Ute Scharmann

Es war so peinlich!

Eigentlich mag ich gar nicht mehr daran denken, geschweige denn, davon erzählen… Aber wir sind hier ja unter Kolleginnen und Kollegen…

Sie wissen bestimmt alle, wie es ist, wenn man die eigene Geschichte megatoll findet, aber damit ziemlich alleine dasteht? Schrecklich – man fragt sich, was mache ich falsch, kapiert denn hier niemand, was ich sagen will, warum schreibe ich überhaupt? Man geht in sich, heult ins Kopfkissen, man nervt die beste Freundin mit den Selbstzweifeln oder jammert Mann und Schwester die Ohren voll. Furchtbar.

Aber sind Sie schon mal ausgebuht worden? So richtig gemein und gnadenlos? Können Sie sich vorstellen, wie das ist, wenn man vor der Meute sitzt und die Lieblingsgeschichte ausgepfiffen wird? Na, sehen Sie, das ist gar nichts gegen die 0-Punkte-Bewertung auf einer anonymen Plattform oder das „Danke, wir hatten sooviele gute Einsendungen, leider…“ Gar nichts ist das gegen meinen schrecklichen Auftritt vorletzte Woche.

Dabei hatte es so gut angefangen. Meine Schwester kam freudestrahlend mit einem Ticket für mich.

„Ich habe zwei Stunden angestanden, um ein Start-Ticket für dich zu ergattern. Story-Slam in der Stadthalle. 1. Sonntag im April. Jetzt musst du nur noch eine Geschichte zusammenzimmern und dann kann´s los gehen.“

„Zusammenzimmern“– typisch meine Schwester. Sie stellt sich vermutlich vor, man nimmt ein paar Textbausteine, greift in die Trickkiste der Politiker, copy and paste, und fertig ist die Geschichte für den Schreibwettbewerb.

„500 Euro für den ersten Platz, die zehn besten werden in einer Anthologie veröffentlicht und das Beste: Du glaubst es nicht… dein Lieblingsthema: ‚Hauptsache Schaf‘.“ Klar, damit hatte sie mich. Schafe sind meine Lieblingstiere. Im Sommer fahre ich mindestens zweimal in der Woche mit dem Rad zur Weide im Nachbardorf und gucke stundenlang zu, wie die lieben Kuscheltiere da so friedlich grasen und dann mit einem „Mäh“ ihr Lamm heranzitieren, damit es einen Schlag Milch abholt. In meinem Bücherregal gibt es fünf Bretter mit Schafbüchern: Kinderbücher mit mutigen Schafen, schwarzen Schafen, klugen Schafen und Geschichten vom Schäfchenzählen, Schafmärchen, Schafkrimis, die ganze Palette eben.

Aber denken Sie bitte nicht, ich sei so einseitig, dass ich nur über Schafe schreibe. Nein, Sie kennen das ja selbst: Will man Geschichten irgendwo platzieren, muss man vielseitig sein: Geschichten vom Klo, Autostorys, Geschichten über Engel und andere gute Geister und all dieser Kram, den sich die Jurys oder Sponsoren so ausdenken. Ich bin vielseitig und manchmal habe ich schon eine Veröffentlichung ergattert. Aber hier, unter Kollegen und Kolleginnen verrate ich es mal: In jeder meiner Geschichte kommt ein Schaf vor. Meistens grast es irgendwo versteckt, ziert einen Kaffeebecher oder die Servietten und wenn es gar nicht anders geht, trägt zumindest der Hauptkommissar grundsätzlich Schafwollsocken. „Hauptsache Schaf“ – ein Thema wie für mich gemacht.

Als Erstes habe ich meinen Schafgeschichtenbestand durchgesehen. Aber ehrlich, in diesem Moment fand nichts Gnade: Zu kurz, zu lang, zu dröge… na, wie es so ist, wenn man den absoluten Knaller landen will – da wird man überkritisch. Kein Problem, es war noch genügend Zeit, etwas Neues zu schreiben. Aktualität ist immer gut und dieses schreckliche Wolfthema mit Problemwölfen und nicht vorhandenen Wolfschutzzäunen füllte gerade mal wieder die Zeitungen. Klarer Fall für die Schaf-Selbsthilfe: Geniale Schafe entwickeln den Wolfalarm und ein dazugehöriges Wolf-Abwehrsystem. „Schafteam aus Süderbollwisch für den Nobelpreis nominiert“ und so weiter. Ich schrieb mir die Finger wund, mein Kopf arbeitete auf Hochtouren, meine originellen Ideen sprudelten nur so. Drei Tage vor dem Story-Slam stand die Geschichte. Mein Probenpublikum war begeistert: Mein Mann lachte sich halb tot, meine Schwester wollte mich direkt für den regionalen Literaturpreis vorschlagen, meine Freundin Susi kicherte fröhlich vor sich hin. Selbstbewusst zog ich in die Schlacht. Wer sollte mich auf meinem Spezialgebiet schlagen?

