Von Klaus-Dieter Oettrich

Der freie Journalist Alex Braun hatte gehört, dass in einem sehr alten Holzhäuschen bei Calw eine Hexe wohnt. Diese Hexe muss ich unbedingt interviewen, dachte er sich. Es wird bestimmt eine super Geschichte werden, die leicht zu verkaufen ist.

Der vierzigjährige Alex mit seinen ganz kurz geschnitten braunen Haaren, war leicht beleibt und hatte einen Jeansanzug an. Der Klingelschalter befand sich versteckt hinter dem wild wuchernden Efeu an der Hauswand.    

Er klingelte.

 

Nach kurzer Zeit wurde die Türe einen Spalt weit geöffnet.

„Was wollen Sie von mir. Werde ich immer noch verfolgt? Soll ich verbrannt werden?“

„Nein, ich bin Journalist und würde mich gerne mit Ihnen unterhalten. Hier ist mein Ausweis.“

„Sie wollen wohl über Hexen berichten?“

„Ja, wenn Sie mir dabei helfen können.“

„Kommen Sie herein.“

Vor ihm stand eine ca. fünfzigjährige schlanke Frau mit langen schwarzen Haaren, die bis zum Rücken reichten. Ihre Lippen und Augenbrauen waren schwarz geschminkt. Sie trug einen langen schwarzen Rock mit einer schwarzen Bluse.

„Setzen Sie sich bitte.“

Alex hoffte, dass der alte Stuhl nicht zusammenbrach.

„Ich bin Manuela.“

„Und ich bin Alex.“

„Was wollen Sie von mir wissen?“

„Ob Sie wirklich eine Hexe sind.“

„Nein, obwohl ich vielleicht so aussehe.“

„Die Leute im Dorf sahen Sie aber schon, wie Sie nachts mit ihrem Besen über das Dorf geflogen sind.“

„Absoluter Blödsinn, aber so reden eben die Leute im Dorf. Aber ich kann nicht fliegen. Außerdem habe ich Flug- und Höhenangst.“

„Die Bürgerinnen sagen, dass Sie Angst verbreiten und Böses wollen.“

„Ich habe noch nie Böses getan. Soll jemand mir mal nachweisen, dem ich Schaden zufügte.“

„Gestern erzählte mir Albert von der Hühnerfarm, dass ihm in einer Woche 20 Hühner gestohlen wurden. Dies war bestimmt die Hexe,“ meinte er.

„Wo ist der Beweis dafür, dass ich es war? Können es nicht auch die Füchse gewesen sein?“ Fragte Manuela.

 

„Die Bürger erzählen die furchtbarsten Geschichten von Ihnen. Die Kinder könnten sehr schlecht einschlafen. Auch Angstzustände wegen der Hexe hätten die Kinder. Ich weiß, Märchen sind oft grausam und mit viel Leid ausgestattet, zum Beispiel: Schneewittchen, Aschenputtel, der Teufel und seine Großmutter, Rumpelstilzchen, Hänsel und Gretel, Rapunzel und viele mehr. Stimmen diese Vorwürfe?“

„Dass Kinder schlecht schlafen liegt daran, dass die Mütter abends ihnen meist Märchen vorlesen. Ja, diese Geschichten sind oft grausam und böse. Wenn dann noch die Mütter erzählen, dass in der kommenden Nacht wieder die Hexe über das Haus fliegt und böses im Sinn hat, dann ist der schlechte Schlaf vorprogrammiert.“

„Da bin ich ganz bei Ihnen. Obwohl einige Wissenschaftler auch anderer Meinung sind.“

„Ich tue Menschen etwas Gutes und nichts Böses,“ sagte Manuela sehr ernsthaft.

 

„Weiter erzählen die Bürgerinnen und Bürger, dass Sie Unglück bringen.“

„So ein Quatsch! Bedingt durch mein Aussehen und meiner Kleidung haben sie Angst vor mir. Daher will man mit mir auch keinen Kontakt. Dazu kommt noch, dass man im Schwabenland jahrelang neben einem Nachbarn wohnen kann, aber mit ihm noch nie gesprochen hat. Wenn ich mit dem Moped zum Lebensmittelhändler fahre, um einzukaufen verlassen die Frauen und Kinder sofort den Laden.“

„Ist dieses Verhalten der Menschen für Sie nicht unangenehm?“

„Nein, absolut nicht.“

„Und was ist mit dem Besen in der Ecke da?“

„Zum Boden putzen.“

Alex sah sich im Raum um.

„Ich weiß, dass es hier im Raum nicht besonders sauber ist. Aber darauf lege ich auch keinen Wert.

Konzentriere mich auf meine Arbeit,“ sagte Manuela.

„Glauben Sie an Hexen?“ Fragte Alex.

„Der Begriff Hexe ist sehr groß. Aber ganz kurz gesagt: Ich denke, dass der normale Bürger meist eine Frau so nennt, wenn sie exzentrisch und außergewöhnlich ist. Wenn sie dann noch Esoterikerin ist, dann ist die Hexe perfekt fertig. Glauben Sie an Hexen und Hexer?“ Fragte Manuela.

