Von Ellen Loeper-Cremer

„Wurde auch Zeit, uns deinen Adonis endlich mal vorzustellen.“ Jule grinst Lara an. „Sehr sportlich. Mit dem kannst du dich sehen lassen.“ Anerkennend zieht sie die Augenbrauen hoch und lehnt sich zu Alexander herüber. „Nimm dir mal ein Beispiel an ihm.“ Ihr Freund beäugt kritisch die Platte mit den erlesenen Köstlichkeiten. „Das sagt gerade die Richtige.“ Dann greift er zielsicher zur Schwarzwälder Kirschtorte und lädt sich in aller Gemütsruhe ein zweites Stück auf den Teller. 

„Ein echter Hingucker, vom Scheitel bis zur Sohle, und diese Stimme – wie Likör“, flötet Lisa.    

Lara bringt ein mühsames Lächeln heraus. Sie ist schon seit über einem Jahr mit Marcel zusammen, seit Wochen drängen ihre Freunde sie, ihn endlich einmal mitzubringen. Viel erzählt hat sie bisher nicht über ihn, hat sich sogar eher rar gemacht in der Runde, seit sie mit ihm zusammen ist. Die Hochzeit eines gemeinsamen Freundes ist eine gute Gelegenheit, Marcel allen vorzustellen. 

„Der ist richtig was für`s Auge, besonders von hinten.“ Jule geckert los wie eine Hyäne. Sie hebt ihr Glas und prostet in die Runde. „Auf Marcel und seinen knackigen Hintern! Und auf die Liebe! Was für ein Jammer, dass er so früh weg musste.“ 

„Auf Marcel“, „Auf die Liebe“,  „Der sieht doch wirklich ganz okay aus“, „Hat ´ne ganz gute Figur, der Typ“, „Ich find´ ihn nett“, tönt es kreuz und quer über den Tisch. 

„Und erst sein Outfit, chic. Ist er auch bei der ACB-International beschäftigt?“ Jule`s Blick wandert von einem zu andern, bleibt lauernd bei Lara hängen.

„Nein. Marcel ist Schauspieler.“ Lara stochert in ihrer Eissplittertorte herum, die sich allmählich in eine milchige Suppe aus Sahne, Vanilleeis und Baiserbröckchen verwandelt. Sie zieht ihre Schultern nach hinten, streckt ihr Kinn nach vorne und blickt in die Runde. „Zwischendurch hat er ab und zu als Werbe-Model gearbeitet. Aber nächste Woche…“ 

Weiter kommt sie nicht. Jule klatscht in die Hände. „Nein wirklich? Ich fass` es nicht!“ Sie verzieht den Mund zu einem süffisanten Grinsen, schiebt sich glucksend etwas von der Mailänder Marzipantorte in den Mund. Alexander schreckt aus seiner Tortenmeditation hoch. „Schauspieler, na so was.“ Schnell widmet er sich wieder seinem mittlerweile dritten Kuchenstück. Lisa und Philipp wechseln verschwörerische Blicke, ihre Mundwinkel zucken. Stefan und Anne zählen die Kuchenkrümel auf ihren Tellern.

 „Also, das ist doch bestimmt ein spannender Beruf?“ Anne beugt sich zu ihrem Freund herüber, gibt ihm einen dezenten Stups in die Seite. „Findest du nicht auch, Stefan?!“ 

„Ja, klar… Schauspieler sind vielseitig verwendbar. Und wenn`s nicht klappt mit der Hollywoodkarriere, kann er ja immer noch als Kellner gehen.“ Grinsend lässt er sich nach hinten gegen die Stuhllehne sinken und blickt siegessicher um sich. Zwei Zornesfalten wachsen zwischen Annes Augenbrauen hervor, ihre dunklen Augen flackern warnend in seine Richtung.

Unvermittelt schlägt sich Philipp mit der Hand gegen die Stirn. „Jetzt weiß ich auch, wo ich den Typen schon mal gesehen habe: in irgendeiner zerfledderten Illustrierten beim Zahnarzt. Hat da für eine alberne Werbung posiert!“ Philipp wirft den Kopf nach hinten und prustet los. „Marcel, das Werbe-Face!“

Jule will sofort detailliertere Informationen. „War denn auch sein knackiger Hintern zu sehen?“

„Ne, der kaute auf einer Reiswaffel rum. Und seine Krawatte war mit Ketchup bekleckert. Ist bestimmt eine große schauspielerische Herausforderung gewesen, so bedröppelt aus der Wäsche zu gucken. Der Typ sollte Komiker werden!“ Phillips Backen fangen an zu beben, er bricht in wieherndes Gelächter aus. Schließlich sinkt er erschöpft in sich zusammen und greift zum Pommery. „Wir haben einen leibhaftigen Künstler kennengelernt, darauf müssen wir anstoßen. Wem darf ich nachschenken?“ 

„Ist sicher auch schwer, als Schauspieler über die Runden zu kommen. Da macht ein zweites Standbein in der Werbung schon Sinn. Er scheint schon was älter zu sein, oder Lara?“.“ Anne blickt fragend zu ihr.

„Das mit der Werbung ist jetzt endgültig vorbei.“ Wie in Zeitlupe führt Lara ihre Serviette zum Mund, tupft sich die Schweißperlen von der Oberlippe. Ihre Hand zittert unmerklich. Doch bevor sie weiterreden kann, fährt Jule wieder dazwischen. „Ich glaube es einfach nicht: ein Ketchup-Model!“ Sie lacht schallend auf, schwenkt ihr Champagnerglas und blickt dann kopfschüttelnd in die perlende Flüssigkeit, als suchte sie darin eine tiefere Wahrheit.  

