Von Miklos Muhi

Joachim war mit dem Mischen der Zutaten fast fertig. Nur das Zeug aus der Flasche vom Terrassentisch fehlte noch.

 

Der Himmel war bedeckt und grau, trotzdem konnte er von seinem Garten aus fast die ganze Stadt sehen, denn sein Grundstück lag am höchsten weit und breit. Deswegen hatte er damals gerade dieses Haus gekauft, wegen der Aussicht.

 

Noch bevor er auch die letzte Zutat in den Kessel mischte, holte er sein Handy aus der Tasche und überprüfte die Wettervorhersage. Die aktuelle Inversionswetterlage würde mindestens eine Woche lang anhalten. Das war mehr als genug.

 

»Jetzt leiste ich meinen Beitrag zur Rettung des Klimas«, murmelte er.

 

Er nahm das Fläschchen und kippte den Inhalt in den Kessel. Die transparente braune Flüssigkeit darin wurde milchig und fing an langsam zu blubbern und zu dampfen. Er schaute noch kurz zu, dann ging er ins Haus und kochte sich sein Abendessen.

 

*

 

Petra fühlte sich schlapp. Seit Tagen hatte sie Schnupfen, aber so richtig krank wurde sie nicht. Eine Krankschreibung kam eh nicht infrage, sonst wäre sie ihren Job in der Versandfirma los. Sie wusste, dass das eigentlich illegal war, genau so, wie die Beschäftigung unter dem Tariflohn. Die Firma hatte jedoch viel Geld und gute Anwälte, die das alles locker hinkriegen konnten.

 

Neben ihrem sogenannten Lohn, der für nichts reichte, bekam sie noch Hartz IV.

 

Sie ging in den Supermarkt, um Nudeln zu kaufen, und blieb, wie gebannt, bei den Küchenutensilien stehen. Einige Messer waren da ausgestellt, die man gegen irgendwelche Punkte kaufen oder gewinnen konnte. Es sah nach einer komplizierten Marketingaktion aus, aber dafür interessierte sich Petra nicht.

 

»Oh, wie scharf!«, sagte sie und nahm eines der Messer in die Hand.

 

Sie schaute sich die Klinge ganz genau an. Sie hatte noch nie so ein scharfes Messer gesehen.

 

»Guten Tag. Kann ich Ihnen helfen?«, fragte die Verkäuferin, die hinter ihr scheinbar aus dem Nichts aufgetaucht war. Petra schwieg zuerst. Dann drehte sie sich um und mit einer schnellen Bewegung und schnitt sie der Verkäuferin die Kehle durch.

 

»In der Tat, sehr scharf«, murmelte Petra, während im Kaufhaus die Panik ausbrach.

 

*

 

Karl ging jeden Tag joggen, egal, wie das Wetter war. Zu Hause hatte er einen Schrank voller Sportausrüstungen für jede Jahreszeit vom tiefsten Winter bis zum Hochsommer.

 

In der letzten Zeit regnete es viel und die Influenza machte die ganze Stadt unsicher. Karl hustete seit zwei Tagen, aber das hinderte ihn nie beim Sport. Nicht einmal Fieber konnte ihn aufhalten.

 

Es war kalt, aber die Sonne schien. Das hieß, dass er eine dünne Jacke über seine winterliche Laufausrüstung anziehen musste. Wenn beim Laufen einem zu warm würde, war das nicht nur unangenehm, sondern auch gefährlich.

 

Nachdem er sich angezogen hatte, ging er in die Küche, um seine Sportflasche zu füllen. Mit einem schnellen Griff nahm er ein Fleischermesser aus einer Schublade und steckte es in den Ärmel seiner Jacke.

 

Bei der Laufbahn angekommen, legte er sofort los, ohne sich aufzuwärmen. Er wunderte sich über seinen Mangel an Professionalität, aber eine Ursache dafür fand er nicht. Sobald er seine Maximalgeschwindigkeit erreichte, zog er das Messer aus dem Ärmel und schnitt damit in den Hals jedes Läufers, den er überholen konnte.

 

»Ganz scharfes Messer«, murmelte Karl und ließ sich weder von den Schreien im Park noch vom Blaulicht beeindrucken.

 

*

 

Stolz begutachtete Thomas seine Sammlung. Alles war so echt, dass er für jedes Stück eine Genehmigung bei der Polizei einholen musste. Nur für diese Sammlung hatte er einen ganzen Raum in seinem Haus eingerichtet, vollgestopft mit teurer Sicherheitstechnik.

 

Normalerweise war er zu dieser Zeit im Büro, aber er fühlte sich nicht gut und kam nach einigen Stunden wieder nach Hause. Viele seiner Mitarbeiter waren krankgeschrieben.

 

Ganz langsam nahm er ein Stück der Sammlung in die Hand. Es war ein Samuraischwert, das er vor etwa zwei Jahren aus Japan mitgebracht und fast 200000 Euro dafür hingeblättert hatte, ohne die ganzen behördlichen Gebühren.

 

Er war nicht nur ein Sammler, er konnte auch damit umgehen. Seit vielen Jahren übte er das Kendo, den Weg des Schwertes. Vor Kurzem hatte er seinen dritten Dan verliehen bekommen.

 

Mit einer schnellen Bewegung steckte er das Schwert in seinen Gurt, verbeugte sich aus Gewohnheit und verließ das Haus, ohne abzuschließen oder den Alarm zu aktivieren.

 

Er fuhr zurück zum Büro und parkte auf seinem reservierten Platz.

 

Als er durch die Tür trat, zog er sofort das Schwert. Schnell brach eine noch nie da gewesene Kopflosigkeit im Büro aus und Thomas verteilte seine Hiebe mit einem seligen Lächeln jedem, den er erreichen konnte.

 

»Scharfes Schwert«, murmelte er.

 

Die Schreie hörte er nicht.

 

*

 

Joachim schaute sich die Abendnachrichten an. Seit Wochen gab es nur ein einziges Thema: Die weltweiten Amokläufe mit Messern, Schwertern, Äxten und mit allen, was scharf war. Man suchte nach Antworten. Joachim hatte sie, aber er wollte sie für sich behalten.

 

Bald wird man entdecken, dass neue, mutierte und hochansteckenden Influenzaviren, die keine richtige körperliche Erkrankung auslösten, hinter den Amokläufen steckten. Man wird auch ermitteln können, wo diese Epidemie ihren Anfang nahm. Aber das alles machte nichts, denn es war vollbracht.

 

Joachim war zufrieden. Er war schon gespannt auf seine neue und fast menschenleere Welt.

 

 

Version 2