Von Andrea Fröhlking

In einem fernen Königreich lebte einmal ein stolzer König zusammen mit seiner Frau und seinen drei geliebten Söhnen. Die Zeit war gut und reichhaltig und voller Freude und Glückseligkeit. Da der König seine Diener immer gut behandelte, arbeiteten sie gerne für ihn und brachten ihm alles, was in seinem Königreich vonnöten war. Als seine Söhne das Alter erreicht hatten, sich eine Gemahlin zu suchen, sprach er eines Morgens zu ihnen:

„Nun geht fort, ihr meine guten Söhne, und bringt mir Schwiegertöchter in mein Schloss, drei an der Zahl, so dass meine schöne Frau nicht mehr alleine ist, wenn ich das Schloss verlassen muss, um mich um mein Königreich zu kümmern.“

Seine Söhne taten, was er ihnen aufgetragen hatte, und verließen das Schloss am nächsten Morgen in aller Frühe. Nachdem sie ein Stück des Weges gemeinsam geritten waren, trennten sie sich brüderlich und in großem Einvernehmen, um auf der Suche nach einer schönen Frau in verschiedene Richtungen auszuströmen.

Es dauerte nicht lange und Prinz Balduin, der älteste Königssohn, kam zusammen mit einer schönen Frau, die er zu seiner Prinzessin auserkoren hatte, zurück auf das königliche Schloss. Auch sein jüngerer Bruder, Prinz Janos, kam wenig später glücklich zurück und präsentierte dem König und der Königin eine hübsche Schwiegertochter, die er lieben gelernt hatte.

Einzig Prinz Lewin tat sich schwer. Er ritt durch die Lande und sah so viele schöne Töchter, dass er sich nicht für eine von ihnen entscheiden konnte. Keine der jungen Frauen, die er traf, mochte sein Herz erwärmen und keine davon liebte ihn so, wie er es sich erhofft hatte. Mit der Zeit wurde der Prinz immer trauriger. Er wusste nicht, wieso ihm so schwerfiel, was seine Brüder mit Leichtigkeit erreicht hatten, denn die Kunde von deren Hochzeiten war an ihn herangetragen worden. Eines Tages setzte er sich an einen dunklen Teich und schaute schwermütig auf das Wasser. Nicht einmal die vielen Vögelchen, die ihn aufzumuntern versuchten, hatten Erfolg mit ihrem Bemühen. Sie flogen vor ihm auf und ab und pickten ihm zärtlich in den Arm, aber der Prinz nahm keine Notiz von ihnen. Er war lange geritten und müde und merkte kaum, wie ihm langsam die Augen zufielen.

An diesem Tag jedoch war etwas anders als gewöhnlich. Kurz nachdem der Prinz eingeschlafen war, zeigte sich ihm im Traum ein über allen Maßen schönes Mädchen. Es hatte Haare so schwarz wie Ebenholz, Haut so weiß wie Schnee und einen Mund so rot wie Blut.

Als der Prinz aus seinem Schlaf erwachte, ließ ihn das Bild der wunderschönen Unbekannten nicht mehr los und er machte sich auf den Weg, sie zu suchen. Beflügelt davon, endlich zu wissen, nach wem er suchte, ritt er wagemutig und schnell wie der Wind über Stock und Stein, durch Wiesen und Felder und ausladende Wälder, um die schöne Prinzessin aus seinem Traum zu finden. Auf dem Weg hielt er an vielen Schlössern und Burgen an und ließ sich die Töchter der Könige und Burgherren zeigen, doch das wunderschöne Mädchen war nie dabei.

Eines Tages kam der Prinz in die Gegend der sieben Berge. Als er diese überwunden hatte, erschloss sich ihm ein dichter Wald. Wenig hoffnungsvoll trieb er sein Pferd in die Dunkelheit des Gehölzes, als ihm plötzlich eine helle Lichtung den Weg wies.

Bei dieser angekommen, erwartete ihn ein gläserner Sarg, der von mehreren Zwergen bewacht wurde. Sie saßen neben der durchsichtigen Kiste und warfen traurige Blicke hinein. Neugierig trieb der junge Prinz sein Pferd in Richtung des Sarges und tat es ihnen gleich.

Was er sah, machte ihn über allen Maßen glücklich, denn auf einem roten Kissen lag die Schönheit seiner Träume. Die schwarzen Haare breiteten sich wie ein Strahlenkranz um das zarte Gesicht eines wunderschönen Mädchens mit blutroten Lippen. Endlich hatte er gefunden, was er schon so lange suchte. Doch er war zu spät gekommen, denn Schneewittchen, wie sie von den Zwergen genannt wurde, war tot.

Weil er so lange gesucht hatte und so glücklich war, seine Prinzessin endlich gefunden zu haben, bat er die Zwerge, ihm den Sarg mit der schönen Toten zu überlassen. Sie sollten dafür alles von ihm bekommen, was sie haben wollten. Doch die Zwerge erwiderten ihm ehrfürchtig, dass sie Schneewittchen nicht um alles Gold in der Welt hergeben würden.

Traurig brach der Prinz neben dem Sarg zusammen und weinte bittere Tränen. „So schenkt sie mir bitte. Ich kann nicht leben ohne Schneewittchen zu sehen.“ Er versprach ihnen, sie zu ehren und hoch zu achten wie sein Liebstes auf der Welt. Als die Zwerge ihn so verzweifelt sahen, hatten sie Mitleid und überließen ihm den gläsernen Sarg.

Darüber war der Prinz so erfreut und dankbar, dass er sogleich seine Diener herbeirief, dass sie ihm halfen, den Sarg zu tragen. Diese luden ihn auf ihre Schultern und machten sich auf den Weg. Sie waren noch nicht weit gekommen, da stolperte einer der Diener über einen Stein, so dass der Sarg gefährlich hin- und her schaukelte. Durch die Erschütterung fiel dem Schneewittchen ein Stück giftigen Apfels aus dem Mund. Sie erwachte, hob den Deckel vom Sarg, richtete sich auf und war wieder lebendig.

Der Prinz traute seinen Augen kaum. Das junge Mädchen war wiedererwacht und noch viel schöner als in dem Traum, in dem es ihm vor langer Zeit erschienen war, als er traurig, übermüdet und ohne jede Hoffnung an dem Teich gesessen hatte. Voller Freude erzählte er der Schönen, was geschehen war und erklärte: „Ich habe dich lieber als alles auf der Welt. Komm mit mir in das Schloss meines Vaters. Du sollst meine Frau werden.“ Als sie seine Bitte vernahm, war Schneewittchen überglücklich und ging mit ihm.

Als die beiden nach einem langen Ritt zum Schloss des Königs kamen, war dieser hocherfreut, denn nun hatte endlich auch sein jüngster Sohn eine Gefährtin gefunden. Er ließ ein Hochzeitsfest ausrichten, das an Pracht und Herrlichkeit alles übertraf.

 

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