Von Ellie Eder

Ganz still war es jetzt um mich. Keiner mehr, der mich Gehilfin des Satans nannte, der drängte, bohrte und forderte, ich solle gestehen mit anderen Frauen Hexensabbat gefeiert zu haben. Unten am Fluss, auf der Wiese neben der Brücke. Wild wären wir um ein Feuer gesprungen, über dem es in einem großen Eisentopf kochte und brodelte. Vogelköpfe, Hühnerkrallen, Kröten und Schlangenblut seien durch Singen von Zaubersprüchen zu Flugsalbe verkocht worden. Eingerieben mit dieser Salbe sei ich alsdann auf einem langen Holzstock mit Luzifer durch die Lüfte geritten und wir hätten die Wolken geschlagen, bis der Hagel aus ihnen herausgebrochen sei, der die Feldfrüchte der Bauern kaputt gemacht hat.

Hundol Ludenbach, Richter und Landvogt zu Börlinghausen, auch der Hexenrichter genannt, war bekannt für seine harte Vorgehensweise bei den Verhören. Es gab keinen Prozess, in dem er den Beschuldigten nicht das gewünschte Geständnis abrang. Man sagte ihm auch nach, dass er es mit den vorgeschriebenen Regeln zur Anwendung der Folter nicht sehr genau nahm. Besonders die Quälerei auf dem Hexenstuhl verlängerte er willkürlich bis zum Geständnis oder Tod. Wobei der Tod in so einem Fall immer ein Versehen war. Er wollte Geständnisse.

Und alle haben sie gestanden. Einige bereits, als man ihnen die Methoden der peinlichen Befragung erklärte und ihnen die dazu verwendete Gerätschaft nur zeigte, andere nach ein paar Stunden auf dem Hexenstuhl. Meine Schwester Franzi, sie war noch ein Kind, gerade mal acht Jahre alt, und zwei von den jüngeren Frauen machte die stundenlange Tortur so wirr, dass ihr ehemals vor Lebenslust sprühender Geist nicht mehr zu ihnen zurückfand. Und zuletzt die zwei alten Frauen vom Mayerhof und die kranke Kohlbauerin, die, geschwächt durch die Monate im Kerker, starben, bevor sie ihre bösen Taten bekennen konnten, was der Richter als Schuldeingeständnis deutete.

Das Urteil lautete für alle gleich. Sie sollten dem kaiserlichen Scharfrichter übergeben werden. Dieser habe sie mit dem Schwert zu Tode zu bringen, indem er ihnen den Kopf vom Leibe trennte. Anschließend seien Leib und Kopf auf dem Scheiterhaufen zu Asche und Staub zu verbrennen, um die Seele zu reinigen. Darauf bestand der Pfarrer. Auch die Körper der schon vor dem Geständnis Verstorbenen sollten dem Feuer übergeben werden.

Ich war die Letzte zum Verhör, war jung und stark, fest entschlossen die Tortur zu überleben und mir auf keinen Fall ein Geständnis abpressen zu lassen. Dann wäre ich frei. Immer wieder sagte ich es mir vor: Ich bin stark. Ich überlebe. Ich bin stark. Ich überlebe. Selbst als sich die Haut durch die Stricke, mit denen ich festgezurrt war, in Fetzen vom Körper löste, die scharfen Kanten des Stuhls sich in mein Fleisch bohrten und mein ganzer Körper nach Stunden auf dem Hexenstuhl nur noch ein einziges großes brennendes Etwas war, als mein Verstand verrückt wurde, und ich mich tatsächlich mit den Frauen um ein Feuer tanzen sah, sah, wie ich mit Luzifer durch die Lüfte flog, Schlangen mich umzingelten und tausende Teufel und Dämonen mich umschwirrten und ihre Krallen tief in mein Fleisch bohrten, war da eine leise aber kräftige Stimme ganz tief in mir, die immer und immer wieder sagte: Ich gestehe nicht.  Ich bin stark. Ich bin stark. Ich überlebe. Ich überlebe.

Und dann war es ganz still. Die Schmerzen waren weg. Mein Verstand wurde nach und nach wieder klar. Dann leises Gemurmel um mich. Langsam öffnete ich die Augen. Verwirrt schüttelte ich den Kopf und schloss die Augen wieder. Das konnte nicht sein, ich musste mich täuschen. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff. Erneut öffnete ich die Augen. Alle waren sie da. Franzi schlang ihre dünnen Ärmchen fest um meine Taille, die anderen Frauen standen um mich herum. Schön und unversehrt ihre Körper. Die Haare, die man ihnen geschoren hatte, weil man glaubte, darin würden sich Teufel und Dämonen verstecken, waren wieder lang und voll. Die kranke Kohlbauerin sah gesund und kraftvoll aus. Nur ihre dünnen Haare wollte sie nicht zurückhaben. Einige graue Büschel standen vereinzelt auf ihrem sonst kahlen Kopf, was sie, wenn sie lächelte, verschmitzt aussehen ließ.

