Von Marianne Apfelstedt

Wenn Sie annehmen, es wäre ein Drama, als Ameise wiedergeboren zu werden, sind Sie auf dem Holzweg. Dieses Karma nahm ich nie für bare Münze. Warum auch? Der Tod ereilte mich völlig unverhofft. Wie sollte Frau sich auch auf so ein Ereignis vorbereiten?

Zusammen mit Carla, meiner ich-vertrau-dir-nicht-die Bohne-aber-du-bist-das-was-einer-Freundin-am-nächsten-kommt-Favoritin, saß ich beim Italiener um die Ecke. Genau, in diesem schicken Restaurant, mit den weißen Damast Tischdecken, dem vornehmen Ambiente, den autoradgroßen Tellern, in deren Mitte eine Winzigkeit von Lasagne serviert wurde und dem Salat, der in meine Kaffeetasse passte. Exquisit, aber satt wurde davon niemand. Vorsorglich hatte ich zu Hause eine Kleinigkeit gegessen. Wir vertrieben uns die Wartezeit auf das Essen mit dem Austausch des neuesten Klatsches. „Hast du schon gehört? Die Müller hat ein Verhältnis mit dem Leiter des Außendienstes“, sprudelte es aus Carla hervor.

„Nein, wirklich? Die Müller? Die läuft doch immer in Müllsäcken rum, total unvorteilhaft, bei der Figur. Na ja, die Geschmäcker sind verschieden.“ Unsere Salate wurden aufgetischt: Klein, aber fein. Ich aß ein Blättchen nach dem anderen, um den Genuss zu verlängern. Ein Glas Prosecco verkürzte uns die Wartezeit, bis die Lachslasagne serviert wurde.

„Warst du seit unserem letzten Treffen beim Frisör? Deine Haare sehen heute anders aus.“ So pluderig, fast wie bei einem Wischmopp, dachte ich.

„Ich habe ein neues Shampoo, das sorgt für Volumen. Solltest du auch mal ausprobieren“, klärte mich Carla auf.

Nee, sonst laufe ich so rum wie du. Glücklicherweise blieb mir eine Antwort erspart, da unser Hauptgang serviert wurde. Köstlich, zarter Lachs mit Spinat und Sahnesoße. Ich gab das Genießen auf und schaufelte die leckere Lasagne in mich hinein. Beim nächsten Bissen verschluckte ich mich heftig, an den Speisebrocken. Ich hustete, bekam das blöde Teil aber nicht heraus, dazu tat es höllisch weh. Vermutlich steckte eine Gräte darin! Panisch stand ich auf, Carla klopfte auf meinem Rücken herum, der Kellner hielt mir ein Glas Wasser vor die Nase. Verzweifelt versuchte ich immer wieder, das blöde Teil durch Husten und Räuspern loszuwerden. Vergeblich. Es wurde dunkel … alle Töne waren gedämpft und das Erste, was ich sah, war eine Frau, die mein Kleid trug und auf dem Boden lag. Rettungssanitäter waren schwer beschäftigt mit ihr. Mich bemerkte keiner. Carla schluchzte und putzte sich geräuschvoll die Nase. Na, ihr Augen Make-up war eindeutig hinüber. Mist! Die Frau am Boden, das war ja ich! Das Team stellte die Reanimation ein.

„Hey, nicht aufhören. Mensch, holt mir doch endlich den Lachs aus dem Hals, dann bekomme ich wieder Luft.“ Keiner hörte mich. Ich wollte Carla schütteln, bekam sie aber nicht zu fassen. Um mich herum wurde es noch schwärzer. Eine Taschenlampe wäre jetzt nützlich.

 

Als es wieder hell wurde, sah ich jede Menge Menschen, die an mir vorbeihasteten. Wieso haben die alle Mantel, Schal und Mütze an? Es ist doch nicht kalt. Wo zum Teufel bin ich gelandet? Moment, etwa drei Meter von mir entfernt stand eine Glasscheibe, eher eine Glaswand. Die Leute waren draußen und ich drinnen.

