Von Klaus-Dieter Oettrich

Vor einem Jahr verstarb plötzlich Petras Vater. Im Alter von 28 Jahren übernahm sie als alleinige Geschäftsführerin die Firma, welche 1948 in Reutlingen bei Stuttgart von ihrem Vater gegründet wurde. Das Unternehmen arbeitete bis vor drei Jahr  mit 1400 Mitarbeiter/innen und sieben Geschäftsleiter (Finanzen, Personal, Produktentwicklung, Produktion. Vertrieb national, Vertrieb international, Einkauf) erfolgreich als Zulieferer der Automobilindustrie.

Die bildhübsche Petra, mit ihren langen schwarzen Haaren, den leicht geröteten Wangen auf ihrer hellen Gesichtshaut und mit ihren Idealmaßen 90 – 60 – 90 studierte, so wie ihr Vater es wollte,  BWL und promovierte. Ihr Spitzname war Schneewittchen.

Schon während ihrer Schul- und Studienzeit hatte sie mehrere Angebote von Modellagenturen erhalten. Aber ihr Vater war dagegen.

 

Petra wurde von ihrem Vater streng erzogen mit dem Ziel, dass sie später das Unternehmen leiten sollte. Ihre Mutter verstarb, als Petra zwei Jahre alt war. Die Haushälterin Maria wurde ihre Ersatzmutter. Für die Erziehung war der Vater zuständig. Das einzige was Petra neben der Schule tun durfte, war Handball spielen. Schon mit 16 Jahren spielte sie in der ersten Mannschaft des TSG Reutlingen. Ihr Vater bekam sogar einen Anruf vom  Bundestrainer im Bezug auf die Berufung in die Nationalmannschaft. Er lehnte ab, da seine Tochter dazu keine Zeit hätte. Nach dem Abi solle sie studieren und danach im Unternehmen in der Geschäftsleitung tätig werden.

Der Vater war aber nicht nur streng, sondern konnte auch großzügig sein. So bekam sie z.B. zu ihrem 18. Geburtstag einen roten englischen Roadster TR4 IRS geschenkt.

In der Schule hatte Petra keinen festen Freund. Ihr Vater war der Meinung, dies hätte noch Zeit bis sie ihr Studium beendet hätte. Aber in der Uni in England hatte sie einen Freund, mit dem sie auch Geschlechtsverkehr hatte.

 

Schon während ihres Studiums nahm der Vater seine Tochter mit in das Unternehmen. Jedes mal wurde ein Rundgang durch den Betrieb unternommen. Natürlich bemerkte Petra die interessierten Blicke der Angestellten und Arbeiter. Einmal hörte sie in der Lagerhalle wie sich zwei Arbeiter unterhielten: „Isch des die Neue vom Chef?“ Worauf der andere antwortete: „Du Bachel, des isch sai Tochter.“

Nach dem Rundgang teilte ihr Vater jedes Mal in der Führungsetage voller Stolz und mit einem verschmitzten Lächeln mit: „Dies wird dein Büro sein, Frau Doktor.“ Bei sehr guter Laune fügte er noch dazu: „Dein Königreich, liebes Schneewittchen.“ Petra hörte es nicht gerne, wenn ihr Vater ihren Spitznamen zu ihr sagte. „Du weißt doch, dass ich keine rote Äpfel mag,“ erwiderte sie dann.

 

Vor drei Jahren erklärte der Vater seiner Tochter: „Petra die Geschäfte gehen nicht mehr so gut wie früher. Zwei sehr wichtige Kunden sind abgesprungen und dies auch noch in einer allgemeinen Wirtschaftskrise. Du musst dir aber keine Sorgen machen. Ich habe in der Schweiz einige Millionen Schweizer Franken gebunkert. Worauf ich nun besonderes achte, dass die Arbeitsplätze erhalten bleiben. Ja, ich bin auch sozial eingestellt.“

„Ganz ehrlich Vater, dies hätte ich nicht gedacht.“

 

Petra übernahm nach dem Tod ihres Vaters dessen Büroräume.

Nun saß sie alleine in dem großen Büro. Immer wieder dachte Petra an ihren Vater. Er hatte sie  schon eingelernt in die Aufgaben eines Geschäftsführers. Aber bei einigen Entscheidungen war sie sehr verunsichert.

