Karin Endler

In der Mitte des Saales standen zwölf Tische, auf jedem lag ein Schneidbrett, davor stand ein Namensschild, rechts daneben eine leere Schüssel und links ein Korb mit Zwiebeln. An zwei Tischen war die Anordnung seitenverkehrt. Stephan suchte seinen Platz. In wenigen Minuten würde der Zwiebelschneidwettbewerb starten. Die Hotelküche wollte eine Praktikumsstelle vergeben und hatte ihn ausgeschrieben. In den letzten Tagen war schon ein Ausleseverfahren gelaufen, in dem die Kochkünste der Bewerber überprüft worden waren. Der Zwiebelschneidsieger sollte die Stelle bekommen. Stephan legte seine beiden sorgfältig geschliffenen Messer, das kleine zum Schälen, das große zum Schneiden der Zwiebeln vor das Brett, wie es der Wettbewerbsleiter verlangte. Dann mussten die Teilnehmer einen Schritt zurück treten.

Vorne in der Mitte saß der Küchenchef umgeben von der Jury, zwei Damen und zwei Herren, mit todernsten Mienen. An den seitlichen Wänden standen für die Zuseher Sessel, die alle besetzt waren.

Wer schaut sich so was an? Stephan sah sich verwundert um.

Er hatte die ganze Nacht kein Auge zugemacht. Diese Stelle brauchte er dringend, auch wenn die Bezahlung mies war. Es war sowieso verwunderlich, dass sich dafür derart viele gemeldet hatten. Ein schlimmes Zeichen, dass es um den Arbeitsmarkt nicht rosig bestellt war. Sein voriger Chef hatte Konkurs anmelden müssen. Seine Freundin Gitti wartete nicht lange, bis sie ihn vor einigen Wochen vor die Tür setzte. Mittlerweile wohnte er bei Max, der in letzter Zeit immer wieder andeutete, dass sich Stephan bald eine eigene Bleibe suchen müsse. Ohne Einkommen, wie sollte das gehen?

Der Wettbewerbsleiter gab das Startsignal. Stephan schnappte die größte Zwiebel, schälte sie und legte sie aufs Brett. Er hatte noch nicht zum ersten Schnitt angesetzt, da hörte er schon das gleichmäßige Klopfen eines Messers auf Holz. Die kleine Dunkelhaarige, schräg rechts vor ihm, hatte eindeutig die Nase vorne. Mit Elan schnitt Stephan seine Zwiebel in winzige Würfel, wischte alles mit dem Messer vom Brett in die Schüssel und langte zur nächsten Zwiebel. Das Stakkato der Messer, das den Raum erfüllte, wurde manchmal leiser, dann wieder lauter, aber es setzte nie aus. Sobald er eine Zwiebel von ihrer Schale befreit hatte, fiel sein Messer in den Rhythmus der anderen. Der Korb leerte sich, die Schüssel wurde voller.

Stephan hatte in letzter Zeit Unmengen von Zwiebeln gehackt. Seine Augen waren tränenleer. Völlig klar sah er, dass die Würfel, die er in die Schüssel schob, schön gleichmäßig waren.

Was die hier in der Hotelküche wohl mit den vielen gehackten Zwiebeln kochen werden. Mir sind in letzter Zeit schon die Rezepte ausgegangen. Max wollte nicht jeden Tag Gulasch essen. Kann ich ja verstehen. Obwohl …

„Mist!“

Ein Teil der Zwiebelwürfel war neben die Schüssel gefallen. Während er versuchte, sie mit der linken Hand auf die Klinge zu bugsieren, bemerkte er im Augenwinkel, dass sich die dunkle, zu einem Ross-Schweif gebändigte Mähne bewegte und als er aufblickte, strahlten ihn für einen Moment die schönsten Augen an, die er je gesehen hatte. Stephan war fassungslos.

Warum dreht sie sich zu mir um? Was findet sie an mir?

Diese Fragen blitzten durch seinen Kopf, während das Messer unbeaufsichtigt in den Zeigefinger der linken Hand schnitt. Das Blut quoll sofort heraus. Gleichzeitig beendete der Gong den Wettbewerb. In Panik warf Stephan die blutverschmierten Zwiebelwürfel in die Schale und wusste im selben Augenblick, dass er sich damit disqualifiziert hatte. Eine zarte Hand reichte ihm ein Pflaster. Er bedankte sich und da waren sie wieder, diese strahlenden Augen.

*

Weil sie ihren Platz zu früh verlassen hatte, war die junge Frau ebenfalls von der Wertung ausgeschlossen worden. Die beiden Verlierer saßen vor dem Hotel auf einer niederen Mauer.

„Danke noch mal für das Pflaster“, kam es zögerlich. „Ich heiße übrigens Stephan.“

„Ich bin Lisa.“ Ihre Augen hatten mittlerweile den umwerfenden Glanz verloren.

„Tut mir leid, dass du disqualifiziert wurdest, bloß weil du erste Hilfe geleistet hast. Das ist schon eine Frechheit.“

„Kann man nichts machen. Schade. Ich hätte die Stelle gerne gehabt.“

„Ja, ich auch.“

Stephan spürte Panik in sich aufsteigen. Einige Tage konnte er sicher noch bei Max wohnen und dann?

„Hallo, ihr zwei Turteltauben!“ rief eine tiefe, sehr gut gelaunte Stimme. Sie gehörte einem untersetzten Mann mit Glatze und Bierbauch. Lisa und Stephan sahen ihn fragend an.

„Ich habe euch heute beim Wettbewerb beobachtet. Tolle Leistung! Der Küchenchef, mein bester Freund, hat mir erlaubt, auch eure Schüsseln auf die Waage zu stellen. Ihr beide habt die Konkurrenz weit hinter euch gelassen. Die Disqualifizierungen waren schon Pech – aber nur für die da drinnen.“

Er machte eine wegwerfende Handbewegung in Richtung Hoteleingang. Stephan und Lisa sagten nichts. Sie konnten sich beide keinen Reim darauf machen, was der Fremde von ihnen wollte.

„Entschuldigung, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Sigismund Winterbauer, Besitzer vom „Goldenen Pelikan“. Ich suche dringend zwei Jungköche! Deshalb war ich heute unter den Zusehern. Also, wie wäre es mit einer Probezeit, von sagen wir sechs Monaten?“

Stephan und Lisa sahen erst einander und danach Herrn Winterbauer an. Sie brachten kein Wort hervor und nickten nur. Was all die Zwiebeln nicht geschafft hatten, geschah jetzt: beiden stiegen Tränen in die Augen – aber das war sicher nur Staub.

 

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