Von Martina Zimmermann

Und ich sagte noch: „Pass bloß auf!“ Aber dieser Trottel, was macht er? Passt nicht auf.

Nichts Neues für mich. Dieser blöde Trottel. Ich hatte ihn geheiratet in der Annahme, er könnte sich noch ändern und er würde besonnener werden, mit der Zeit. Aber das war wohl eine falsche Einschätzung von mir.

 

„Paul, jetzt hast du deine Krawatte voller Marmelade. Was denkst du dir eigentlich? Kannst du überhaupt einmal mitdenken? Das wäre ja mal schön und auch etwas ganz Neues!“

Ich konnte mich kaum beherrschen, aber es war immer wieder das gleiche Problem. Paul dachte einfach nicht nach, er reagierte impulsiv.

 

Ich hatte ihm die guten Sachen raus gelegt. Paul sollte zu einem Vorstellungsgespräch. Er war eingeladen worden von einer großen Firma in unserer Nähe. Obwohl Paul trottelig war, so konnte er doch handwerklich einiges mit seinen Händen zaubern. So manches Mal war ich erstaunt und hatte zugegebenermaßen auch Respekt vor seiner Leistung. Kreativ und begeistert, dass war Paul, wenn er sich etwas vornahm, dann wurde es perfekt.

 

In vielen Dingen war er schlicht weg einfältig. Man hätte denken können, dass er nicht sehr gebildet wäre und auch nicht das Meiste zu Stande bringen würde, doch im Handwerklichen, da machte man ihm so schnell nichts vor.

 

Seine Firma, in der er fast dreißig Jahre lang gearbeitet hatte, musste schließen. Paul war arbeitslos geworden und diese Tatsache hatte ihn hart getroffen. Er war ein Mann, er sich nicht damit abfinden konnte nichts zu tun, oder nur Zuhause etwas zu arbeiten. Bestätigung von Außen, die brauchte er  schlichtweg. So manches Mal fragte ich mich, was sollte nur werden, wenn Paul keine neue Arbeit bekommen würde. Ich würde ihn den ganzen Tag am Hals haben, dachte ich. Das wäre es noch. Bei der Überlegung wurde mir schon mulmig zumute. Eigentlich genoss ich mein Leben, so wie es bislang war.

Paul arbeitete und kümmerte sich um den Unterhalt und ich gab das Geld aus. Ich fand, es war eine gute Einteilung und Paul war immer damit zufrieden. Mein Mann hatte keine großen Ansprüche und er war sehr genügsam. Wenn es mir gut ging, dann war er zufrieden und dafür liebte ich ihn.

Zugegeben, dachte ich nicht immer nett über meinen eigenen Mann und ich regte mich oft auf, wenn ihm einmal wieder ein Missgeschick passierte,  aber im Grunde waren wir beiden ein eingespieltes Team.

 

Wir funktionierten gut zusammen und wir ergänzten uns. Ich liebte diese Sanftheit, seine ruhige Art. Wenn er lächelte, dann strahlte er so eine positive Energie aus, sie konnte jeden Raum erwärmen. Es faszinierte mich und er riss mich jedes Mal mit. Egal wie schlecht ich gerade zurecht war.  

 

Ab und zu stelle mir vor, einen selbstbewussten Mann an meiner Seite zu haben. So einen Schönling. Er würde mich in den Schatten stellen und die Frauen würden ihn anhimmeln. Dann würde er sich sehr wahrscheinlich auch mehr fürs andere Geschlecht interessieren und immer mit der Neusten Mode gekleidet sein wollen und für mich wäre nur noch das halbe Budget da, um meine Kleider zu finanzieren. Seine Ansprüche wären deutlich größer und er würde öfter mit wollen in Lokale zum Kaffee, oder zum Essen.

Das wollte Paul selten. Also traf ich mich alleine mit meinen Freundinnen und wir konnten ungestört unsere „Frauenprobleme“ austauschen.

