Von Heike Schneck

Da stand er und sah in den Spiegel. “Hätte ich bloß nicht abgebissen.” dachte er. “Iieh, dieser Zucker.” Es hatte ihn in eine andere Dimension geworfen. Früher hatte ihn Zucker orgastisch gemacht. Chef war er gewesen. Sterne-Koch. Aber Desserts hatte er nie gelernt. Daher hatte immer seine Freundin die Desserts gemacht. Und die waren gut gewesen. Sozusagen der Nachtisch vor dem Nachtisch. Da hatte er dann etwas Gewicht zugelegt. Das er sich gerade mühsam abgehungert hatte. Wie er seine Freundin gerade haßte. Sie hatte ihn dazu geführt, seine Diät zu brechen. Was hatte er geschwitzt, um wieder so auszusehen? Morgens 1 h Joggen, jeden Tag Hanteltraining. Aber seine Freundin glaubte, dass Liebe durch den Magen ginge. Und wollte ihn halt gerade zurück haben. Naja, irgendwann waren sie nur noch am Essen gewesen. Da war nix mehr mit Beziehung gewesen. Beide hatten zugenommen und schließlich mußten sie sich eingestehen, dass ihre Anziehung wohl überwiegend körperlich gewesen war. Jedenfalls hatte er sich das eingestanden. Sie wollte weiter von ihm bekocht werden.  Und diese Desserts vermisste er wirklich sehr. Lange Rede, kurzer Sinn. Irgendwann hatte er wieder nachgegeben. Jetzt aß er sogar heimlich die Kekse seiner Freundin weg. Das durfte keiner wissen. Er mußte sogar mal nachbacken. Das hatte er schnell mal gelernt. Wie so vieles, was er schnell lernen konnte. Das war nie so sein Problem gewesen. Eher die Langeweile in der Schule, weil er es schneller konnte. Und so war er halt Koch geworden. Weil seine Noten zu wünschen übrig ließen, als er einfach abschaltete in Englisch, Deutsch und Mathe. Immer diese endlosen Wiederholungen. Und dann mußte man dabei auch noch ruhig sitzen. Naja, er vergaß halt wieder anzuschalten und kam so irgendwann trotzdem nicht mehr mit. Kochen war etwas, das hatte ihn immer fasziniert. Er konnte sein eigenes Feinschmeckeressen zaubern. Das hatte Stil, dachte er. “Die Welt geht zugrunde mit Stil.” dachte er. Während er da so widerwillig die Kekse verschlang, dachte er “Mit Stil hat das nichts mehr zu tun.” “Schau Dich mal im Spiegel an. Marmelade auf deinem Schlips.” “Wie ein Tier hast du gefuttert.” “Überall Puderzucker.” “Den kriegts du wieder weg.” “Aber das mit dem Schlips. Was soll dein Chef sagen?” “ Du hast heute noch einen wichtigen Termin. Da mußt du einen guten Eindruck machen.” “Und ein “Chef” mit Marmelade auf dem Schlips ist dann doch nicht so Vertrauen erweckend.”  Das schlimmste war, er hatte schon Bauchschmerzen. Sein Verdauungssystem vertrug diese Unmassen an süßem Zeug nicht. Gleich würde er wieder stundenlang auf dem Klo hocken. Und er hatte doch so einen wichtigen Termin.  “Dieser Scheiß-Zucker.” dachte er. “Was habe ich mir da bloß eingebrockt.” “Und dann würden seine neuen Hosen morgen nicht mehr passen. Dann würde er wieder wochenlang nichts essen können. Und als Chef weiß man, was gut schmeckt. Wie sollte er das machen, er mußte ja in seinem Beruf sein eigenes gekochtes Essen probieren? Wie sollte er das aushalten? Ja, Diätpläne hatte er sich schon selber gemacht. Lagen alle noch in seiner Schublade. Morgens zur Arbeit joggen mußte er wieder. Als Chef mußte er früh da sein. Das war hart. Er besaß mehrere Größen im Schrank. Seine neuen Hosen würden wohl erstmal darin verschwinden. Er mußte wohl wieder seine großen, wie er dachte, für immer abgelegten Hosen anziehen. Für eine lange Weile. Er aß weiter, obwohl ihm schon schlecht war. Wenn ihn nur seine Freundin jetzt so nicht sah. Sein Bauch rumorte schon. Nein, er würde es nicht hochwürgen. Es würde auch so rauskommen und zwar unten. Jedenfalls hoffte er das. Aber glücklich war er so auch nicht.  Wenn es nur endlich ein Ende hätte. Sollte er  sich nicht vielleicht doch den Finger in den Hals stecken? Schließlich mußte er sich irgendwie erleichtern. Bei dem Gedanken wurde ihm schlecht. Also steckte er sich den nächsten Keks in den Hals. Und hoffte und fürchtete gleichzeitig, es würde gleich hochkommen. Mist, hier würde ihn jeder hören. Dabei wollte er nur stilvoll genießen. “Nie wieder!” dachter er. “Nie wieder Kekse!” Und stopfte sich den nächsten Keks rein. Er hörte, wie jemand reinkam und hielt die Luft an. Vielleicht würde er jetzt zu den Verrückten gehen, die ihm gesagt hatten wie sie es mit dem Essen machten, ohne sich zu quälen. Die konnten ihn verstehen. Und waren irgendwie glücklich. Viel Hoffnung hatte er trotzdem nicht. Dann würde er da halt mal hingehen. Dann war er halt Chef gewesen.

 

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