In mir brannte nur eine Frage: Warum? Warum war ich bei denen, die verurteilt waren? Hatte ich gestanden? War ich am Ende doch nicht stark genug gewesen?

Ohne mein Fragen abzuwarten ergriff die alte Kohlbauerin das Wort: Du warst stark mein Mädchen. Stärker als wir alle. Die Tortur hast du überlebt. Aber stark sein allein rettet niemanden vor dem Eifer Hundol Ludenbachs. Er konnte es nicht ertragen, kein Geständnis aus dir herausgepresst zu haben. Zweimal ließ er dich auf dem Hexenstuhl festbinden, jedes Mal viele Stunden länger als erlaubt. Er hätte es auch ein drittes Mal angeordnet, befürchtete jedoch, du würdest noch einmal ohne Geständnis überleben. Du wurdest ihm unheimlich. Noch nie hatte jemand den Hexenstuhl zweimal überlebt. Immer gab es ein Geständnis oder die Beschuldigte starb, bevor sie gestehen konnte. Er bekam Angst vor dir. Also schlich er, als alle weg waren, in den Kerker. Du warst noch bewusstlos. Voll Zorn stürzte er sich wie ein wildes Tier auf dich und drückte dir die Kehle zu, bis das bisschen Leben, das noch in dir war, aus deinem Körper wich. Dem Kerkermeister sind die Würgemale an deinem Hals freilich aufgefallen, er wollte sie aber nicht weiter beachten, denn niemand legte sich mit dem Richter an. Dass du tot warst, hielten alle für ein Zeichen Gottes, welches deine Schuld bestätigte, und so wurdest du, wie wir, dem Scharfrichter übergeben.

Jetzt sitzen sie seit Stunden in der Wirtschaft Zum Heiligen Matthäus neben der Kirche. Der Richter, der Pfarrer und der Kerkermeister, zusammen mit ihren Gehilfen und Folterknechten. Sie haben gut gegessen und trinken jetzt auf den erfolgreichen Ausgang des großen Hexenprozesses. Immer lauter und ungehaltener werden ihr Grölen und Lachen, immer unflätiger ihre Trinklieder.

Die Kohlbauerin begann ein Lied aus der alten Heimat zu summen, zuerst leise, dann immer lauter. Nach und nach stimmten wir alle ein in die alte Melodie. Wir begannen zu tanzen. Immer kraftvoller wurde das Summen, immer wilder der Tanz. Fest stampften wir mit den Füßen in den Boden, stießen unsere Arme und Fäuste in alle Richtungen in die Luft, drehten und wanden unsere Körper, rannten, sprangen hoch in die Luft und ließen uns fallen, nur um gleich wieder hochzuspringen und weiter zu tanzen. In mir spürte ich jetzt eine Kraft, wie ich sie nie zuvor verspürt hatte, eine Kraft, die stärker und stärker wurde, nach außen drängte und sich mit der Kraft der anderen Frauen verband.

Das Unwetter zog unerwartet und rasch auf. Gewaltige schwarze Wolkenberge zogen, von einem Sturm in nie dagewesener Stärke vorangetrieben, heran. Bäume knickten, Dächer wurden abgehoben, offene Türen und Fenster aus den Angeln gehoben, Schubkarren, Kisten, alles, was draußen herumlag, wurde durch die Luft geschleudert. Dann kam der Hagel. Faustgroße Hagelkörner zerschlugen Fensterscheiben und verwandelten die Straßen in rutschige Bahnen, auf denen sich niemand auf den Beinen halten konnte. Donner grollte, Blitze fuhren in Sekundenabständen vom Himmel und schlugen in Häuser und Ställe ein. Die Holzschuppen standen sofort in Flammen, dann griff das Feuer auf die anderen Gebäude über. Die Wirtschaft Zum Heiligen Matthäus, vom Blitz getroffen, stand innerhalb weniger Minuten in Flammen. Die Gäste flüchteten schreiend aus dem Haus. Der Richter stolperte über den vor ihm auf dem Eis ausgerutschten Kerkermeister und fiel der Länge nach hin. Noch bevor er sich wieder aufrappeln konnte, traf ihn das zu Boden stürzende Turmkreuz der in Flammen stehenden Kirche, zerquetschte seine Beine und klemmte ihn am Boden fest. Es gab kein Entkommen mehr. Das letzte, was der Richter sah, war eine Gruppe Frauen, die im Feuer tanzte. Wild und kraftvoll. Und ganz hinten, glaubte er, zwar etwas undeutlich schon, Luzifer zu erkennen. Aber da hatte die näherkommende Hitze der Flammen seine Sinne schon durcheinandergebracht.

Die Luft nach dem Unwetter war klar wie lange nicht mehr. Es war ganz still.

 

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