 

Nein, nein, Paul war schon der Richtige für mich. Aber manchmal, da könnte ich ihn.

„Was machen wir denn jetzt“?, fragte er und sah mich mit einen bestürzten Gesicht an.

„Ich habe dir noch gesagt, du sollst aufpassen. Die Marmelade rann an seiner Krawatte herunter. Ich hatte ihm diese Krawatte extra für dieses Vorstellungsgespräch gekauft. Er sollte einen guten Eindruck machen. Nein, er sollte den Besten Eindruck machen. Ich wollte, dass er diese Stelle bekam. Und jetzt, war diese Krawatte voller Marmelade.

 

Paul wollte im Vorbeigehen nur einmal hinein beißen. In dieses köstlich aussehende Gebäck. Er konnte nicht widerstehen und schnell hatte er sich dieses Teilchen vom Teller genommen und als er hinein gebissen hatte, da passierte es auch schon. Flutsch und die Marmelade spritzte förmlich heraus und platzierte sich so, als wenn sie selbstverständlich dort hingehörte, auf die Mitte der Krawatte.

„Oh“, sagte Paul und zog sein Gesicht lang. „Was soll ich jetzt machen?“

Ich versuchte ruhig zu bleiben und überlegte, ob ich es noch schaffen könnte, den Fleck so zu entfernen und die Krawatte zu bügeln, so dass sie wieder tadellos aussah, in kurzer Zeit.

 

Zeit, hatte ich eigentlich überhaupt keine. Paul war im Vorbeigehen, sozusagen auf dem Weg nach draußen an dem Gebäck vorbei gelaufen. Eigentlich sollte er schon im Auto sitzen.

Eilig lief ich zum Schrank und holte eine andere Krawatte heraus.

„Diese geht farblich auch zum Hemd, dann muss es eben so gehen“, sagte ich entschieden, während ich Paul die saubere Krawatte um den Hals band und schaute, dass sie tadellos saß.

Ich küsste ihn schnell auf den Mund.

„Ich drücke dir die Daumen“, sagte ich noch. Dann lief Paul aus dem Haus. Er musste sich beeilen. Hoffentlich klappt es dachte ich. Die Glückskrawatte war dreckig, aber was konnte so eine Krawatte schon ausrichten?

Eigentlich ist jeder selber seines Glückes Schmied, oder? Kann eine Krawatte dafür sorgen, dass sich ein Leben gravierend verändert?  Fragen, die mir niemand beantworten kann. Ich glaubte schon daran, dass Kleider Leute machen, oder wie man kommt gegangen, so wird man empfangen. Das waren Sprichwörter, die schon ihre Bedeutung hatten. Darum glaubte ich auch an die Macht der Kleidung. Jedenfalls zum richtigen Zeitpunkt, dass richtige zu tragen. Genau darum, hatte ich diese Krawatte gekauft. Es wird schon klappen, redete ich mir ein. Schließlich will Paul ja in der Produktion anfangen und nicht im Büro. In der Fertigung, da trägt kein Mensch Krawatte. Die Mitarbeiter tragen bestenfalls alle einheitliche Kleidung. Betriebskleidung, wo jeder sofort sehen kann, dieser Mann ist bei der Firma Müller, oder so, angestellt. Ich persönlich finde es toll.

 

Auch bei der Arbeitskleidung zeigt sich, dass Kleidung schon eine Rolle einnimmt, die nicht unbedeutend ist. Jetzt dachte ich wieder an die Krawatte.

„Warum nur, musste Paul auch in dieses Teilchen beißen“?, rief ich laut voller Zorn. Ich war alleine und doch so nervös. Mir fiel nichts anders ein, als immer wieder an die Macht der Krawatte zu denken. Aber Paul würde durch seine handwerklichen Fähigkeiten überzeugen und nicht durch seine Krawatte. Außerdem hatte er ausgezeichnete Zeugnisse, die alles belegen konnten. Kurz vorher hatte ich ihm noch Tipps gegeben, was er noch sagen könnte, um sich gut darzustellen.

