Von Helga Rougui

Es war einmal eine Hexe, die hatte drei Kinder, die hießen Enigma, Kaotica und Dubiosa.

Alle drei wollten gern auf dem nächsten Hexenfestival ihre selbsterdachten Geschichten vorstellen. Aber – so war die Regel – es durfte nur eine teilnehmen. Was tun?

Sie beschlossen, ihre Mutter solle sich die Geschichten anhören und dann entscheiden, welche beim Festival dabeisein durfte.

 

Enigma begann: – Meine Geschichte heißt

 

Hexentanz

 

Meknes, Marokko. Ich sitze im Café mit meinem Mann.

Es ist eins der Touristencafés, in denen auch Frauen zugelassen sind.

Wir sitzen draußen an einem kleinen Tisch, einen Kaffee und eine Cola vor uns,

und beobachten die Kreuzung, die Autos, die Passanten.

Die Fußgängerampel wechselt von Rot zu Grün.

Eine neue Gruppe Menschen überquert die Straße, darunter etwas abseits gehend ein sehr magerer junger Mann mit schütterem Backenbart.

Sein Blick fällt auf mich.

Ich mustere ihn, schaue ihm direkt in die Augen.

Er schaut in meine und dreht sich dreimal um die eigene Achse.

Erst dreimal nach links, dann dreimal nach rechts.

Er macht ein Zeichen in meine Richtung und hastet vorbei.

Ich frage meinen Mann: – Hast du das mitgekriegt?

Er fragt zurück: – Was?

Und ich: – Na, den Typ da, guckt mich an und dreht sich dann dreimal um sich selbst?

– Nein, hab ich nicht gesehen.

– Warum hat er das gemacht?

– Keine Ahnung, erwidert mein Mann.

Das sagt er immer, wenn sich etwas in seinem Land ereignet, das mir, der Europäerin, seltsam erscheinen mag.

 

Ich mache mir noch eine Weile Gedanken über das, was geschehen ist.

Was hat der Mann in mir gesehen?

Was hat er in mir gesehen, das ihn erschreckt hat?

 

In den nächsten Tagen versuche ich, Menschen, mit denen ich zufällig zusammentreffe, mit meinen Blicken zu fixieren.

Aber es kommt nicht noch einmal zu einer solchen Reaktion.

Bald denke ich, ich habe das ganze nur geträumt.

 

Trotzdem – ein bißchen Bedauern bleibt.

Ich habe sie wohl doch nicht –

– die Macht, andere in meinen Bann zu ziehen.

 

Dann kam Kaotica: – Meine Geschichte heißt

 

Hexenjagd

 

Sie ist auf der Flucht. Wer? Na, die Hexe.

(Ist sie nicht in den Ofen gestoßen worden und verbrannt? Naaa, da haben die Brüder Grimm was mißverstanden. Es war der Blaubärkuchen, der in den Ofen geschoben wurde und verbrannte, die Hexe entkam munter und unversehrt.)

Also nochmal – da ist die Hexe, sie heißt Gretel, und sie ist auf der Flucht.

Es fehlen nur noch das Opfer und die Zauberei – und natürlich die Häscher, die die vernünftige Ordnung der Dinge wiederherstellen wollen, so wie es ihnen gut und richtig scheint.

Ach so, das Opfer ist auch da – ein dunkellockiger Jüngling, Hänsel mit Namen.

Er entbrennt – nach einem Schluck von einem sehr speziellen lilafarbenen Trank – in heißer Liebe zum goldlockigen kurvenreichen Weibe (die Hexe ist Gestaltwandlerin), und als sie ihn nicht erhört, weil es ihr Spaß macht, ihre Verehrer in den Wahnsinn zu treiben,  bringt er sich um.

Er stürzt sich in das Schwert, das ihm sein Großvater einst vererbte.

Nun liegt er da, aufgebahrt, kalt, bleich, mit wächsernen Zügen.

Seine Brüder sind hinter der Verführerin her.

Sie wollen vernünftigerweise die Ursache seines Ablebens töten – jedes Weib ist eine Hexe, und wäre nicht sie es gewesen, die ihm sein Schicksal bereitet hätte, so wäre es eine andere gewesen.

