Von Christina Dreisewerd

Betty und Anni saßen die Köpfe zusammengesteckt im Büro und tuschelten über ihren neuen Kollegen, der an seinem Schreibtisch Platz nahm und seine wenigen persönlichen Habseligkeiten neben dem PC-Bildschirm ausbreitete.

„Das ist der Neue aus der Finanzabteilung“, flüsterte Anni.

„Ach, der sieht aber nett aus“, entgegnete Betty, die vorsichtig zu ihren neuen Kollegen hinüber schielte, der aufstand und auf sie zu geschlendert kam. Er strich sich mit der Hand durch das widerspenstig braune Haar und setzte ein perfektes Perlweiß-Grinsen auf.

„Hey, Mädels! Ich bin Peter und werde euch nun unterstützen, damit diese Abteilung hier endlich vernünftig läuft.“

Baff blickten Betty und Anni Peter an, der weiter drauf los plapperte: „Also wenn euch die Arbeit zu viel wird oder sie zu schwer für euch ist, dann kommt zu mir. Bin ja direkt am Tisch nebenan.“
Er lachte über seinen vermeintlichen Witz, dann drehte er sich mit einer arroganten Drehung um und stolzierte zurück zu seinem Platz.

„Was war das?“, fragte Betty.
Ungläubig rieb sie sich die Augen.

„Ich hab keine Ahnung“, antwortete Anni kopfschüttelnd.

 

***

 

Die folgende Arbeitswoche glich einer wahren Katastrophe. Peter mischte sich immer wieder in die Arbeitsabläufe von Betty ein und auch Anni konnte kein Telefonat mehr unkommentiert führen. Er preschte ihr immer ins Gespräch, indem er ihr ständig ins Wort fiel und ihr sagte, dass sie zu undeutlich sprach, oder dass sie die falsche Wortwahl traf.

„Was für ein Vollidiot!“
Fluchend knallte Anni den Telefonhörer auf den Apparat und verschränkte genervt die Arme ineinander.

„Ich hab es doch gesagt. Die richtige Wortwahl am Telefon ist das A und O!“, lachte Peter.
Er erhob sich von seinem Stuhl und trat auf Anni zu. Er beugte sich leicht vor und blickte sie lächelnd an. „Immer schön freundlich bleiben.“

„Also, du bist doch….“ Anni schluckte die aufkommenden Schimpfwörter hinunter.
So etwas hatte sie noch nie erlebt. Sie hatte schon mit etlichen Kollegen und Kolleginnen das Büro geteilt, doch dass einer kam und meinte, dass er der Beste und Tollste sei, das war ihr noch nie passiert.

„Falls du Hilfe brauchst, frag mich doch einfach“, schlug Peter vor.

Ohne Annis Reaktion abzuwarten, wandte er sich von ihr ab und lief eine heitere Melodie pfeifend zum Schrank mit diversen Büromaterialien hinüber.

Mit düsterer Mine beobachtete Anni Peter, wie er einen Aktenordner aus dem Schrank holte: „Na warte mein Freund. Du wirst mich kennenlernen.“

Betty horchte auf: „Was hast du vor?“

„Ich weiß es grad noch nicht, aber mir fällt schon das Passende ein“, antwortete Anni nachdenklich. „Lass dich überraschen!“

 

***

 

Am nächsten Morgen betraten Anni und Betty fröhlich gestimmt das Büro. Anni trug eine Klappbox, in der neben ihrer Handtasche und einer Flasche Mineralwasser auch noch eine blaue Tupperdose und ein Teller Platz gefunden hatten.

„Willst du mir denn nicht verraten, was da drin ist?“, fragte Betty und deutete auf die Dose.

„Dann ist es doch keine Überraschung mehr“, kicherte Anni amüsiert. „Aber eins versprech ich dir, es wird lustig – zumindest für uns.“
Lachend lief sie auf Peter zu, der auf der Kante seines Schreibtisches hockte und laut schmatzend an einem Kaugummi herum kaute.
„Guten Morgen!“, zwitscherte Anni mit einem Grinsen, das von einem Ohr zum anderen reichte.

Betty folgte ihrer Kollegin neugierig. Zu gerne hätte sie schon jetzt gewusst, was sie sich ausgedacht hatte. Doch wie sie Anni kannte, würde sie so lange nichts verraten, bis der entscheidende Augenblick gekommen wäre.

„Na, da seid ihr ja. Hier, ich hab was für euch. Damit ihr nachlesen könnt, wie professionelle Gespräche geführt werden!“, rief Peter ihnen zur Begrüßung zu.
In seinen Händen hielt er zwei Schnellhefter, die er mit Schwung in die Klappbox hineinwarf. Er setzte wieder sein Ich-bin-der-Beste-Lächeln auf und schlenderte erhobenem Hauptes zum Kaffeevollautomaten hinüber.

„Was soll das?“, empörte sich Betty.
Sie griff nach dem Schnellhefter und ihr Blick fiel dabei auf die in fett gedruckte Überschrift „Richtig rüberkommen- erfolgreiche Kommunikation am Telefon und im Kundengespräch“.
Mit finsterer Mine beobachtete Betty, wie Peter den Pappbecher mit frisch aufgebrühten Kaffee entnahm und sich wieder auf dem Weg zurück zu seinem Schreibtisch machte.
„Das meint der doch nicht ernst, was bildet der sich ein?“, zischte sie, als sie die Unterlagen auf ihren Schreibtisch knallte.

„Lass dich nicht ärgern, warte nur ab“, antwortete Anni fröhlich. „Gleich wird es lustig!“
Kichernd öffnete sie die Tupperdose und entnahm drei Berliner. Zwei waren in blauen Servierten eingewickelt, und der dritte lag in einer grünen Servierte. Sie entfernte die farbigen Papiertücher und platzierte die Berliner so auf dem Teller, dass zwei direkt nebeneinander lagen und der Dritte etwas vorgelagert war.

