Von Martina Annecke

„Heute muss es klappen. Es ist meine letzte Gelegenheit.” Fidelius lief um den Alchemietisch herum und knetete nervös seine Hände. Dann blieb er stehen und ordnete noch einmal gewissenhaft seine Gläser und Gefäße.

“Löwenzahn, Goldkraut, Eisentraute, Froschaugen…” Er erinnerte sich, wie schwierig es war Froschaugen zu trocknen. Es hatte ihm vor allem viel Zeit gekostet. Zeit, die ihm gefehlt hatte, um den Trank vor der Prüfung schon einmal zur Probe herzustellen. Fidelius warf einen nervösen Blick zu der dunklen Holztür, bald würden sie kommen. Der junge Anwärter ging in Gedanken noch einmal das Rezept für den Trank durch, als ein Klopfen das Ankommen der Prüfer ankündigte. Zehn alte Männer in Roben und fast alle mit langen Bärten traten in den Raum und nahmen auf einer langen Bank rund um den Tisch Platz. Mit strengen Blicken bedachten sie den jungen Mann, der in die Riege der Alchemisten aufgenommen werden wollte. Fidelius kannte nur zwei von ihnen. Herodeon, der Führer der Gilde und sein Vertreter Arteon. Dieser stand jetzt auf und ergriff das Wort.

“Nun, Fidelius, wir sind hier zusammengekommen, um dir ein letztes Mal die Gelegenheit zu geben, in unsere erhabene Gesellschaft aufgenommen zu werden. Um nicht unnötige Zeit zu verlieren, fange bitte gleich an. Ich bin gespannt, womit du uns diesmal überraschen wirst.“ Ein gemeines Grinsen zeigte sich auf Arteons Gesicht und auch aus der Reihe der alten Männer kam amüsiertes Gemurmel.

Fidelius nickte stumm und stellte sich hinter seinen Tisch. Er atmete noch einmal tief ein und aus und begann, den Trank zu brauen. Er setzte einen alten verbeulten Topf auf ein Dreibein, unter dem ein kleines Feuer brannte. Nach und nach fügte er die nötigen Zutaten und Pülverchen hinzu. Einen großen Löffel von diesem, eine Messerspitze von jenem. Alles schien seinen richtigen Gang zu gehen und je mehr es in dem Topf brodelte, desto sicherer wurde Fidelius seiner Sache. Es fehlte nicht mehr viel, nur noch die letzten drei Zutaten. Fidelius griff nach der nächsten Flasche, ach ja die Froschaugen. Mit einem Löffel holte er die erforderliche Menge aus dem Gefäß und schüttete sie in das Gebräu.

“Jetzt nur noch die Breuelwurzel…”, aber dazu kam es nicht mehr. Die Froschaugen hatten den Trank so in Aufruhr gebracht, dass der Topf auf dem Gestell wild zu hüpfen begann. Fidelius wollte nach ihm greifen, doch die Hitze verbrannte ihm die Finger, sodass er sie schnell wieder wegzog. Dabei bekam der Topf einen letzten Schwung und kippte nach vorne in Richtung der Alchemisten. Noch bevor jemand reagieren konnte, schoss das Gebräu aus dem Topf und ergoss sich über die alten Männer. Nur Arteon konnte noch geschickt ausweichen.

„Fidelius!”, brüllte er. „Was hast du diesmal getan?” Der junge Mann starrte entsetzt auf die alten Männer, die unter wütendem Gemurmel aufstanden und versuchten sich das Gebräu von Kleidern und Gesicht zu reiben.

„I ich weiß nicht”, stotterte er. „Ich habe die Froschaugen doch genau abgemessen.”

Arteon trat näher und besah sich das Gefäß.

„Was ist das?”

„Getrocknete Froschaugen, es war sehr schwer sie herzustellen…”

„Fidelius, du Gossengnom!”, rief Arteon. „Froschauge ist eine Pflanze.”

„Ach herrjeh.” Fidelius, der begriff, dass jetzt wohl alles vorbei war, wandte sich entschuldigend zu den anderen Prüfern um. Die Worte blieben ihm aber in der Kehle stecken. Er zupfte Arteon am Ärmel und zeigte auf den Schlamassel. Auch dieser wurde sprachlos bei dem Anblick, der sich ihm bot.

Wo eben noch neun alte Männer saßen, lag nur noch ein Haufen Kleidung auf denen eine Gruppe Frösche dumm in den Raum glotzte. Dann begann der erste zu quaken. Alle anderen folgten, es wurde so laut, dass es kaum noch auszuhalten war.

„Ruhe!”, brüllte Arteon, aber keiner der Frösche kümmerte sich um seine Worte. Im Gegenteil, sie quakten unbeirrt weiter und begannen allmählich hüpfend den Raum zu erkunden.

„Fidelius, lass keinen entwischen. Ich hole Hilfe.” Arteon verließ den Raum und Fidelius versuchte, die hüpfenden Gestalten nicht aus den Augen zu verlieren. Es wurde jedoch immer schwieriger als sie sich zwischen Bänken und Tisch verteilten und so bekam er nicht mit, dass zwei durch einen Spalt in der Tür aus dem Raum entkamen. Arteon kehrte mit einigen jüngeren Alchemisten und Kisten zurück und gemeinsam versuchten sie, der Plage Herr zu werden. Aber sie mussten irgendwann feststellen, dass nur noch sieben von den Fröschen zu finden waren. Wieder bekam Fidelius die Schuld an dem Verlust.