Die Geschäftsentwicklung wurde immer schlechter. Jeden Tag hatte sie Gespräche mit den Geschäftsleitern. Es handelte sich hauptsächlich darum, wie Kosten eingespart werden konnten, aber auch sogleich wieder den Umsatz zu steigern.

Petra war bei den Geschäftsleitern sowie bei den Mitarbeitern/innen sehr beliebt.

Die roten Zahlen brachte sie aber zur Verzweiflung. Ihr wurden viele Ratschläge gegeben. Doch entscheiden mußte sie selber. Immer wieder setzte sie sich in den Relaxsessel. Eine Depression jagte die andere. Ihr blieb wohl keine andere Wahl, entweder musste sie Teile des Unternehmens verkaufen oder Insolvenz anmelden.     

Wie ihr Vater arbeitete sie täglich über 12 Stunden und das meist auch am Samstag und Sonntag. Für Freizeit blieb wenig Zeit übrig. Ihr Leben wurde geprägt vom Unternehmen. Sie sagte sich oft: Ich werde gelebt.

 

Ungefähr alle 14 Tage rief Yang aus Peking an. Sie lernten sie auf der IAA  in Frankfurt kennen. Der Vater von Yang war langjähriger Kunde. Yang sollte später den Betrieb seines Vaters übernehmen. Seine Mutter war Deutsche. Yang war also eine chinesisch/deutsche Mischung. Hatte blaue Augen und schwarze Haare und einen asiatischen Gesichtsausdruck. Er war so alt wie Petra. Studierte Volkswirtschaft in Peking, London und Heidelberg. Yang war Muttersprachler deutsch/chinesisch. Persönlich konnte man sich nicht besser näher kennenlernen, da auf den Messen immer die Väter dabei waren. Doch ein Interesse bestand bei beiden. Durch E-Mails und Telefonate kam man sich immer näher. Petra berichtet Yang, dass es ihrem Unternehmen wirtschaftlich nicht gut ginge. Und für sie alleine es unmöglich ist diese Situation zu meistern. Yang meinte im letzten Telefongespräch, er würde sich etwas überlegen.

 

Yvonne, die Sekretärin von Petra, stürmte ins Büro. „Draußen steht ein asiatisch gut aussehender Herr und will sie sprechen.“

„Hat er blaue Augen?“

„Ja!“

Yvonne starrt Petra verwirrt an.

„Also dann rein mit ihm.“

„Wie sie wünschen.“

Die Türe ging auf und Petra sagte: „Ja, wer kommt denn da?“

Sie umarmte Yang. „Diese Überraschung ist dir aber gut gelungen.“

„Ich spürte, dass ich persönlich kommen muß, um dir zu helfen. Damit es sich leichter reden lässt, habe ich eine Flasche Champagner mitgebracht.“

Yang öffnete mit Geschick die Flasche.

„Prost, auf unser Wiedersehen und auf dein Unternehmen.“

„Das Wiedersehen ist ein Grund Champagner zu trinken. Aber auf mein fast in die Pleite gehendes Unternehmen wohl nicht.“

„In einer halben Stunde weißt du, warum wir auch auf das Unternehmen anstoßen können.“

„Nun bin ich aber gespannt. Komm berichte was du vor hast,“ bat Petra.

 

„Bisher kauften wir Produkte bei euch ein. Diese benötigten wir teilweise für unseren eigenen Betrieb. Aber hauptsächlich verkauften wir sie weiter in Asien.“

„Ja, mein Vater ahnte es, aber sein Prinzip war: Verkauft ist verkauft,“ unterbrach Petra kurz die Berichterstattung von Yang.