„Ja“ antwortete Alex. „Aber ich lasse mich gerne vom Gegenteil überzeugen.“

 

„Was machen Sie beruflich in der doch einfachen Behausung?“

„Ich stelle aus Heilpflanzen Kräutertees, Mixturen und Salben her für kranke Menschen oder für gesunde Menschen, die aber nicht krank werden wollen. Darüber schreibe wissenschaftliche Abhandlungen und Bücher. Ich bereite uns nun einen Relax Tee.“

„Ist die Tätigkeit mit Heilpflanzen nicht gefährlich? Bis ins 18. Jahrhundert wurde man als Hexe öffentlich auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Laut dem Historiker Michel Porret fand am 13.6.1782 die letzte Hinrichtung statt. Die Schweizerin Anna Goldi wurde geköpft.“

„Das war früher. Jetzt kommen die Inspektoren der Behörden.“

Manuela ging in einen anderen Raum, der wohl zur Küche führte. Sie hatte vergessen die erste Türe zu schließen, so dass Alex Einblick in den Raum hatte. An zwei Wänden befanden sich vollgefüllte Bücherregale, davor ein Tisch und ein Stuhl. Der Rest des Raumes war ein Labor.   

Manuela kam rasch zurück.

„Nun probieren Sie mal den Tee,“ sagte Manuela.

„Schmeckt sehr gut.“

„In 30 Minuten werden Sie die Wirkung der Entspannung bemerken.“

 

Nach dieser Zeit, fühlte Alex eine innere Ruhe in sich.

„Das ist ja die reine Hexerei,“ entfuhr es Alex.

„Nein, die Bestandteile im Tee sind verschiedene Heilkräuter die ich gemischt habe. Die reinen Schulmediziner glauben nicht daran. Auch weil die Tees noch nicht wissenschaftlich untersucht wurden. Ich habe gegen die verschiedensten Krankheiten eine Teemischung.“

„Woher wissen Sie, dass diese auch wirksam sind?“

„Durch die Rückmeldung der Patienten. Die Rezepte sind oft schon hunderte von Jahren alt. Sie wurde von Familie zu Familie weitergegeben.“

„Und Sie sind nun die letzte in der Familie.“

„Nein, ich habe eine Tochter die Medizin studiert hat. Seit vier Jahren lebt und arbeitet sie in Indien und China um die Kenntnisse in der Naturmedizin zu erweitern.“

 

„Wie verkaufen Sie ihre Produkte?“

„Über das Internet. Auch kommen vereinzelt Kunden direkt zu mir. Zu kranken Menschen fahre ich  mit dem Moped oder mit meinem Wagen. Kommen Sie mit mir zu dem alten Schuppen da drüben.“

Die Eingangstüre ließ sich schwierig öffnen.

Und was sah Alex dann vor sich stehen?

Ein bildhübscher schwarzer 911er Porsche.

 

„Zu was benötigen Sie so einen Sportwagen?“

„Bei einigen Kunden, muss ich standesgemäß vorfahren.“

„Aber gleich mit so einem Luxusschlitten?“

„Ich fahre gerne Auto. Und mit diesem Wagen bereitet es mir noch viel mehr Spaß.“

 

Als sie wieder im Haus waren fragte Manuela, ob er ein Bier möchte.

„Haben sie das Bier selbst gebraut?“

„Ja, ich bin größtenteils eine Selbstversorgerin und versuche nur das zu essen und zu trinken, was ich selber angebaut habe.“

„Das Bier wächst also bei Ihnen auf den Bäumen?“

„Natürlich nicht, aber die Grundmittel zur Herstellung wachsen auf den Feldern.“

Zum ersten Mal, dass er Manuela lächeln sah. Sie war bestimmt früher eine sehr schöne Frau.

„Oder wollen Sie ein Gläschen Birnenschnaps? Natürlich von mir hergestellt.“

„Da kann ich nicht nein sagen.“

„Was können Sie eigentlich nicht?“

„Vor Forschungsarbeiten sitzen und keine Lösung finden.“

 

„Sie sind eine außergewöhnliche Frau. Es freut mich erkannt zu haben, dass Sie keine Hexe sind.“

„Nur exzentrisch,“ fügte Manuela dazu.

„Was fürchten Sie am meisten?“

„Dass meiner Tochter etwas zustößt und ich nicht mehr meine Forschungsarbeit weiterführen kann.“

 

„Vielen Dank für das Gespräch. Darf ich bevor ich gehe, noch ein paar Fotoaufnahmen machen?“

„Ja, außer von dem Porsche, sonst bekomme ich noch die Steuerfahndung auf den Hals.“

Zum Abschied reichte man sich die Hände. „Sie können mich gerne mal wieder besuchen“ und gab Alex ihre Visitenkarte.

Als er wieder in seinem Wagen saß, las er den Namen auf der Visitenkarte:

Prof. Dr. med. Manuela Utz.