Von Christiane Labusga

Das Hämmern an der Wohnungstür wird eindringlicher: „Aufmachen, sofort! Hier ist die Polizei!“

„Ich komme gleich!“, ruft Easy zurück. Er steht gebeugt über der Toilette und kippt ein Tütchen nach dem anderen aus. Dahin rieseln ein paar hundert Euro, aber lieber der Verlust, als in den Knast. Easy ist auf Bewährung und das Zeug bringt ihn sofort hinter Gitter. Da will er nicht hin. Nie wieder. Nur noch die Smarties, die kleinen bunten Pillchen, seine Hellmacher in dunklen Tagen…

Er kann sich noch nicht überwinden, sie zu vernichten. „Wir brechen jetzt die Tür auf!“ „Ja, ich komme!“ Er schaut nicht hin, wirft die Smarties noch in der Tüte ins Klobecken und spült, bis ein Polizist neben ihm auftaucht und ihn von der Spülung wegzieht.

Unten im Kanal sitzen zwei Ratten, dicke Kumpel schon seit ihrer Kindheit. Es gurgelt im Fallrohr über ihnen, sie schnuppern: „Wasser, klar. Wir könnten duschen.“ „Ich zuerst!“, sagt die eine, und stellt sich unter den Schwall, der jetzt aus dem Rohr stürzt. Leere Plastiktütchen sind auch im Wasser, und als die nasse Ratte sich mit der Schnauze durch das Fell fährt, spuckt sie aus: „Bäh, ganz bitter. Sogar das klare Wasser verderben diese Menschen!“ Ein Tütchen voll mit bunten Pillen rutscht jetzt aus dem Rohr . „Meins!“, ruft die nasse Ratte, „Meins!“, ruft die andere fast gleichzeitig.

„Ich habe zuerst gerufen!“, schimpft die nasse Ratte. „Und ich hatte zuerst meine Pfote darauf!“, die andere.

Die nasse Ratte scheint plötzlich zu wachsen, aber es sind nur ihre Haare, die sich ganz besonders stark aufrichten. Nass glänzen sie wie Stacheln. Sie fletscht die Zähne: „Ich bring dich um. Und fress dich auf!“ sie stürzt sich auf die andere Ratte, wirft sich aber plötzlich auf den Rücken, windet sich dort lachend, jappst: „Ich bring dich um. Und fress‘ dich auf. Hahahahaha!“

Die andere Ratte schnappt sich das Tütchen mit den bunten Pillen. Die sind aus Schokolade, sie freut sich schon. In einem sicheren Winkel beißt sie das Tütchen auf und nagt an der ersten Pille. Aber sie ist nicht aus Schokolade, sondern bitter, wie das Wasser. „Diese Menschen, was machen die nur?“

Die Ratte setzt sich auf ihre Hinterbeine und lehnt mit dem Rücken an der Wand, als sie „Wo bist du? Ich bring dich um!“ als gelbe Wolke durch den Kanal ziehen sieht. „Schön“, denkt sie, „wie macht sie das nur?“ Sie kratzt sich den Bauch, und das Kratzen wird zu roten Funken. „Wow, wie schön!“ Sie tappt mit den Pfoten auf den Beton: rosa Strahlen ziehen ins Dunkel. Keck lässt sie den Warnschrei ihrer Art ertönen, in schrillem Grün jagt er durch den Kanal.

„Ha, da bist du! Ich bring dich um. Und fress‘ dich auf!“ Wie ein Stachelschwein rast die nasse Ratte heran, mit gefletschten Zähnen und blutunterlaufenen Augen. Sie rast so schnell, wie man noch nie eine Ratte hat rasen sehen, rennt an der anderen vorbei Richtung Ausgang, immer wieder schreiend, dass sie die andere umbringen und fressen wird. In einer gelben Wolke, in die das Getrappel ihrer Pfoten bunte Funken sprüht.

Die andere Ratte bleibt zurück, entspannt. Gegenüber gurgelt es hellblau in einem Fallrohr, und ein Schwall Wasser ergießt sich in gleißendem Weiß in die Kloake. „Oh, wie schön!“ Die Ratte durchströmt ein Glücksgefühl, wie sie es noch nie erlebt hat. Die Tropfen, die jetzt noch vereinzelt aus dem Rohr auf den Boden fallen, lassen kleine Diamanten in das Dunkel springen: patsch, patsch, patsch.

Die Ratte erfüllt eine große Weisheit: Alles ist gut. Sie betrachtet ihre Pfote und legt sie dann sacht auf den Beton. Ein warmes Leuchten bildet sich zwischen Pfote und Beton, und als sie die Pfote wegzieht, bleibt ihr Abdruck hell glimmend zurück. „Alles hängt mit allem zusammen.“ Eine Welle allumfassender Liebe überwältigt sie. Sie lehnt sich wieder zurück, dreht die Vorderpfoten mit der rosa Innenfläche nach oben. Sie ist glücklich. Ein Wort steigt in ihr auf, sie schließt die Augen: „Aummmmmmmm.“ Sogar mit geschlossenen Augen sieht sie den klaren blauen Ton…

Am nächsten Morgen wacht draußen am Ende des Kanalrohrs eine verkaterte Ratte auf. Ihre Haare stehen wild ab, ihre Kiefer schmerzen vom stundenlangen Zähnefletschen. Und überhaupt tut ihr alles weh und sie fühlt sich so elend wie noch nie. „Was habe ich nur getan?“, Tränen treten ihr in die Augen. „Ich habe meinen besten Freund umgebracht. Und aufgefressen!“ Sie beginnt bitterlich zu weinen.

Da legt sich eine Pfote auf ihre Schulter: „Weine nicht, alles ist gut! Om.“ „Du bist doch tot?“ „Ich bin zurückgekehrt. Alles hängt mit allem zusammen. Folge mir, und alles wird gut!“