Von Daniela Seitz

Tansania September 2018

Früher haben wir die Samen gemeinsam geerntet. Mein Mann und ich. Nach seinem Tod habe ich, entgegen dem Gewohnheitsrecht in Tansania, darum gekämpft, ihn beerben zu dürfen. Erfolgreich. Zumindest vorerst. Die Ehe blieb kinderlos. Er hat mir so viel beigebracht. Wehmütig betrachte ich die frisch geernteten Samen in meiner Hand.

Ein Tumult am Hauseingang schreckt mich aus meinen Gedanken.

„Verrät ihre eigene Kultur!“, glaube ich aus dem Stimmengewirr herauszuhören.

„Akili, du Hexenweib!“

Ich komme nicht dazu, die Samen beiseite zu legen.

„Sie will uns mit dem Teufelszeug verzaubern!“

Fünf Männer stürmen auf mich zu. Es sind meine Nachbarn.

„Ergreift sie!“

Sie umzingeln mich. Zu einem wirklichen Kampf kommt es gar nicht erst, da sie die Überraschung auf Ihrer Seite haben. Und in der Überzahl sind.

„Jetzt machen wir sie gefügig!“

Sie zwingen mich, die Samen runterzuschlucken, um mich gänzlich wehrlos zu machen. Sie schlagen mit Macheten auf mich ein. Zerren mich nach draußen. Binden mich an Pfähle auf einer Holzvorrichtung.

 

****

 

Ich habe kein Zeitgefühl mehr.

 

Schmerz, aber woher?

 

Ich blicke hinunter. Sehe den schwarzen Teufel und seine Gesellen. Sie verschwimmen zu Schemen. Sie tanzen. Tanzen um den Berg herum, auf dem ich stehe. Die Farben zerfließen. Werden intensiv. Zu intensiv.

 

Schmerz. Wie flimmernde Blitze.

 

Ich höre sie rufen. Doch die Worte sind unscharf. Werden rhythmisch. Wiederholen sich. Dringen nicht mehr zu mir vor. Doch der Rhythmus macht mir Angst.

 

Schmerz.  Wie ein zischender Schlangenbiss.

 

Ich schlucke schwer. Es schmeckt metallisch.

 

Schmerz. Brennend, wie das schärfste Gewürz der Welt.

 

Ich rieche verbranntes Fleisch. Brechreiz.

 

Schmerz.

 

****

 

„Bring mir ein großes Tuch. Wir tragen Akili zum Auto“, sagt Lorenzo, der christliche Missionar.

„Die Verstümmelungen kann sie unmöglich überleben“, klagt die Nachbarin der Gequälten.

„Nun lauf schon und bring mir das Tuch!“ Lorenzo wird wütend.

„Ihr und eure Schule seid schuld! Ihr habt sie verhext und deshalb hat sie ihre Kultur verraten! Sie wollte euch ihr Geld geben“, schreit die Nachbarin und zeigt anklagend auf Lorenzo.

„Still! Ihr seid es selbst. Gesetze sollten Frauen mit Geld, wie Akili, eigentlich schützen! Doch was nützen Gesetze, wenn ihr das nicht versteht. Deshalb braucht es Schulen! Akili weiß das.“

 

Die Nachbarin stürzt auf Lorenzo zu. Er wehrt sie ab. Ihr Geschrei ruft andere Nachbarn herbei.

 

„Ihr glaubt, Wohlstand zaubere sich herbei“, bemüht Lorenzo sich um Deeskalation, während er eingekreist wird.

„Dabei wechselt das Geld lediglich den Besitzer, weil ihr Akili umbringt. Ihr, nicht irgendwelche Hexen. Ihr habt…“

Ein gezielter Machetenhieb bringt Lorenzo endgültig zum Schweigen.

 

V2

 

https://www.youtube.com/watch?v=tkGenyapyno

https://www.youtube.com/watch?v=8K_unhDEPJo

https://www.zeit.de/2005/38/Afrika