„Peter, ich habe gebacken! Magst du auch etwas haben? Passend zum Kaffee?“, rief Anni im Singsang.

Peter drehte sich um und trat mit einem freudigen Strahlen auf Anni zu. „Oh, gerne! Die sehen aber lecker aus. Und die hast du selbst gemacht?“

Anni nickte: „Meine Spezialität. Die kennt jeder hier im Büro, stimmt´s Betty?“

Betty blickte irritiert auf. Sie hatte keine Ahnung, was Anni vor hatte, aber dass die gesamte Kollegschaft ihre Backkünste kannte, war ihr neu.
„Ja“, antwortete Betty, obwohl sie sich fragte, ob Anni überhaupt backen konnte.

Anni nahm einen der hinteren Berliner und gab diesen Betty, dann nahm sie den vorderen und hielt ihm Peter entgegen, der direkt zugriff. Mit dem letzten Hefeballen in ihrer Hand verkündete sie lautstark: „Ein Berliner am Morgen lässt verschwinden Kummer und Sorgen!“

Kaum hatte sie die Worte zu Ende gebracht, biss Peter beherzt in den Berliner und…
Sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. Seine Wangen blähten sich auf und an seinen Hals traten die Adern hervor. Mit weit aufgerissenen Augen starrte Peter erst Anni, die ihn seelenruhig anblickte, und dann Betty, die mit fragendem Gesichtsausdruck ihn beobachtete, an. Dann schluckte er schwer und fluchte los.

„Vermaledeiter Mist! Was soll das sein? Habt ihr sie noch alle? Ihr seid doch bescheuert! Das ist doch kein Berliner!“

„Was ist los, schmeckt er dir nicht?“, fragte Anni zuckersüß und biss ein Stückchen von ihrem Berliner ab. „Schmeckt doch lecker, oder Betty?“

Betty starrte zu ihrer Kollegin hinüber, die unauffällig auf das Hefegebäck in ihrer Hand deutete.
„Oh, ja! Lecker!“ Betty biss hinein und schmeckte Waldfruchtkonfitüre. „Mhh, Marmelade!“

„Marmelade? Das ist doch keine Marmelade!“, entfuhr es Peter aufgebracht. „Das ist total ekelig!“
Wütend stampfte er auf den Boden auf und blickte sich hechelnd um. Als er die Wasserflasche in der Klappbox entdeckte, griff er ungefragt danach und setzte den Flaschenhals an und trank gierig in großen Schlucken. Anni brach augenblicklich in ein schallerndes Gelächter aus, dass sie sich den Bauch halten musste und die Tränen an ihren Wangen hinab liefen.

„Ach, komm schon! Tabasco und Marmelade ist doch eine tolle Kombination!“, gluckste Anni.

Betty stand planlos neben ihrem Schreibtischstuhl und fragte sich, was gerade passiert war.

„Ihr seid doch zwei fiese Ziegen!“, ärgerte sich Peter, der die Wasserflasche zügig geleert hatte. „Findet ihr das lustig?“

„Die fiesen Ziegen wollten mal dem blöden Bock zeigen, dass er nicht der Tollste und der Beste ist!“, entgegnete Anni und ihre Augen funkelten kampfeslustig auf.

„Genau!“, fügte Betty hinzu. „Vielleicht musst du mal etwas über erfolgreiche Gespräche lesen!“

Peter runzelte die Stirn: „Was meint ihr? Wieso?“

„Schon vergessen? Lektüre für bessere Kommunikation? Bräuchtest jetzt wohl auch, so wie du stotterst“, zischte Anni.

„Aber das war doch nicht meine Idee.“ Peter blickte sie ungläubig an. „Das kam von oben.“

„Wie von oben?“ Betty ließ den Berliner sinken und stellte sich neben Anni.

„Herr Bollmann hat mir gesagt, als ich die Abteilung gewechselt habe, dass ihr wohl Probleme mit Kundengesprächen habt und ich sollte euch ein wenig unter die Arme greifen.“

Anni fiel die Kinnlade hinunter und Betty riss ihre Augen ungläubig auf. Sie konnten nicht glauben, was sie da eben gehört hatten. Schweigend sahen sich die drei an und niemand wusste, wie er das Gespräch fortführen sollte.

„Warum hat er denn nie was gesagt?“, fragte Betty schließlich.

„Das kann ich dir nicht sagen, aber wenn ihr alle neuen Kollegen mit Tabascoberlinern vergrault, dann wundert es mich nicht, dass er nicht persönlich mit euch sprechen wollte.“

Anni lief krebsrot an. Ihr war die gesamte Situation unangenehm und das Schlimmste war, dass sie Peter direkt als Fiesling abgestempelt hatte, obwohl er eigentlich ganz nett zu sein schien. Zumindest kam er gerade extrem freundlich rüber und überhaupt nicht arrogant oder besserwisserisch.

„Ich kann gar nicht backen“, flüsterte sie verlegen. „Hab die Berliner gekauft und in den einen hab ich den Tabasco gespritzt. Tut mir leid.“

„Schon gut, aber das mit der Kommunikation scheint hier ja wirklich ein Problem zu sein. Sonst wäre ich nicht in den Genuss von Tabsacoberlinern gekommen!“, grinste Peter.

Betty, Anni und Peter brachen in ein schallendes Gelächter aus, bis Anni inne hielt und Peter mit ernstem Gesichtsausdruck anblickte: „Ich glaube aber, wir sollten uns drei mal zusammen setzen und reden.“

 

Version II