Von Lea Naum

»Strecken Sie jetzt das rechte Bein senkrecht nach oben und bleiben Sie in dieser Position!« Die Frau auf der CD hat gut Reden, denkt Zazaraba. Dann holt sie tief Luft und …

»Ohh … Ahh … Autsch!« Zazaraba verdreht die Augen. Ihr rechtes Bein ragt wie ein Haken in die Luft. Ans Ausstrecken ist nicht zu denken. Zudem sticht es höllisch in der Hüfte und Wirbel im Hals knacken so laut, dass Dexter erschrocken aufspringt und sie mit aufgerissenen gelben Katzenaugen anstarrt.

 

»Ja, Dexter, Du hast ja recht. Dieses Yoga-Zeugs bringt mich noch um!« Stöhnend rollt sich Zazaraba auf die Seite und hievt sich vorsichtig auf Hände und Knie. Verdammt! Mit 698 Jahren sollte sie diesen Blödsinn vielleicht nicht mehr machen. Anderseits ist das noch kein Alter für eine Hexe. Wo ist nur der Zauberast zum Abstützen? Zazaraba bemüht ihr geistiges Auge. Der Ast erscheint ihr. Er lehnt an der Badewanne. Ach ja – das Rheumabad von gestern Abend! Zazaraba dreht bedächtig ihren Hals. Schräg von unten wirft sie einen Blick auf die Kuckucksuhr.

Mist! Sie muss sich beeilen. Auf ihrer To-do-Liste stehen noch die unheilbaren Ganzkörperpickel für die Geliebte eines verheirateten Mannes, der Stimmverlust für einen hysterischen Chef und die stark verkrümmten Gichtfinger für den Taschendieb, der den Opa auf dem Bahnsteig beklaut hat.

In einer Viertelstunde beginnt auch ihre Online – Sprechstunde im Darknet. Zazaraba spürt plötzlich ein dumpfes Bauchgrummeln. Ihr wird sogar ein bisschen übel. Die Live-Chat Geschichten schlagen ihr echt auf den Magen. Durch dieses neumodische Zeug, gerät die ganze Hexerei irgendwie außer Kontrolle!

 

Die Sache mit dem blöden Köter zum Beispiel: Die junge Dame auf dem Bildschirm war total nett. Sie wollte, dass sich ihr Arbeitskollege unsterblich in sie verliebt. An sich ist das für eine Hexe mit langjähriger Berufserfahrung eine Kleinigkeit. Dann tauchte auf dem Monitor plötzlich der Schädel einer Dogge auf. Erst schlabberte das Tier im Gesicht der jungen Frau herum. Schließlich drängelte er sie völlig weg. Der ganze Bildschirm war schlagartig eine einzige geöffnete Hundeschnauze. Dexter flippte total aus. Er sprang von ihrer Schulter geradewegs in den geöffneten Fang, wollte sich festkrallen, rutschte am Bildschirm ab, sprang wieder und wieder und geriet am Ende derart in Raserei, dass sie den Veterinär rufen musste. Der Monitor, mehrere Gläser mit eingelegten Froschaugen und zwei ihrer besten Glaskugeln hatten es nach diesem Vorfall hinter sich. Schlimmer noch! In dem ganzen Chaos verlor sie die Kontrolle und stieß in ihrer Aufregung einen Fluch aus. Die junge Dame wohnt jetzt mit einer zahmen Ratte zusammen. Naja, vielleicht gewöhnt sie sich ja dran!  

Dann die Frau mit dem Trennungswunsch! Sie begehrte die Kraft, ihren Mann zu verlassen. Das ist mit ein wenig Konzentration flugs gemeistert. Zuerst war nur das Brüllen des Mannes zu hören. »Was machst Du da an meinem Rechner, du dämliche Schlampe!« Dann erschien er auf dem Bildschirm hinter der Frau. Und wie er seinen Arm gegen die Ärmste erhob, konnte sie nicht anders. Ein kurzes »Ratziwatzifatzi« – peng – hatte die Frau einen dunkelgrünen Ficus benjamini im Zimmer. Ein Ast stand ein wenig ab, aber ansonsten war die Pflanze ein echtes Schmuckstück. Mit ein wenig Abstand und durch die letzte verbliebene Glaskugel besehen, erwies sich diese Hexerei leider als überstürzt und echt unprofessionell. Die Frau weint jeden Tag, hat den Ficus letzte Woche in Bioerde umgetopft und besprüht ihn jeden Tag zwei Mal liebevoll mit destilliertem Wasser.  

 

Bei dem Gedanken an diese Debakel möchte sich Zazaraba am liebsten aus dem »Vierfüßler Stand« platt auf den Bauch fallen lassen, einfach nur liegen bleiben und entspannen. Doch es hilft nichts. Sprechstunde ist Sprechstunde! Sie muss ins Bad, sich am Ast hochhieven und es bis zum verflixten Schreibtischstuhl schaffen. Also kriecht sie auf allen Vieren los.

 

Dexter stellt seinen Schwanz auf! Wow! Das ist sicher ein neues Spiel! Er spannt die Muskeln an. Ein kühner Satz und eine Viertelsekunde später bohren sich seine Krallen in Zazarabas Hexenbuckel. Zazaraba schreit auf!

»Ich mache gleich eine Maus aus dir«, zischt Zazaraba durch ihre zusammengebissenen Zähne. Dexter weiß, dass sie es nicht so meint. Vorsichtshalber zieht er aber seine Krallen ein. Man weiß ja nie! Er kann auch balancieren. Wie eine unvollendete Variation der Bremer Stadtmusikanten bewegen sich beide in Richtung Bad, während die CD-Stimme sanft anweist: »Und beim Ausatmen machen sie einen Katzenbuckel!«

Zazarabas schmerzverzerrte Gesichtsmuskeln entspannen sich augenblicklich. Dieses neumodische Yoga-Zeug klappt ja doch! Perfekter geht es nicht! Im gleichen Augenblick durchfährt sie – blitzartig wie ein Hexenschuss – ein erlösender Gedanke. Diese Chat-Sachen sind ihr vielleicht doch ganz gut gelungen! Letztlich ist alles nur eine Frage der Interpretation!

 

(Version 3)