Von Ingo Pietsch

Karl ging langsam auf die Bushaltestelle zu und setzte sich auf die Bank. 

Sein Herz schlug nach seinem Dauerlauf immer noch sehr schnell.

Er hatte eine Papiertasche neben sich gestellt, die er öffnete und ein Plätzchen herauszog.

Nachdenklich und gestresst biss er ein Stück ab, als die Person, die einen Platz weiter saß, ihn ansprach.

„Sind die selbst gebacken?“, fragte eine ältere Dame interessiert.

„Nein, die sind aus dem Backladen gegenüber vom Zoo, möchten Sie auch eins?“

Sie zögerte einen Moment: „Sind die eher hart oder weich? Meine Zähne machen da nicht mehr so mit.“

Karl hielt ihr die Tüte hin: „Butterweich.“

Die Dame genoss jeden Bissen.

„Sie kommen mir irgendwie bekannt vor.“ Die Dame musterte Karl.

„Ich kenne Sie auch. Sie fahren öfters mit der 555. Ich bin der Busfahrer der Linie.“

Die Dame dachte nach. „Und jetzt warten Sie auf ihren eigenen Bus?“

„Ja, richtig. Ich bin von der vorletzten Station eine Abkürzung hierher gerannt und warte jetzt auf meinen eigenen Bus.“

„Und wer fährt jetzt ihren Bus?“, die Dame war etwas irritiert.

Als hätte Karl nur darauf gewartet, seine Geschichte zu erzählen, drehte er sich zu ihr hin und begann mit einem tiefen Luftholen: „Ich mache jeden Tag meine Frühstückspause im Zoo. Dort parke ich meinen Bus und hole mir immer eine Tüte Erdnussplätzchen. Am Schimpansengehege gibt es diese Aussichtsplattform von der man fast den ganzen Park überblicken kann. Da genieße ich den Morgen, ehe ich weiterfahre. Leider war in den letzten Wochen einer der Affen sehr aufdringlich geworden. Jedes Mal, wenn ich meine Tüte öffnete, sprang er wie wild an der Scheibe des Affenhauses herum und schrie in den höchsten Tönen, dass mir und den anderen Besuchern die Freude verging. Ich suchte mir also einen anderen Platz, damit er mich nicht mehr sehen konnte. Aber irgendwie gelang es ihm, das Gehege zu verlassen und so stand er mit einem Mal plötzlich vor mir. Wir stritten um die Tüte mit den Plätzchen. Als dann ein Plätzchen herausfiel, schnappte er es sich und verschwand in den Büschen. Die Wärter begannen mit der Suche und ich ging zu meinem Bus zurück. Doch der Schimpanse war mir gefolgt und hatte mir dort aufgelauert. Nach einem wilden Gerangel, stand ich vor verschlossenen Türen und der Bus fuhr los. Ich informierte noch den Zoo und machte mich gleich auf den Weg, da ich die Route ja kannte. Die Verstärkung sollte jeden Moment hier sein.“

Die Dame starrte ihn verblüfft an: „Sie behaupten also, dass ein Schimpanse ihren Bus entführt hat und damit einfach so durch die Stadt fährt? Das geht doch überhaupt nicht!“

Karl lehnte sich zurück. „Leider doch. Wenn der Bus erst einmal gestartet wurde, fährt er halbautomatisch, wie ein Zug. So weit ist die Technik schon.“ Karl aß noch ein Plätzchen.

Die Dame lachte: „Also könnte jeder Affe ihren Job übernehmen?“

Karl dachte darüber nach. Das war nicht nett gewesen.

„Es tut mir leid, ich wollte Sie nicht beleidigen. Warum haben Sie denn einen roten Fleck auf ihrer Krawatte?“

„Das ist Ketchup. Es gibt an der Busstation so einen Foodtruck, der hat so leckeres, herzhaftes Fingerfood. Und direkt daneben ist eine Hundeschule. Ich denke, ich habe mit Tieren heute kein Glück. Also, ich gehe mit den Leckereien zu meinem Bus und die Hunde sehen mich, als …“

„Oh, der Bus ist da.“ Die Dame stand auf. „Danke für diese nette Unterhaltung. Im Geschichten erzählen sind Sie einfach unschlagbar.“

Karls Auge zuckte und er biss in ein weiteres Plätzchen. 

Dann folgte er der Dame.

Zischend öffnete sich die Bustür und die Dame wurde unter lautstarkem Gelächter mit Affenkot beworfen.

„Sie! Wie? Igitt!“, stotterte die Dame, die der fliegenden Kacke gerade noch ausgewichen war.

Karl schubste sie zur Seite und hielt die Tüte hoch.

Der Schimpanse sprang heraus und entriss ihm die Plätzchen.

Karl brachte sich und die Dame außer Reichweite des Affen. 

Im Selben Moment tauchten mehrere Polizeifahrzeuge auf, der Affe wurde eingekesselt und betäubt.

„Sie haben tatsächlich die Wahrheit gesagt“, meinte die Dame, als sich alles etwas beruhigt hatte.

„Tja, manchmal hat man halt solche Tage. Ich werde meinen Bus erst mal in die Reinigung bringen oder wollten Sie noch mit?“

Sie blickte zum Bus, aus dessen Richtung ein penetranter Gestank entgegenwehte. „Äh, Danke. Ich nehme lieber den nächsten.“

Karl verabschiedete sich und betrat das Schlachtfeld seines Busses. Er hielt ich die Nase zu und dachte darüber nach den Bus in die Waschanlage zu fahren, blickte zuerst auf die Fahrerkabine und fragte sich, wie er den Bus wohl fahren sollte, als er ein lautes Schnauben vernahm.

Dort stand ein gesatteltes Polizeipferd auf dem Mittelgang und Karl wollte gar nicht wissen, wie es hier rein gekommen war …

 

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