Von Christina Gmeiner

Inas Arm wurde langsam müde von der schweren Einkaufstüte, die sie nun schon seit gut zwei Stunden vor sich herschleppte. »Sind wir bald fertig?«, fragte sie gelangweilt und blickte auf ihre Armbanduhr. Schon halb drei. 

»Ich brauch noch eine schwarze Leggins und vielleicht die süßen Schuhe aus dem Schaufenster von vorhin.« Emma grinste sie an. 

Ina verdrehte die Augen. Was man nicht alles für seine Liebste tat. Stolpernd blieb sie stehen und wäre dabei fast in ihre Freundin hineingelaufen, weil diese abrupt angehalten hatte. »Was ist los?« 

Emmas Augen waren geradezu hypnotisch auf ein Schaufenster gerichtet. 

Als Ina einen Blick hineinwarf, bekam sie eine Gänsehaut, über den ganzen Körper. Darin befanden sich kleine, hölzerne Puppen. Keine Schaufensterpuppen, sondern Bauchrednerpuppen, die alle einzeln auf einem kleinen Podest saßen. Die eine war besonders gruselig. Sie hatte tiefschwarze Augen und passend dazu eine rote Fliege, um den Hals. Sie trug einen weißen Anzug und ihre Hände waren brav über dem Schoß verschränkt. 

»Komm, lass uns weiter gehen«, drängte Ina ihre Freundin und nahm sie bei der Hand. 

»Warte, wie findest du diese hier?« Sie zeigte auf die Puppe mit der roten Fliege und Ina lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. Die Hände der Puppe lagen nun ausgestreckt, auf beiden Seiten ihres Körpers herunter. 

Ihr Herz setzte für einen Schlag aus. »Unheimlich, und jetzt komm«, hetzte sie. 

»Hast du etwa Angst?«, zog sie Emma auf und ging mit einem breiten Grinsen in den Laden. 

Ina blieb unschlüssig vor der Türe stehen. Sie starrte die Puppe mit der roten Fliege an, als würde sie jeden Moment eine Bewegung erwarten. Lächerlich, redete sie sich ein. Es ist nur eine Puppe. Mit diesem Gedanken folgte sie Emma in das Geschäft. Es war klein und staubig; überall hingen Spinnweben von der Decke, der Boden knarzte und durch die Fenster zog ein kalter Luftzug herein. Ina zog ihre Jacke enger um ihren Körper und erblickte Emma, im Gespräch mit dem Ladenbesitzer. 

»Die Puppe mit der roten Fliege? Ich gebe Ihnen einen Sonderpreis. Wie wäre es mit fünfzig Euro?« Dem Mann lief der Schweiß von der Stirn, als wäre er gerade einen Marathon gelaufen. 

»Fünfzig?« Emma schmollte. »Wie wäre es mit Fünfunddreißig?«

»Du willst dieses Ding doch nicht etwa kaufen?« Bestürzt eilte Ina zu ihr. 

Bevor Emma etwas erwidern konnte, schaltete sich der Verkäufer wieder ein: »Wissen Sie was, weil Sie so eine liebliche, junge Dame sind, schenke ich Ihnen die Puppe.« 

Emmas Augen wurden groß. »Geschenkt?«, widerholte sie freudig. 

»Nein, danke.« Ina zog sie mit Überzeugung aus dem Laden, bevor noch irgendjemand etwas erwidern konnte. 

Der Ladenbesitzer lief ihnen nach, wollte weiterverhandeln, doch Ina blieb nicht stehen, verschloss ihre Ohren und Augen vor dem Mann, als wäre sie einer der drei Affen, und zerrte Emma weiter.

Nichts hören, nichts sagen, nichts sehen. 

»Was soll das?«, stieß Emma hervor und befreite sich aus dem Griff. »Er hätte uns die Puppe geschenkt.«

»Ich habe kein gutes Gefühl bei ihr. Irgendetwas stimmt da nicht«, antwortete Ina. 

Emma grinste. »Du hast Angst vor einem Spielzeug«, scherzte sie. 