Nur wo? Mal sehen, was hinter mir ist. Hey, ich kann den Kopf nicht drehen! Irgendetwas funktionierte nicht mit meinem Körper, ich fühlte mich schockgefroren, nur nicht so kalt. Einer Statue gleich stand ich an Ort und Stelle. Beweglich waren nur die Augen, sogar blinzeln konnte ich. Die Straßenbeleuchtung auf der anderen Seite der Scheibe ging an. Die Menschen wurden weniger. Dann verabschiedete sich das Tageslicht und ich sah schon wieder nichts.

 

„Du kannst jetzt runterspazieren“, hörte ich eine Stimme hinter mir.

„Wer spricht da? Wow, ich kann sprechen!“ Vorsichtig probierte ich, meine Arme und Beine zu bewegen. Etwas mühselig, wie eingerostet, stieg ich vom Podest. Langsam drehte ich mich um.

„Lass uns weiter nach drinnen gehen, da sieht uns niemand.“

Der Sprecher, eine männliche Schaufensterpuppe, stand hinter mir lässig an einen Kleiderständer gelehnt und taxierte mich. Er hatte einen schicken blauen Anzug an. Sein rundes Gesicht mit Zwergenbart schaute mir freundlich entgegen.

„Du bist neu hier? Gestatten: Tim. Wie heißt Du?“, fragte der Bärtige. Ich eilte an ihm vorbei, auf der Suche nach dem Ausgang.

„He wo willst du hin? Es ist abgeschlossen, du kommst hier nur am Tag raus, nachts ist alles verschlossen.“

„Woher weißt du das? Ich heiße Vera. Was soll das alles?“, fragte ich, theatralisch mit den Armen wedelnd.

„Das habe ich schon ausprobiert. Bis vor kurzem waren zwei andere Schaufenstermenschen da. Die sind bereits weitergezogen. Von ihnen weiß ich, dass wir uns nur nachts bewegen können und festsitzen, weil wir so viel schlechtes Karma angehäuft haben. Was hast du ausgefressen?“

„Quatsch! Geht dich nix an. Und du, wieso bist du hier gestrandet?“, blaffte ich ihn an. Ja, warum war ich hier? Gut, tyrannisiert hatte ich einige Mitmenschen und bei Männern ließ ich nichts anbrennen. Da war mir egal, ob sie verheiratet waren. Ich nahm mir, was ich wollte. Das konnte es nicht sein, tat doch jeder, den ich kannte.

„Ich war ein echtes Ekelpaket und habe meine Arbeitskollegen ständig gemobbt und …“, er erzählte eine endlose Story. Puh. Jetzt saß ich mit einem unattraktiven Langweiler fest, oh Mann. Falls er mal Luft holt, kann ich eine Frage stellen.

„Wie werde ich wieder ein Mensch?“, unterbrach ich ihn mitten in der ausschweifenden Erzählung, Geduld war nun mal nicht meine Stärke.

„Keine Ahnung. Alles ist möglich, Säugetier, Fisch oder Insekt. Du musst halt dein Karma verbessern, dann vielleicht.“ Tim erzählte die ganze Nacht von seinen Frauengeschichten. Er schwafelte und meine trüben Gedanken verhedderten sich wie Wollfäden. Im Morgengrauen stand ich wie gemeißelt auf dem Podest, das Licht im Verkaufsraum beendete meinen nächtlichen Bewegungsradius. So vergingen die Tage im Einerlei. Nach einiger Zeit war auch noch Tim verschwunden, war weitergezogen. Ich hatte mich schon an sein Gequatsche gewöhnt und fand ihn gar nicht mehr so übel. Über seine Witze hatte ich gerne gelacht. Jetzt war ich ohne Gesellschaft.

