Von Christiane Labusga

Hatte sich da, ja, eben … die Puppe bewegt?

Anne drehte sich um, rückte ihre Brille gerade, sie war etwas kurzsichtig und vertraute darum ihren Wahrnehmungen nur wenig. Die Puppe. Diese merkwürdige Puppe, ganz silbern, passte gar nicht zu den anderen Schaufensterpuppen in Rosa. Überall nur rosa Puppen, als gäbe es nicht noch mehr Hautfarben in der Welt. Aber silbern war nun auch niemand.

Die silberne Puppe war wieder starr. Anne ging zurück, um sich vor dem Fenster zu positionieren. Die Puppe zwinkerte. Was? Hat man so was schon einmal gesehen? Anne trat näher ans Fenster, prüfte den Raum direkt an der Wand, ob dort ein Kabel lag, irgendetwas, das die Bewegung erklären könnte…  Als sie wieder hoch sah, blickte sie direkt in das Gesicht der Puppe. Diese hatte sich zu ihr herabgebeugt – und zwinkerte wieder!

Das war Anne zu viel. Sie packte ihre Tasche fest an den Körper und rannte zur U-Bahn. Auch, wenn sie wusste, dass nach 19 Uhr die Bahn nur noch im 20-Minuten-Takt fuhr, den sie gerade verpasst hatte.

Am nächsten Tag hatte sie etwas früher Schluss. Sie schlenderte auf der gegenüberliegenden Seite zum Schaufenster mit dem Silbermann. Dort stand er, hinter den anderen Schaufensterpuppen. Und immer, wenn jemand lange vor dem Schaufenster stand, begann er sich zu bewegen. Ein wenig. Immer einladend. Was für ein cooles Marketing!

Anne war sich nun sicher, dass es sich um einen Algorithmus handeln musste, der irgendwie mit einer Kamera verbunden war, und trat versuchsweise wieder hinüber ans Schaufenster.

Der Silbermann winkte. Das hatte er ihrer Beobachtung nach noch nie getan. Sie sah ihn entgeistert an. Der Silbermann kniete sich im Schaufenster hin, führte beide Hände an seine Brust und öffnete sie ungestüm in ihre Richtung. Dann blickte er sie erwartungsvoll an, und als Anne nicht reagierte, sackte er langsam in sich zusammen. Anne rannte weg.

Am nächsten Tag fand Anne wieder einen silbernen Mann im Schaufenster. Der schien ihr aber älter zu sein, er sah sie nicht an, zwinkerte auch nicht, aber er änderte häufig seine Position, abgehackt, wie ein Roboter. Anne ging in das Kaufhaus hinein.

„Sagen Sie mal“, fragte sie die erste Verkäuferin, die ihr über den Weg lief, „die silberne Puppe von gestern, was haben Sie denn mit der gemacht?“

„Silberne Puppe? Ach, der Svennie. Der hatte keine Lust mehr. Der meinte, er hätte sich im Schaufenster verliebt. Aber weil er da nichts ausrichten kann, hat er geschmissen. Muss ziemlich blöd sein, sich in eine Puppe zu verlieben!“

„Eine Puppe?“

„Ja, klar, was denken Sie denn? Der hatte doch im Schaufenster den ganzen Tag nix als Puppen um sich!“

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