(Dann hätte man natürlich diese töten müssen. Logisch.)

I Fratelli galoppieren Tag und Nacht in ihren Ferraris und Lamborghinis, aber sie kriegen die Hexe nicht, weil sie längst in ihrem Privathelicoptero auf die Malediven entschwunden ist.

Angesichts dieser Tatsache wird ihnen  klar, daß der eigentliche Grund für den brüderlichen Tod wohl dessen emotionale Labilität gewesen war – es könnte aber auch ein schlecht verdauter Vanillepudding gewesen sein, der ihn ausrasten ließ.

Die Brüder geben auf und kehren zurück nach Sizilien, zu ihren mafiösen alltäglichen Mörderpflichten.

 

Als Letzte las Dubiosa: – Meine Geschichte heißt

 

Hexenproben

 

Erst verfolgt mich so ein kleiner blöder kläffender Köter, nur weil ich ihn am Schwanz gezogen habe.

Man sagt, man wird wieder jung, wenn man einen Hund am Schwanz zieht – oder war es ein Mann? Egal. Es hat sowieso nicht gewirkt. Das eine wie das andere nicht – ich hab beides sicherheitshalber versucht.

(Es wirkt angeblich nur, wenn man eine Hexe ist.)

Dann habe ich eine Sendung über eine Hexenjagd auf Neuguinea im Fernsehn verfolgt, aber es war wie verhext, ich habe dadurch Hunger auf Blaubärkuchen bekommen, und den hatte schon jemand in der Mitte dieses Textes verbrannt.

(Warum auch immer. Ich verstehe nicht, wie man einen Kuchen absichtlich verbrennen kann. Ebenso wie Bücher oder Menschen. Man sollte weder Kuchen noch Bücher noch Menschen verbrennen.)

Bin ich nun eine Hexe (mit kleinen Schwächen) oder nicht?

Ich weiß es nicht, und wer kennt sich schon selbst genau?

Wie auch immer.

Ich hole jetzt meinen Besen aus der Reinigung und dann gehts ab auf den Blocksberg.

Heute ist die Große Partynacht, ich werde den Herrn Teufel treffen, und der hat ja wohl genug Schwanz, daß man das DranZiehen ein wenig üben kann.

Ich denke, auch HexeSein ist eine Sache der Übung.

 

Am Morgen nach dem BlocksbergRingelpiez (mit Anfassen) bin ich mir relativ sicher.

Ich bin wohl doch keine Hexe.

Obwohl mir gerade beim morgendlichen Blick in den Spiegel wieder Zweifel kamen.

Hexen sind bekanntlich Gestaltwandlerinnen, und das käme mir gerade recht.

Mein Gesicht, zerknittert von durchtanzter Nacht, schlaffe, leicht unreine Haut, blaß, Tränensäcke, müde Fältchen um die Mundwinkel, wäre plötzlich glatt, strahlend, milchweiß, faltenfrei, ausgeruht.

Ich wäre mit einem Lidschlag ein blondgelocktes kurvenreiches Weib, unendlich verführerisch.

Ich schaue wieder in den Spiegel.

Das Alter schont die Züge nicht, Vergnügen gerät zur Mühsal, die Schmerzen kommen hinzu und schon zeigt man sich angestrengt, ohne Hoffnung auf ein Zurück.

Es sei denn, man dürfte eine Hexe sein.

Ich wäre so sehr gern eine Hexe.

 

Aber ich bin keine Hexe.

Ich kann meine Gestalt nicht wechseln.

Ich bin und bleibe alt.

Aber ich gebe nicht auf, trotz allem. Ich übe weiter.

 

Das ganze verhexte Leben ist eine Übung.

Möge sie jedem einzelnen von uns gelingen.

In welcher Gestalt auch immer.

 

Als die Hexenmutter alle drei Geschichten gehört hatte, war sie ratlos.

Alle drei gefielen ihr gleich gut.

Aber dann dachte sie,  daß die erste Geschichte doch wohl die war, die am geschichtigsten wirkte, und Enigma konnte sich freuen.

Ihre Schwestern jedoch grinsten verschmitzt und waren gar nicht böse, daß die Wahl nicht auf sie gefallen war …