgebende nuklearmedizinische Untersuchung mit geringer Strahlenbelastung

 

 

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