Pünktlich eine halbe Stunde zu früh erschien ich zum Termin, mein Gotlandschafffell handlich im Rucksack verpackt. Neunzehn aufgeregte Mitstreiter wuselten über die Bühne. Jeder von uns erhielt eine Startnummer und das Los sollte über die Reihenfolge der Lesung entscheiden. Fünf Minuten Lesezeit, dann würde das Mikro ausgeschaltet. Für mich kein Problem, da bin ich Profi: 10-mal vorgelesen, nicht zu schnell aber auch nicht einschläfernd langsam: 4 Minuten 43 Sekunden – es konnte nichts passieren.

Zwanzig Stühle auf der Bühne, ich drapierte mein Gotlandschafffell dekorativ auf meinem Stühlchen und dann ging der Vorhang auf. Das Publikum wurde eingewiesen: Zuerst die Lesung sämtlicher Geschichten, dann würden die Geräte zur Abstimmung freigeschaltet und während des Schnelldurchgangs durfte abgestimmt werden. Beifall während der Lesung sei natürlich erlaubt.

Die Losnummern zogen an mir vorbei: Die erste Autorin las wie ein Maschinengewehr und war nach vier Minuten mit ihrer Geschichte durch. Die nächste betonte an den falschen Stellen, Nummer drei wurde kurz vor dem Höhepunkt der Geschichte das Mikro abgedreht und so weiter. Als wir bei der 10. Darbietung angekommen waren und mir auf meinem Gotlandschaf allmählich so richtig warm geworden war, setzte tosender Applaus ein – da hatte jemand seine Fangemeinde mitgebracht. Komisch war nur, dass bisher kein einziges Schaf in den Geschichten vorgekommen war. Aber das hatte ich schon mal erlebt: Niemand hielt sich so wirklich an die Vorgaben. Wartet, dachte ich, je später, desto besser. Kurz vor Schluss war es dann endlich soweit: ‚Nobelpreis für Süderbollwisch‘ kam zum Aufruf.

Ich trat ans Mikro, überblickte kurz das Publikum und begann zu lesen. Ich las gut. Da gab es kein Verhaspeln, kein Aus-der-Zeile-Rutschen, die Betonung saß und der Blickkontakt zu den Zuhörenden kam selbstverständlich nicht zu kurz. Dass es im Saal unruhig war und ab der dritten Minute immer unruhiger wurde, störte mich zwar, konnte mich aber nicht wirklich verunsichern. Dass Mann, Schwester und Freundin nicht zu mir hinsahen, irritierte mich schon eher. Irgendetwas schien nicht zu stimmen. Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht. Noch vor dem Ende des letzten Satzes hörte ich etwas, das wie ein Blöken eines ausgewachsenen Widders klang und dann vermischten sich die Buh-Rufe und Pfiffe mit dem Blöken. Konsterniert stellte ich fest, dass mein Mann und Susi klatschten, meine Schwester aber den Kopf in den Händen verbarg.

Die letzten beiden Geschichten des Wettbewerbs rauschten an mir vorbei, die merkwürdige Saaldekoration zog mich plötzlich ganz in ihren Bann: Riesige Tuben hingen wie Banner von der Decke, das Rednerpult hatte die Form eines Senftopfs und dann entdeckte ich das Plakat mit dem Motto der Veranstaltung. Meine Hände krallten sich in das lockige Fell des Gotlandschafs und ich überlegte, ob ich eine Chance hätte, mich in Luft aufzulösen.

Die Lesung ging unbarmherzig ihrem Ende entgegen, aber auch während des Schnelldurchlaufs mussten wir auf der Bühne bleiben. Immer wieder brandete Beifall auf. Bei „Das Duell im Kühlschrank“ tobte der Saal, der grüne Abstimmungsbalken schoss nach oben. Bei meiner Geschichte erschien kein Balken, der Saal tobte vor Hohn und Spott. Ohrenbetäubendes Blöken als hätten sich alle Schafherden des Bundeslandes im Saal versammelt.

Der Hauptgewinn, 500 Euro und ein Werbevertrag bei „Senfmachers Scharfmacher“ ging an Trixi Müller und „Das Duell im Kühlschrank!“. Die übrigen Preise wurden unter dem Jubel der Zuhörer verteilt. Geldpreise für die Plätze 2 – 5, die Teilnehmer aus den Plätzen 6 -15 erhielten Präsentkörbe mit Senf in Töpfen und Tuben in unterschiedlichen Größen. Die letzten fünf Plätze wurden mit einer Tube Senf geehrt. Abschließend wandte sich der Veranstalter noch einmal ans Publikum: „Damit, meine Damen und Herren, endet unser heutiger Story-Slam ‚Hauptsache scharf‘.“

Die Senftube gab ich an meine Schwester weiter.