„Ich hatte dir aufgetragen, sie im Auge zu behalten!”, herrschte Arteon ihn an.

„Ich weiß, Herr Arteon, es tut mir auch wirklich leid, aber…”

„So, es tut dir leid? Nimm deine Beine in die Hand und such!” Fidelius verließ in aller Eile den Raum, und begann die Gänge abzusuchen. Gefolgt von den Helfern, die Arteon ihm hinterhergeschickt hatte. Die jungen Männer hatten vielleicht keinen Spaß an der Suche, an der Situation aber auf jeden Fall. Sie machten Witze und empfanden auch ein wenig Genugtuung darüber, was den alten Männern zugestoßen war. Jeder, der schon unter strenger Leitung gestanden hat, kann das sicher nachvollziehen. Die Suche im Gebäude blieb aber ergebnislos.

„Wie geht es weiter?”, fragte Fidelius niedergeschlagen.

„Wir werden draußen weitersuchen. Man lässt uns sowieso nicht zur Ruhe kommen, bevor die beiden Frösche gefunden worden.”

Die jungen Männer verließen das Gebäude und schnell hatte einer den Geistesblitz, den nahen See aufzusuchen. Dort angekommen, stellte sich aber gleich das nächste Problem. Frösche gab es hier genug, aber welche davon konnten die verzauberten Alchemisten sein? Nichtsdestotrotz gaben sie ihr Bestes und stiegen in das Gewässer. Gelegentlich fingen sie sogar einen der quakenden Gesellen. Aber selbst bei genauerer Betrachtung, ließ sich kein Unterschied oder ein Zeichen ehemaligen menschlichen Daseins erkennen. Ratlos, durchnässt und erschöpft legten die jungen Männer eine Pause ein. Die wenigen Frösche, die sie hatten fangen können, saßen in einer Kiste, glotzten sie an und quakten noch einige Zeit lang laut. Dann verstummten sie.

„Was hat das jetzt zu bedeuten?”

„Horch doch, auf dem See ist ebenfalls Ruhe eingekehrt.” Die Männer lauschten. Tatsächlich, alles war ruhig. Nur zwei Frösche, die in der Mitte des Sees auf einem Seerosenblatt saßen, quakten unbeirrt vor sich hin.

„Könnten sie das sein?”, fragte Fidelius. Noch bevor jemand seine Frage beantworten konnte, stieß ein Storchenpaar aus dem Schilf und erfreut über die leichte Beute griff es schnell zu.

„Ich bin sicher, dass sie es gewesen sind”, bemerkte einer der jungen Alchemisten. Fassungslos beobachteten sie die beiden großen Vögel, die sich schnell wieder in den Himmel erhoben.

„Könnt ihr denn nichts tun?“

„Fidelius, wir sind keine Magier.“ 

„Aber ein Magier könnte das?“

Achselzuckend wandte sich der Alchemist von Fidelius ab. „Was weiß ich, möglich wäre es.“

Schweigend entleerten sie die Kiste und die Gruppe kehrte zur Gilde zurück. Fidelius trottete hinterher und überlegte, ob es nicht viel praktischer sein würde, als Magier durch die Welt zu gehen, denn als Alchemist.

“Das ist wirklich bedauerlich, aber ich kann eurer Vermutung nur zustimmen”, bemerkte Arteon als er ihre Geschichte gehört hatte. Fidelius fand, dass er die schlechte Nachricht seltsam gefasst aufnahm. Arteon ging, die Hände auf den Rücken gelegt, in seinem Zimmer auf und ab. Warf dabei immer wieder einen Blick, in die Kiste mit seinen quakenden Gildenbrüdern. Schließlich blieb er vor den jungen Männern stehen.

„Ich denke, bis auf weiteres werde ich die Führung unserer Gilde übernehmen müssen. Ich weiß wirklich nicht, wie lange es dauern kann, bis wir ein Gegenmittel für das Unglück, dass dieser Tölpel über uns gebracht hat, finden werden.” Dann wandte er sich direkt an Fidelius.

“Du wirst dieses Gebäude nie mehr betreten. Ich will weder dein Gesicht jemals wieder sehen noch deinen Namen noch einmal hören. Und ihr anderen, ihr schafft mir diese quakende Kiste aus den Ohren.”

Als Arteon allein war, stahl sich ein heimliches Grinsen in sein Gesicht. Mit solch einer schnellen Beförderung hatte er nicht gerechnet. Er würde sich sehr viel Zeit lassen, ein Gegenmittel zu kreieren, man musste ja auch sicher gehen, dass nichts schiefgeht. Er zog das Fläschchen mit den Froschaugen aus seiner Robe und betrachtete es lächelnd. Dann setzte er sich an seinen Schreibtisch und schrieb das Rezept auf, man konnte ja nie wissen. Als er fertig war, schloss er beides in seinen Schrank ein. Froschaugen trocknen, wie kam man nur auf so eine Idee? Kopfschüttelnd verließ er sein Zimmer, um der Gilde die neuen Verhältnisse in diesem Haus nahe zu bringen.

Und Fidelius? Der hatte seinen Traum vom Alchemistendasein schnell aufgegeben und wurde als Koch in seinem eigenen Wirtshaus sehr erfolgreich und über das ganze Land bekannt. In letzter Zeit hört man allerdings immer häufiger von eigenartigen Vorkommnissen in dem Wirtshaus …

 

 

 

V2 / 8960 Zeichen