Von Michael Voß

Kurt war verlegen, sein Unterton bittend: „Ähm, Maja hat gefragt, ob sie mitkommen kann.“

Maja war Kurts Tochter und Harrys Patenkind.

„Sie hat auch schon zwei Zimmer in einem Hotel gebucht. Eins für uns und eines für sie. Ich zahle. Wir können also Zelt und Schlafsäcke hierlassen. Es macht dir doch nichts aus, oder?“

 

Es machte Harry was aus – schließlich hatten sie eine Männertour geplant. Den ganzen Tag auf dem Bock, abends das Zelt auf irgendeiner Wiese aufstellen, Würstchen vom Grill, Flasche Bier, eine rauchen, den Mond anschauen und es gut sein lassen. Mal wieder in Ruhe mit Kurt quatschen, unter vier Augen. Wie es Harry ging, seit Tanja ihm den Laufpass gegeben hatte. Was gerade so lief bei Kurt. Und was er davon hielt, wenn Harry jemanden einstellte und damit die Belegschaft seines Einmann-Rohrreinigungsbetriebes verdoppelte. Das konnten sie jetzt knicken. Naja. Dann eben Maja.

Das Mädchen war nicht nur Kurts Schwachstelle, auch Harry hatte einen Narren an der Kleinen gefressen.

„Cool, wenn sie dabei ist. Moppedtour statt Disneyland“, grinste er.

Aus dem Haus war ein Quietschen zu hören, dann flog eine hübsche Sechzehnjährige in Bikerklamotten aus der Tür direkt in seine Arme: „Ich hab´s gewusst! Harry, du bist der Beste!“

Mit einem verschmitzten Lächeln zur Seite fügte sie hinzu: „Gleich nach Papa, natürlich!“

Harry befreite sich aus der stürmischen Umarmung und löste den Schlafsack vom Gepäckträger seiner Benelli TNT: „Gehen wir´s an.“

Kurt öffnete das Garagentor, wo seine vollbepackte Reiseenduro sichtbar wurde.

„Wusste nicht, dass wir ne´ Weltreise antreten“, meinte Harry.

Wieder wirkte sein Freund verlegen: „Ähm, Maja musste ´nen bisschen mehr einpacken.“

Das Mädchen machte einen Schmollmund: „Mama wollte das!“

„Schon klar“, meinte Harry und setzte den Helm auf.

Kurt drückte auf den Anlasser.

Wuwiwiwuwiwiwuwiwi klack.

„Komisch.“

Nach dem fünften Versuch war klar: „Da stimmt was nicht.“

Nach einer Stunde Schrauben: „Das Steuergerät ist hinüber.“

„Mist!“

Harry zuckte mit den Schultern: „Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Fahrn wir halt nächstes Wochenende.“

Mit einem Anflug von Resignation sagte Kurt: „Geht nicht. Die Firma schickt mich am Dienstag für 8 Wochen nach Portugal.“

Maja schniefte: „Ich hatte mich so gefreut!“

Kurt legte einen Arm um seine Tochter: „Wir machen das Beste draus und fahren dann 3 statt 2 Tage. Okay?“

Tränen rollten über die Wangen des Mädchens: „Wer weiß, was bis dahin wieder ist…“

 

Zehn Minuten später war Majas Gepäck deutlich reduziert und auf Harrys Maschine verstaut. Zornig brüllend erwachte der Dreizylinder zum Leben.

„Alles klar?“, fragte Harry nach hinten.

„Alles klar!“, strahlte seine Patentochter und legte ihre Arme um seine Mitte.

 

Das frühlingshafte Wetter, das frische Grün, der blaue Himmel, die gewundenen Straßen von Hunsrück und Eifel, der Besuch des Edelsteinmuseums, die Pausen in den Cafés – sie hatten jeden Augenblick in sich aufgesogen. Jetzt parkte der schwarzrote, zum Tourenmotorrad missbrauchte Streetfighter vor einem kleinen Hotel mit Blick auf den Fluss.

Maja hatte die lange Goretex-Jacke ausgezogen und ging schnurstracks auf den Eingang zu.

„Ich checke uns schon mal ein, okay?“, rief sie fröhlich über die Schulter zurück.