Paul hatte genickt.

„Du schaffst das schon“, hatte ich mit Bestimmtheit in der Stimme zu ihm gesagt. Dabei hatte ich ihn in meinem geistigen Auge vor mir gesehen, wie er dort saß, seinem Chef gegenüber im schicken Anzug, mit der neuen Krawatte.

Und jetzt? Jetzt sitzt er dort ohne neue Krawatte.

Es wird alles gut gehen, redete ich mir ein. Was soll so eine Krawatte aussagen. Nichts antwortet

ich. Paul hat seine Reverenzen und da ist es egal, was er trägt. Oder nicht?

 

Ich versuchte an die Arbeitskleidung zu denken, wo er im Blaumann in der Fertigung steht, mit schmutzigen Händen, natürlich ohne Krawatte. Die bräuchte er ja eh nicht.

Also was machte ich mir für Gedanken? Alles würde gut werden.

Paul würde den Job auch ohne die Neue Krawatte bekommen. Es würde egal sein. Er würde durch sein Können überzeugen und vor dem Chef sitzen und dieser würde ihn anschauen und…..

 

ach du Schande, dann würde der auf die alte Krawatte schauen.

Ich war verzweifelt wie nie. Wie ein Tiger im Käfig, lief ich in der Küche hin und her. Wie lange war Paul schon fort?, fragte ich mich. Es war schon eine Stunde vergangen, ohne dass ich es bemerkt hatte. Meine Gedanken waren so gekreist, alles andere schien an mir vorüber gezogen zu sein. Außer das Problem mit der Krawatte. Die Krawatte, die Krawatte…..

 

Ich hatte selber eine Krawatte, im wahrsten Sinne des Wortes. Warum ließ mich dieses Miststück von Krawatte nicht los? Was wollte sie immer wieder in meinem Kopf? Meine Gedanken kreisten immer um diese Krawatte.

„Nein, nein“, schrie ich. „Reiß dich zusammen, alles wird gut und Paul bekommt den Job und basta!“ Mit bestimmter Tonlage, redete ich es mir selber ein.

 

Ich werde mich jetzt zusammen reißen. Paul wird jeden Augenblick zurück kommen und dann werde ich es wissen. Genau, so wird es sein. Genau, gleich kommt er zurück. Gleich….

 

Die Krawatte, diese Krawatte…

Nein, keine Krawatte, bitte nicht die Krawatte. Ich versuchte an etwas Schönes zu denken. An den letzten Urlaub an der See. Das Wetter war schön und dann kam da wieder diese Krawatte ins Bild.

 

Ich hielt mir die Augen zu. Es war nicht zu glauben. Die Krawatte war überall. Sie schien mich förmlich zu verfolgen.

 

Während ich mir die Hände vor die Augen hielt und immer wieder gebetsmühlenartig betonte, „nicht die Krawatte, nicht die Krawatte“, da vernahm ich eine Stimme.

 

Ich schaute auf und erblickte Paul. Gott sei Dank, dachte ich und ich entspannte mich sofort, als ich sein Lächeln bemerkte.

Gut gelaunt betrat er die Küche.

 

 „Hallo Schatz, es ist prima gelaufen, ich habe den Job“, rief er aufgeregt!

 „Der Chef ist einfach super.“

 Er meinte:

„Bei dem warmen Wetter, brauchen Sie keine Krawatte. Wenn Sie möchten, dann nehmen Sie ihre Krawatte ab und verschaffen sich etwas Luft. Er selber würde keine Krawatten tragen.“

„Eine Krawatte würde im  allgemeinem überbewertet werden.“

 

Ich schaute ihn an, lachte laut und sagte erleichtert:

 „Weißt du was, genau das habe ich mir immer schon gedacht!“

Paul lachte mit, wir fielen uns in die Arme und küssten uns während Paul die Krawatte in den Händen hielt.

 

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