 

Tags darauf bekam ich, wie eine Barbiepuppe, ein neues Outfit angezogen und wurde auf ein anderes Podest mitten unter die Kleiderständer gestellt. Klasse, jetzt konnte ich nicht mal mehr auf die Straße sehen. Gelangweilt wanderte mein Blick von links nach rechts und wieder zurück. Ein Mädchen mit dunkelblonden langen Haaren fiel mir auf. Ich schätzte sie auf 13 Jahre. Sie hatte auffallend grüne Augen. Diese Brille geht ja gar nicht, jemand sollte ihr Kontaktlinsen geben. Wieso schaut sie sich so verstohlen um? Die führt was im Schilde. Hey, ich sehe dich! Sie hatte drei Topps auf Bügeln zum Anprobieren dabei und ging damit in die Umkleidekabine. Kurz darauf kam sie wieder zurück in mein Blickfeld. Aha, erwischt. Dir sieht man das schlechte Gewissen an, Mädel. Sie hatte nur noch zwei Topps in den Händen, die hängte sie an die Kleiderstange. Du darfst nicht klauen! Sie lief direkt auf mich zu. Los schau zu mir! Guck in meine Richtung, mach schon! Unsicher sah sie sich um. Unsere Blicke kreuzten sich blitzartig. Ich blinzelte. Meine Wimpern bewegten sich wie Kolibriflügeln auf und ab. Ja, ich weiß, was du versteckst. Leg das Teil zurück, sei ein braves Mädchen. Sie wurde rot, fühlte sich ertappt, das sah ich ihr an. Sie ging retour zur Umkleidekabine, kurz darauf trat sie wieder zum Kleiderständer in meiner Nähe und hängte das fehlende Top zurück. Mit feuerroten Wangen sah sie nochmal zu mir, wenn ich doch nur nicken könnte. Ich bemühte mich freundlich zu schauen, nur ein einziges Blinzeln. Wir verstanden uns.

 

Draußen am Brunnen vor dem Bekleidungsgeschäft.

„Spinnst du?“, schimpfte Mila.

„Doch, glaub mir. Diese Schaufensterpuppe hat wie eine Irre mit den Augen geblinzelt und mich böse angeschaut. Ich dachte, sie springt gleich von dem Podest runter. Vielleicht so eine Art Diebstahlsicherung, keine Ahnung. Die hat gemerkt, dass ich ein Top unter meinem Shirt anhatte. Ich bin mir sicher. Bitte glaub mir, auch wenn es sich verrückt anhört“, bettelte Lena.

„Wenn du zu unserer Bande gehören willst, musst du was im Kaufhaus klauen. Du bist ein Feigling, hau ab!“

 

Jetzt war es wenigstens nicht mehr so eintönig, nachdem ich herausgefunden hatte, dass ich mit Menschen durch Blinzeln kommunizieren konnte, um sie von Dummheiten abzuhalten. In meinem Blickfeld beobachtete ich die Kunden. Soeben verließ ein beinahe Dieb eilig den Laden. Er rannte fast und ich freute mich, grinste innerlich, weil ich ihn blinzelnder Weise so erschreckt hatte, dass er seine Beute zurückließ. Wieder einmal hatte ich durch Blinzeln einen Menschen von einer großen Dummheit abgehalten. Mein altes Ego, als Miststück, vermisste ich immer weniger. Hey, schon wieder Dunkelheit. Es war doch erst Nachmittag.

 

Ich öffnete die Augen und sah Grasbüschel vor mir. Grünes Gras. Mir knurrte der Magen und durch meine Nase strömten haufenweise Gerüche. Ich reckte und streckte mich. Moment mal. Warum liege ich auf dem Boden? Das war krass, meine Hände endeten in dicken schwarzen Pfoten mit Haaren. Oh nee! Fell am ganzen Körper. Vorsichtig immer eine der bepelzten Pfoten vor die andere schiebend ging es vorwärts. Das fühlte sich ungewohnt an. Oh Mann, wie das juckte. Ich setzte mich und kam doch tatsächlich mit der Hinterpfote bis zum rechten Ohr. Wie das beißt. Oh, das Kratzen tat gut. Ich tapste immer weiter und gewöhnte mich so langsam an meinen Quattro-Antrieb.

 

V2