Harry, der das Gepäck losmachte, nickte. Dann stellte er fest, dass er Schwierigkeiten hatte, seinen Blick von Majas Beinen zu lassen, die in einer enganliegenden schwarzen Lederhose steckten. Seit wann hatte sein Patenkind bloß DIESEN Po?

Reiß´ dich zusammen, Alter!, dachte er und nahm den Tankrucksack von der schweren Maschine.

In der Lobby kam ihm Maja entgegen: „Alles erledigt. Komm, ich zeige dir den Weg zu unserem Zimmer.“

Hatte sie „zu unsereN ZimmerN“ gesagt? Aber er hatte sich nicht verhört. Konsterniert stand er in einem in warmen Farben gehaltenen Raum, der ihn an das Schlafgemach eines Märchenschlosses erinnerte. Auf dem übergroßen Doppelbett lag eine langstielige, rote Rose.

„UNSER Zimmer? Das hier?“

„Ja klar. Es gab nur noch die Romantik-Suite. Ob ich´s nun mit Papa oder mit dir teile, ist doch egal.“

War es nicht: „Ne, Maja, geht garnicht – ´s können wir Kurt und Edith im Leben nicht beibringen. Ich nehme das Einzelzimmer.“

„Das ist schon wieder vergeben.“

„Wie – so schnell?“

„Ich habe es heute Morgen storniert, als klar war, dass Papa nicht mitkommen kann. Wozu zwei Zimmer bezahlen, wenn eines reicht?“, fragte sie mit einem unschuldigen Mädchenblick.

Harry überlegte. Seit 5 Uhr war er auf den Beinen, hatte den langen Tag konzentriert ein bärenstarkes Bigbike über die Landstraßen getrieben und zwischendurch dafür gesorgt, dass es Maja an nichts fehlte. Er war einfach müde, wollte nicht mehr diskutieren und auch kein anderes Hotel suchen. Sollte er mit seinem Bettzeug in die Badewanne umziehen? Oder auf dem Fußboden schlafen? Wie würde Maja – ach, verdammt, das war jetzt alles zu kompliziert.

Er legte das Gepäck auf den Boden: „Okay. Will nochmal nach der Karre gucken. Bin gleich wieder hier.“

Maja strahlte: „Supi! Ich gehe solange ins Bad. Hinterher Abendessen?“

„Jau.“

Harry ging zur Benelli, spannte die Kette nach, checkte die Lichtanlage und kontrollierte den Ölstand. Dann griff er zum Handy: „Kurt?“

Sein Freund lachte nur: „Mach´ dir keinen Kopf! Ich tu´s auch nicht – so wie du immer um ihr Wohl besorgt bist. Obendrein bist du mein bester Freund!“

„Will´s auch bleiben“, knurrte Harry.

„Klar Mann! Macht euch einen schönen Abend! Wenn du sie wieder bei uns ablieferst, werde ich ihr klarmachen, dass das keine gute Idee war. Außer bei dir natürlich, Mann.“

Dein Wort in Gottes Gehörgang!, dachte Harry, nachdem er aufgelegt hatte.

 

Wieder zurück, hörte er den Föhn aus dem Badezimmer. Harry zog die Stiefel aus und legte Jeans, T-Shirt und Sneaker zurecht.

In ein großes Handtuch gewickelt, kam Maja aus dem Bad: „Du kannst rein, ich zieh´ mich hier an!“

Das Wasser spülte seine Müdigkeit fort und weckte neue Unternehmungslust in ihm. Es war ein guter Tag gewesen und es gab schlechtere Möglichkeiten, ihn zusammen mit Maja bei einem netten Essen zu verbringen.

Doch als er aus dem Bad kam, verschlug es ihm die Sprache. In der Mitte des jetzt gedämpft beleuchteten Zimmers stand eine junge Dame im kleinen Schwarzen auf hochhackigen Riemchenpumps, das lange Haar sanft schimmernd im Dämmerlicht. Ein schweres Parfum hing in der Luft, was ihn an Tanja erinnerte. Seine Ex war eine verflixt scharfe Frau gewesen…

Maja drehte sich einmal um sich selbst und versuchte ein verführerisches Lächeln: „Gefalle ich dir?“

Tiefer Rückenausschnitt, roter Nagellack, glitzernder Silberschmuck, Nahtstrümpfe an kerzengeraden Beinen und nassglänzende Lippen.

