Von Michaela Grüdl-Keil

Rot wie Blut war ihr Kleid, schwarz wie Ebenholz ihr Haar und weiß war der Schnee, in dem sie rauchend vor dem Hotel stand.

Später sah ich sie in der Bar wieder.  Dort saß sie scheinbar alleine an der Theke, ein Glas Sekt in der Hand. Sie hatte die Beine übereinander geschlagen und kurz überlegte ich, ob dieses winzige Stück Stoff den Begriff “Kleid“ überhaupt verdient hatte.

Ich suchte mir einen Platz in der Nähe. Nicht, um mit ihr in Kontakt zu treten, sondern um sie in Ruhe unbemerkt beobachten zu können. Sie wirkte auf mich wie ein Kunstwerk, das sich selbst erschaffen hat. Mit der sicheren Hand eines Künstlers, dem es zwar an Begabung, aber nicht an Begeisterung für seine Arbeit fehlte. Irgendetwas war an ihr, das billig wirkte.

Es war nicht nur mein Blick, den sie auf sich zog. Die der Männer waren eher verunsichert, zweifelnd, ob des eindeutigen Angebots. Die Blicke der Frauen dagegen sprachen Bände.  Manch eine von ihnen hätten ihr sicher gerne einen vergifteten Apfel in den Rachen gestopft. Schneewittchen hingegen wirkte kühl und unbeeindruckt. Ab und an ließ sie ihren Blick taxierend durch die Hotelbar schweifen, aber er verweilte stets nur auf ihrem Sektglas. Immer wieder fuhr sie sich mit der Hand durch ihr schwarzes Haar, das ihr (fast) perfektes aber emotionsloses Gesicht umrahmte.

Nach dem dritten Glas Sekt gab es einen kurzen Disput mit einem der Kellner. Als sie ihm beschwichtigend ihre Hand auf den Arm legen wollte, schritt der Oberkellner ein. Ein Mann in den besten Jahren, gewohnt mit schwierigen Gästen umzugehen und für diese Art weiblicher Reize scheinbar unempfänglich. Sie zahlte eher widerwillig und verließ ihre Bühne. Beim Hinausgehen streifte sie wie unabsichtlich meine Schulter. Die Gespräche, die kurz verstummt waren, wurden wieder aufgenommen. Vor allem die Frauen waren es, deren gedämpfte aber vor allem aufgeregte Stimmen ich vernehmen konnte.

Die Szenerie wiederholte sich Abend für Abend, zum Teil mit kleinen Abweichungen. Ab und an forderte sie scheinbar wahllos und aus heiterem Himmel heraus Ehemänner zum Tanz auf, die ihr zögernd aber auch beglückt folgten, stets unter den wachsamen Augen der Ehefrauen, die nichts gegen einen vergifteten Kamm einzuwenden gehabt hätten.

Abend für Abend verfolgte ich jede ihrer Bewegungen. Sie faszinierte mich, doch gleichzeitig stieß sie mich auch ab. Ich wollte gerne noch mehr über sie erfahren, und doch störte mich ihre Anwesenheit hier in diesem Hotel.

Bei den Mahlzeiten saß sie stets allein an einem Tisch, wie auf einem Präsentierteller, was ihr zu gefallen schien. Ich fragte mich immer wieder, was sie mit ihrer Anwesenheit hier bezweckte, obwohl es keinen Zweifel geben konnte. Ihre Absicht war überdeutlich, auch wenn der Ort hier nicht ungeeigneter hätte sein können. Aber was im Leben ist schon perfekt?

Als sie an diesem Abend aus der Bar ging, streifte mich nicht nur ihr Arm, sondern auch ihr Blick. Aufforderung las ich darin. Ich stand auf und folgte ihr. Ihr wundervoller Körper bedurfte keinerlei Schnürung.

 

Rot floss das Blut durch den weißen Schnee und ihr Haar, schwarz wie Ebenholz, umrahmte ihr Gesicht. Mein Schneewittchen war tot und kein Prinz konnte sie mehr zum Leben erwecken. Unser Märchen hatte kein gutes Ende gefunden.

Nie hätte ich gedacht, dass ich eine Frau so sehr hassen könnte.