„Das ist auch richtig so,“ fuhr Yang fort. „Wie du mir mitgeteilt hast sieht die Wirtschaftslage deines Unternehmens nicht gerade rosig aus. Wir wissen dies schon von anderen Firmen, die in der Branche arbeiten. Man könnte auch sagen: Die Spatzen pfeifen es von den Dächern. Da wir weiterhin stark an euren Produkten interessiert sind, möchten wir uns an deinem Unternehmen beteiligen.“

„Muß dich nochmals kurz in in deinen Ausführungen unterbrechen. Seit kurzer Zeit bekomme ich Angebote von Investoren, welche meine Firma kaufen wollten. Aber so wie die Mitarbeiter der Finanzabteilung recherchierten, waren die Angebote unseriös oder man wollte mich hereinlegen.“

„Petra, das kann ich mir gut vorstellen. Es gibt einige Investoren, die einen voll unter Druck setzen und zu einem Spottpreis die Unternehmen kaufen. Kurze Zeit später veräußern – solche sogenannte Investoren – die Unternehmen wieder, mit einem Gewinn zwischen 30% und 8o%. Aber wir sind doch Freunde, obwohl es diese in der knallharten Geschäftswelt wenig gibt, daher möchte ich dir folgendes Angebot unterbreiten: Wir beteiligen uns zu 49% an deiner Firma. Der Preis der Beteiligung wird errechnet aus den Bilanzen der letzten 5 Jahren. Ich werde mit dir die Geschäftsführung übernehmen.“

„Das Angebot klingt fair. Aber sag mal ehrlich, welchen Vorteil bringt dies deinem Vater?“

„Wir sind dann auf dem deutschen Markt etabliert und kaufen zu den Herstellungspreisen ein. Mein Vater kann dadurch weitere asiatische Länder bearbeiten. Und ein weiterer Grund ist, dass du mir stark am Herzen liegst.“

Petra stand auf und gab Yang einen kräftigen Kuß. „Auch ich habe starke Gefühle für dich.“

 

„Vorschlag akzeptiert?“ fragte Yang.           

„Das ging mir fast alles zu schnell. Daher möchte ich meine sieben Geschäftsleiter zu einem weiteren Gespräch einladen. Einverstanden?“

„Ja natürlich.“

 

„Yvonne bitte teilen sie den Geschäftsleitern mit, dass sie möglichst sofort in mein Büro kommen sollen.“

Nach 30 Minuten waren alle da.

„Meine Herrn, ich darf ihnen mitteilen, dass wir uns kurz vor einer Lösung zur Sanierung des Unternehmens befinden. Herr Yang Wàng–Wang wird nun seinen Lösungsvorschlag vortragen.“

Nach Ende des Vortrages gab es lauten Beifall.

„Petra,“ sagte der Geschäftsleiter Finanzen, „diesen Vorschlag müssen sie unbedingt akzeptieren. Es wird keine Entlassungen geben. Mit dieser Beteiligung können wir vollkommen das Unternehmen sanieren.“ Wieder Beifall von den Geschäftsleitern.

„Danke meine Herren, dass auch sie den Vorschlag akzeptieren,“ sagte Petra.   

 

„Wann kannst du hier anfangen, mein Prinz?“

„Am besten sofort. Ich habe mich im Achalm Hotel eingecheckt.“

„Yang du wirst in diesem Büro arbeiten. Ich werde das Büro nebenan beziehen.“

Um 20 Uhr beendeten sie den ersten gemeinsamen Arbeitstag und gingen zusammen zum Abendessen.

 

Als Petra um 2 Uhr morgens total erschöpft ins Bett fiel, konnte sie noch gar nicht glauben, was gestern alles geschah.

Um 8 Uhr traf man sich wieder im Büro. Yang war wie Petra ein richtiges Arbeitstier. Jeden Abend ging man aber zusammen Essen. Danach unternahm man noch Händchen haltend  einen Spaziergang. Die Küsse wurden immer intensiver. Sie waren richtig verliebt. Nach 14 Tagen sagte Petra lächelnd: „Yang zieh doch in meine Villa ein. Dadurch sparen wir Kosten.“

 

Das Unternehmen entwickelte sich prächtig und privat war man ein harmonisches Paar. Nach zwei Jahren bekam Petra Zwillinge. Beide waren Jungs.

Yang sagte im Spaß: „Der eine Junge wird das Unternehmen in Reutlingen führen. Der andere den Betrieb in Peking.“

„Weißt du schon wer in Deutschland bzw. in China arbeiten wird?“ Fragte Petra.

„Nein noch nicht. Zuerst sollen sie eine schöne Kindheit erleben.“

 

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