Von Merisha Hackenberg

Part 1

Stotternd sitze ich da. Obwohl ich mir vorgenommen hatte, dass ich diesmal ganz selbstbewusst sein werde. Ich habe es doch trainiert. Verflixt. Noch mal durchgehen: Gerade Haltung? Check. Nicht mit den Füßen wackeln – nun ja… ab jetzt nicht mehr. Augenkontakt? 

„Frau Stuttmann, ich habe Ihnen eine Frage gestellt. Wenn Sie kein Interesse an dem Job haben, wäre es besser, wenn Sie jetzt gehen. Meine Zeit ist wertvoll.“ 

Mist. Da war ich in Gedanken eben weggetreten. Sofort blicke ich dem Leiter der Portman-Industries in die Augen. Seine Stirn ist gerunzelt, sein Blick streng. „Es…“ Ich räuspere mich und nehme all meinen Mut zusammen „Es tut mir leid. Mir ist gerade nur eine Frage durch den Kopf gegangen.“ Was sage ich da? Eine Frage? Ich habe keine Frage! 

„Ich frage mich nur, wann Sie meine Frage beantworten.“ Glück gehabt. Hätte er jetzt wissen wollen, welche Frage mich beschäftigt… oh Mann, vermutlich hätte ich dann gefragt, wieso er ein 2 x 2 Meter Bild von einem Krapfen in seinem Büro hängen hat. Das hat mich schon beim Eintreten irritiert.

„Ihre Frage. Natürlich. Ab sofort.“ Er schreibt sich eine längere Notiz auf seinen Zettel, welche ich versuche zu entziffern, aber seine Schrift ist zu krakelig. „Vielen Dank. Wir werden uns bei Ihnen melden.“ Er drückt auf einen Knopf und die Tür geht auf. Kurz bin ich fasziniert davon, wie gut das Büro technisch ausgestattet ist, doch dann sehe ich seinen Sekretär in der Tür. 

„Bitte kommen Sie, ich geleite Sie nach draußen.“ Seine Stimme war leise und wenn ich es mir nicht einbilde, voller Angst. 

Ich verabschiede mich mit einem „Auf Wiedersehen“ und folge dem Sekretär. Auf dem Weg zum Parkplatz schweigt er die ganze Zeit. Als ich mich bedanke und verabschiede, höre ich keinen Laut, sehe aber, wie sich seine Lippen zu einem „Tschüss“ formen. 

Ich setze mich in mein Auto und atme tief durch. Die Anspannung fällt ab, doch wird durch ein neues Gefühl ersetzt. Oh, nein,… ich kenne dieses Gefühl nur zu gut. Und schon füllen sich meine Augen mit Wasser. Die Tränen laufen über meine Wangen. „Fuck, fuck, fuck!“ Schreie ich und schlage auf mein Lenkrad. Wieso passiert mir das immer wieder? So bekomme ich doch nie einen Job… Ich lasse mich viel zu leicht unterbuttern. Wie viele Kurse habe ich bereits zum Thema „Wie du tausendprozentig an deinen Traumjob kommst“ gemacht? Zehn? Und ich doofe Ziege bekomme es einfach nicht auf die Reihe, für eine halbe Stunde kompetent zu wirken! Mann, Mann, Mann… 

Andererseits… Ich habe aber auch immer so ein Pech bei den Vorstellungsgesprächen. Es ist ja nicht meine Schuld, wenn die in den Führungspositionen immer so unsympathische Persönlichkeiten sein müssen. Mit denen will man dann auch gar nicht zusammenarbeiten. Gut, dass er direkt beim Vorstellungsgespräch seine wahre Person gezeigt hat, sonst hätte ich es später erfahren müssen. So kann ich mir von vorneherein noch eine angenehme Arbeitsstelle suchen. 

Ich wische mir die Tränen aus den Augen, setze mich gerade hin, schluchze noch ein letztes Mal und fahre davon. 

Part 2

Was steht heute an? Oh nein. Wo ist mein Zettel? Scheiße, scheiße,… – Nein. Peter, „Scheiße“ denkt man nicht. Das hat dir deine Mutter beigebracht. 

Ich blicke auf das Foto auf meinem Schreibtisch. Ja, die Mama… Das Bild von ihr ist wunderschön. Das Kleid… genauso wie ich sie in Erinnerung habe. Das Bild bleibt hier für immer stehen. Ein Küsschen für dich Mama – Mmmhua. Nun gut. Ich begebe mich zurück zur Arbeit. 

Wo war ich? Aha, genau. Was heute alles ansteht, aber ich fand meinen Planer nicht. Ich suche auf dem Tisch, unter dem Tisch, hinter dem Tisch, im Schrank, unter dem Schrank – und tatsächlich dort hat er sich versteckt. Meine Unordnung macht mir das Leben wirklich schwer, das wusste Mama damals schon, als ich noch das Peterchen war. 

Meine Armbanduhr sagt, es ist 8 Uhr 30. Ich schlage den Tag mit dem heutigen Datum (dem 7. August 2011) auf und scanne die Seite. 