Doch Ina ignorierte sie. Je weiter sie von diesem Spielzeug wegkam, umso besser. »Ich habe noch einen Termin bei der Bank«, meldete sie. »Danach komme ich zu dir, okay?« 

Emma nickte. »Du hast ja den Schlüssel.« Die beiden verabschiedeten sich und schritten in entgegengesetzte Richtung davon. 

 

Die Sonne ging bereits unter, als Ina bei ihrer Freundin vor dem Haus parkte. Klirrend zog sie den Schlüssel hervor und schloss die Tür, zu der Erdgeschosswohnung auf. Kein Licht brannte im Hausgang. Als sie die Lampen anmachte, erschrak sie beinahe zu Tode. Auf der Küchenarbeitsplatte, neben dem farbigen Messerblock, saß die kleine, hölzerne Puppe, mit der roten Fliege um den Hals. Es machte den Eindruck, als würde sie grinsen. 

»Emma«, schrie Ina. »Was macht diese Puppe hier?« 

Ihr Echo halte in der leeren Wohnung wieder. »Emma?«, fragte sie unsicher, in den Raum hinein und ließ die Puppe dabei nicht aus den Augen. Ihr Puls beschleunigte sich und ließ ihr Herz bis zum Hals klopfen. »Bist du da?«, flüsterte sie nun schon fast. 

Das Schlafzimmer, in dem sie als Erstes nachsah, war leer. Als sie wieder in die offene Wohnküche kam, lag ein grünes Messer neben dem Messerblock. Ina riss die Augen auf, war sich jedoch nicht zu hundert Prozent sicher, ob das Messer davor schon dort gelegen hatte. Sie zitterte wie ein kleiner Chihuahua und als sie ein leises Keuchen aus dem Bad hörte, zuckte sie zusammen.

Wenn das ein Scherz war, war es ein verdammt schlechter. Emma wusste genau, dass sich Ina nicht mal einen Horrorfilm ansehen konnte, ohne danach Albträume zu bekommen. Ihr Instinkt riet ihr, zu fliehen. Weg von der Puppe, Emma anrufen und die Polizei verständigen. Doch was, wenn Emma in der Wohnung war? Was, wenn es kein Witz war und sie in Schwierigkeiten steckte? Ina könnte sich das niemals verzeihen. Ein weiteres leises Röcheln folgte aus dem Bad. Und auch, wenn all ihr gesunder Menschenverstand sie aus der Wohnung rauslocken wollte, konnte sie nicht anders. Sie musste wissen, ob Emma hier war. 

Vorsichtig öffnete sie die quietschende Tür– dem letzten verbleibenden Raum, in der Wohnung. Sie wusste nicht, was sie erwartete hatte. Ina, verletzt auf dem Boden? Oder Ina die sich hinter der Tür versteckte und sie erschrak? Gewissheit wäre vermutlich besser gewesen, als das, was vor ihr lag: Leere. Ihre Freundin befand sich nicht in der Wohnung, doch was sie stutzig machte, war das Fenster, das weit offenstand und eine Priese Frühling hereinwehte. Sie ging einen Schritt darauf zu und dann sah sie es: Kleine rote Flecken auf dem Fußboden. Sie unterdrückte ihren Würgereiz und hob eine Hand zum Mund.

Panik stieg in ihr hoch, ihr wurde heiß und kalt zugleich, als hätte sie Fieber und ihr Puls beschleunigte sich. Einen Herzschlag später, hörte sie dumpfe Schritte hinter sich, doch sie wagte es nicht, sich zu bewegen, als wären ihre Beine auf dem Boden festgefroren. Denn es hörte sich an, als würde Holz auf Holz gehen. Als die Schritte verklangen, lief eine einzelne Träne ihre Wange herab, denn offenbar war derjenige an seinem Ziel angelangt. Sie musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass jemand im Türrahmen stand. Es war das Kribbeln in ihrem Bauch, dass es ihr verriet. 

Als nächstes hörte sie ein anderes Geräusch. Ein Kratzen über dem Parkettboden, dass ihre Schockstarre löste. Langsam, als könnte das Böse sie dadurch nicht sehen, drehte sie sich um. 

Hinter ihr auf dem Fußboden saß die kleine, hölzerne Puppe, mit der roten Fliege. Neben ihr das grüne, blutige Messer. 

Die Puppe lächelte.