„Also ich fand den Typ echt witzig.“ Alexander wischt sich die letzten Kuchenkrümel vom Mund und blickt zufrieden in die Runde. „Und Schauspieler werden doch immer gesucht. Denke ich jedenfalls. Bei den Massen an Sendungen, die heutzutage über die Bildschirme flimmern.“ 

„Vor allem Ketchup-Models!“, platzt es aus Jule heraus. „Da ist echtes Talent gefragt!“ Ihr Hyänengeckern schraubt sich in schrille Höhen, gewinnt die akustische Hoheit über die Festtagstafel. „Und wenn er seinen ersten Oscar gewonnen hat, nimmst du uns alle mit auf die After-Oscar Party von Elton John! Da wollte ich immer schon mal hin. Die steht ganz oben auf meiner Liste.“ Sie japst nach Luft, fächert sich mit der Serviette Luft zu. 

Jetzt brechen auch bei Philipp, Stefan, Lisa und Alexander die Dämme. „Ich freu mich schon auf George Clooney!“, „Elton schenkt mir sicher `ne coole Brille!“, „Ich lass mir meinen Arm von Rihanna signieren!“ Das Glucksen und Kichern nimmt Fahrt auf. Es entbrennt ein Wettkampf um immer absurdere Oscar-Fantasien. Schallendes, schenkel- und tischklopfendes Gelächter schwillt an, schwillt ab, schwillt wieder an, will kein Ende nehmen.

Anne kämpft mit sich, griemelt verlegen hinter ihrer Serviette und schielt immer wieder zu Lara herüber. „Ich glaube, wir haben alle ein bisschen zu viel Pommery getrunken. Schade, dass dein Freund so früh gehen musste. Der kennt doch bestimmt ein paar Leute aus dem Fernsehen?! Hast du schon welche kennen gelernt?“

„Mit Gossip-Trash kann ich leider nicht dienen!“ Lara feuert ihre Kuchengabel samt Serviette in die lauwarme Eissuppe. Eine feine Gischt aus Zuckerwasser, Tortenkrümeln und Baiserklümpchen spritzt quer über den Tisch und hinterlässt bunte Muster und feine Reliefs auf Seidenkrawatten und Designerblusen. Schlagartig herrscht Ruhe. „Na Philipp, jetzt bekommt deine Krawatte endlich das finale Design verpasst. Oder hast du dich etwa bekleckert? Das sieht sooo lustig aus. Zum Totlachen, oder? Und Jule, guck doch mal, die rosa Teigbröckchen auf deiner Bluse. Echt chic. Versuch dein Glück doch mal als Torten-Model, wenn`s mit der Bankerkarriere nicht weiter vorangeht.“ Betont langsam streift sich Jule die Kuchenreste von der Bluse und fixiert Lara. „Nun hab dich mal nicht so. War doch nur Spaß.“  

 „Ich muss mir mal die Nase pudern.“ Abrupt steht Lara auf und kehrt der verdatterten Runde den Rücken. „Warte, ich geh` mit.“ Anne blickt achselzuckend zu ihren Freunden und folgt ihr.

Am Tisch ist man sich schnell einig. „Was für eine Spaßbremse.“ „Und wie! Die soll sich mal nicht so anstellen.“ „Der Kerl ist doch ein Loser. Aber irgendwie scheinen die zwei sich ja was zu geben.“ „Genau, passt doch: arbeitsloser Schauspieler und Bankerin. Ein Gehalt ist wenigstens sicher.“ Phillip grinst breit, zustimmendes Gelächter von allen Seiten.

„Hier ist ja eine Bombenstimmung! Ihr scheint euch ja prächtig zu amüsieren.“ Melanie, Laras Schwester, setzt sich auf einen freien Stuhl und guckt alle erwartungsvoll an. 

Jule fackelt nicht lange. „Wusstest du, dass der Freund deiner Schwester Schauspieler ist?! Im Ernst, wie konnte sie nur an den geraten? So eine brotlose Kunst. Da verdient ja ein Klempner mehr.“

„Klar wusste ich das. Und wieso brotlos. Marcel ist gerade sehr gefragt. Weniger in Deutschland, eher in Amerika. Hat sie euch das denn nicht erzählt?“

Ungläubige Blicke fliegen hin und her. „Erfolgreich? Vielleicht als Ketchup-Model.“ Jule’s Lachen klingt hohl. Die anderen starren Melanie an. 

„Äußerst erfolgreich sogar. Er war in `Game of Thrones` dabei. Jetzt hat ihn Roland Emmerich für seinen nächsten Film als Hauptrolle gecastet.“ 

„Ach, du erzählst uns doch nur Märchen.“ Jule winkt ab, ihre Augen verengen sich zu Schlitzen. „Lara und der Hollywoodstar … einfach lächerlich!“ Sie blickt ihre Freunde an. Die sitzen nur da, stumm wie Steine.

„Nein, im Ernst. Kommende Woche fliegen er und Lara nach L.A., um alles klar zu machen. Emmerich gewinnt in der Woche vielleicht sogar einen Oscar. Jedenfalls ist er nominiert. Und danach – ihr glaubt es nicht, wohin er die beiden mitnimmt: zur legendären After-Oscar Party von Elton John!

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