9 Uhr: Vorstellungsgespräch

11:30 Uhr: Mittagessen mit Paul

14:00 Uhr: Konferenz 

Wenig zu tun. Aber das Vorstellungsgespräch macht mich nervös. Vorstellungsgespräche machen mich immer nervös. Ich finde es schwierig, den richtigen Grad zwischen Chef und Freund bei solchen Gesprächen zu finden. 

Ich trinke meinen morgendlichen Kaffee und die Zeit vergeht recht schnell. Es klopft. „Herein.“ Timmy, mein Sekretär, lugt um die Türe. Er wispert: „Das (unverständlich) da und (unverständlich) Frau.“ Timmy hat einen Sprachfehler. Bei einem Unfall als Kind wurden seine Stimmbänder verletzt und seitdem kann er nur noch flüsternd sprechen. „Alles klar, Timmy. Schick sie herein.“ Glücklicherweise habe ich die relevanten Wörter verstanden und weiß, was er mir sagen wollte. Die Bewerberin ist da. 

Ich richte meine Krawatte, streiche mir durch die Haare und setze mich gerade hin. Frau Stuttmann, die Bewerberin, tritt ein. Sie wirkt äußerst selbstbewusst. Ihre Präsenz gibt mir beinahe schon das Gefühl, dass ich der Bewerber bin und sie die Chefin. 

Wir führen ein gutes Gespräch, sie gibt klare Antworten und wirkt äußerst interessiert an dem Jobangebot. Zudem bringt sie wertvolle Erfahrungen mit, die uns nützen werden.

„Ab wann könnten Sie denn bei uns anfangen?“ Das ist immer meine letzte Frage. Doch auf einmal weicht ihr Blick ab. Hat sie doch kein Interesse? Überlegt sie, ob sie nun sagen soll, dass sie den Job nicht haben will? Vielleicht hat sie kein Interesse an dem Job, weil sie mich nicht für einen würdigen Chef hält? Ist sie gelangweilt? Vielleicht sollte ich einfach mal ein Machtwort sprechen, um zu zeigen, dass ich kein lascher Chef bin? 

„Frau Stuttmann, ich habe Ihnen eine Frage gestellt. Wenn Sie kein Interesse an dem Job haben, wäre es besser, wenn sie jetzt gehen. Meine Zeit ist wertvoll.“ 

Da kam es schon aus mir heraus. Im Nachhinein frage ich mich, ob das jetzt zu hart war. War es das? Ach, sie wirkt aber nicht eingeschüchtert. 

„Es…“ Sie räuspert sich. Hat wohl etwas im Hals. „Es tut mir leid. Mir ist gerade nur eine Frage durch den Kopf gegangen.“ 

Ach, das passiert mir auch manchmal. Da ist man mitten in einem Gespräch und dann kommt einem eine Frage in den Kopf. Falls es was Privates ist, frage ich besser nicht, um was es geht. Wenn es eine Frage zum Job ist, wird sie bestimmt von selbst damit herausrücken. Gut, aber ich benötige trotzdem noch eine Antwort. Ich versuche es mal mit lustig sein: „Ich frage mich nur, wann Sie meine Frage beantworten.“ Was das jetzt lustig? Sie schmunzelt zumindest leicht.

„Ihre Frage. Natürlich. Ab sofort.“ Die perfekte Antwort. Die Stelle muss wirklich dringend besetzt werden. Damit hat sie die Stelle. Ich schreibe direkt schon mal eine Nachricht für Timmy, dass er ihr Morgen Bescheid geben soll, dass sie den Job hat. Meine Mama hat mir nämlich immer gesagt, dass man die Leute noch zappeln lassen muss, damit sie nicht meinen, dass jeder so einfach an die Stelle kommen würde. So jetzt noch verabschieden und dann kann ich endlich was essen. Mensch, hab ich einen Hunger.

 „Vielen Dank. Wir werden uns bei Ihnen melden.“ Da ist auch schon Timmy und begleitet Frau Stuttmann nach draußen. „Auf Wiedersehen“ sagt sie noch. 

Ach, das lief doch gut. Die war mir sehr sympathisch. „Auf Wiedersehen“ bedeutet ja auch, dass sie mich wiedersehen will, was wiederum bedeutet, dass sie den Job möchte. Gut. Jetzt zum besten Teil des Tages…

Ich hole meine Tupperdose heraus und beginne bereits zu sabbern, bevor die Dose überhaupt offen ist. Mmmm… Mamas Krapfen Rezept. Seitdem sie tot ist, backe ich mir die Krapfen selbst. Jeden Montag gibt es Mamas Krapfen mit Erdbeermarmelade. Ich kann es kaum erwarten, in den wolkig-fluffigen Teig zu beißen. Ich verschlinge die Hälfte des Gebäcks auf einmal, nur beiße ich in die falsche Seite des Krapfens, sodass ein Großteil der Marmelade aus dem Loch gedrückt wird und auf meine Krawatte tropft. „Typisch Peterchen“, wie Mama immer sagte. Ich grinse.