Harry schluckte: „Du siehst, ähm, bezaubernd aus.“

Es war gelogen. Maja sah aus wie ein Schulmädchen, das versuchte, ein Vamp zu sein.

Dummerweise wirkte es trotzdem, wie Harry verärgert spürte: „Hör mal, willst du wirklich so mit mir ausgehen? Ich meine, neben dir bin ich, hm, mittelschwer underdressed.“

„Du hast dicke Muskeln und ein großes Herz, da braucht es keinen Smoking.“

Das Kompliment hätte ihn echt angemacht, wäre es von einer gestandenen Frau gekommen. Doch es war ehrlich und er musste zugeben, dass es ihm runter ging wie Öl.

Der nächste Schlag kam prompt: „Außerdem sieht uns keiner. Ich habe uns ein Candle-Light-Dinner aufs Zimmer bestellt!“

Sie wies auf den kleinen Tisch vor der Glastür, die zum Balkon führte.

Langsam drohte Harry die Kontrolle zu entgleiten: „Tapas und Mojito! Woher hast du das gewusst?“

„Ich kenne dich seit 16 Jahren, schon vergessen?“

Ich geb´s auf, dachte er, halb resigniert, halb amüsiert.

Das Essen tat gut. Es versöhnte ihn wieder mit der Welt und löste seine Verspannungen, die sich seit der Ankunft im Hotel gebildet hatten.

Mit glänzenden Augen hing Maja an Harrys Lippen, der jetzt einige seiner Jugendsünden zum Besten gab, die er zusammen mit Kurt begangen hatte. Sie lauschte und lachte und bestellte zwei weitere Mojitos.

„Einmal waren wir in so´m Club voller Pärchen und ham geschwoft …“

„Papa und du?“

„Joh, wir beide. War´n voll.“

„Echt?“ Sie nahm ihr Handy und tippte darauf herum. „Nights in white satin“ ertönte aus verborgenen Lautsprechern.

Maja erhob sich und streckte ihm eine Hand entgegen: „Das will ich jetzt wissen!“

„Ach nö.“

„Feigling!“

Harry stand auf. Maja schlang ihre Arme um seinen Hals und schmiegte sich an ihn. Er hatte schon fast vergessen, wie eine Frau sich anfühlte. Obendrein eine, die ihre Pfunde an den richtigen Stellen hatte. So nah, so süß, so betörend, so …

Sie drängte sich noch dichter an ihn.

Ihre Zungenspitze kitzelte ihn im Ohr: „Harry? Ich mag dich echt sehr.“

Ein wohlbekanntes Gefühl entstand in seinem Unterleib. Es war machtvoll, sehr machtvoll. Unaufhaltsam dehnte es sich aus, durchwärmte von innen und machte sich daran, ihm angenehmst den Verstand zu vernebeln …

Höchste Eisenbahn, die Reißleine zu ziehen.

Sanft versuchte er, die Umarmung zu lösen: „Es wird Zeit …“

„Jaahh! Trag mich zum Bett und mach mich dort zur Frau!“, hauchte sie.

Auf einmal war Harry hellwach.

Er küsste sie auf die Wange: „Tut mir leid, Süße, aber hier ist Feierabend!“

Sie erstarrte: „Aber …“

„Erklär´s mir, Maja: Warum?“

Ihr Atem ging stoßweise: „Ist das so schwer zu verstehen? Du bist mein bester Freund! Du hast mir Fahrradfahren und Mathe beigebracht, hast mir wie oft aus der Patsche geholfen, für mich gelogen und mich jeden Tag zum Lachen gebracht. Warum kannst du mir nicht auch das jetzt zeigen?“

 

Sie versuchte es mit Tränen, mit Schreien und zum Schluss mit den Fäusten. Doch Harry ließ sich nicht erweichen. Am Ende nahm er sein Bettzeug und verbrachte die Nacht auf dem Balkon.

 

Kaffeeduft weckte ihn.

„Frühstück?“

Bittend sah Maja ihn aus verquollenen Augen an.

„Bist du mir böse?“, fragte sie beklommen.

Harry nahm sie in die Arme: „Kein Stück. Nur eins noch: was hast du mit Kurts Motorrad gemacht?“

Sie lächelte tiefgründig: „Habe das Steuergerät auf Standby geswitcht. Mit dem Handy.“

 

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