Von Gabriele Sodeur

SIEgrid ruft aus der Küche rüber ins Wohnzimmer: „Möchtest du heute einen oder zwei haben?“

ERwin, im Wohnzimmer mit der Zeitung in seinem Rollstuhl sitzend: sagt nichts.

SIE: „EHRwien, einen oder zwei?“

ER: sagt wieder nichts.

SIE läuft von der Küche über den Flur ins Wohnzimmer: „Sag mal, hörst du schlecht?“

ER, unwirsch: „Du siehst doch, ich lese.“

SIE: „Nein, das sehe ich nicht, wenn ich in der Küche bin und du im Wohnzimmer. Willst du nicht in die Küche kommen?“

ER: „Du siehst doch, ich lese hier.“

SIE: „Ja, das sehe ich, aber, wenn ich in der Küche bin und du hier im Wohnzimmer sitzt, kann ich dich nicht sehen und du kannst mich nicht hören.“

ER: „Aber jetzt bist du ja hier und da brauche ich doch nicht in die Küche kommen.“

SIE: „Also willst Du jetzt einen oder zwei?“

ER: „Was denn?“

SIE: „Also allmählich kommt mir das hier alles vor, wie in einem schlecht gespielten Loriot-Sketch. Du bringst mich ganz aus dem Konzept. Was wollte ich dich fragen?“

SIE dreht sich um:
„Jetzt geh ich mal zurück in die Küche, dann fällt es mir bestimmt wieder ein!“

SIEgrid tut, was sie sagt.

ER ruft: „Hast du sie gefunden?“

SIE kommt wieder ins Wohnzimmer: „Wen denn?“

ER: „Na, deine Frage.“

SIE: „Ich komm noch drauf, wo waren wir vorher?“

ER: „Dass ich sage, dass du ja jetzt hier bist und ich nicht …“

SIE unterbricht ihn: „Ja, ja, und du nicht in die Küche kommen willst, ich weiß. Aber das musst du jetzt, denn sonst kann ich nicht sehen, dass du gerade Zeitung liest und du hörst nicht, wenn ich dich was frage.“

ER zeternd: „Aber du kannst mir doch jetzt nicht einfach vorschreiben, was ich machen soll.
Ich will das nochmal ab der Stelle hier sagen: Du bist …“

SIE, mit ihrer Geduld am Ende, unterbricht ihn: „ERwin, können wir jetzt vielleicht mal weitermachen?“

ER: „Also ich sag das jetzt: Du bist ja jetzt hier.“

STILLE

SIE: „Und?“

ER: „Und, was fragst du mich jetzt?“

SIE, lustlos : „Wo? Wenn du hier im Wohnzimmer sitzt oder wenn du in die Küche kommst?“

ER: „Also noch bin ich ja hier im Wohnzimmer.“

SIE völlig energielos: „Dann komm in die Küche, Erwin, dann verstehst du mich besser.“

ER: „Sag mir doch einfach jetzt hier, was du mich fragen willst, SIEgrid.“

SIE: „Das frage ich dich erst, wenn‘s ernst wird.“

ER: „Ist doch schon ernst genug!“

SIE: „ERwin, so läuft in Wirklichkeit kein Dialog zwischen Eheleuten ab, das fühlt sich für mich nicht echt an.“

ER: „Doch, das ist ein richtiger Dialog, ob er sich für dich echt anfühlt oder nicht. Das kann uns im Prinzip doch auch Wurscht sein.“

SIE: „So, kann es das? Meine Gefühle sind dir also wieder mal Wurscht? Aber, egal, lass uns das jetzt nicht näher vertiefen. Ich frag dich also nochmal: möchtest du einen oder zwei haben? –  Siehst du, jetzt ist es mir wieder eingefallen, was ich dich fragen wollte!“

ER: sagt nichts.

MÄNNERSTIMME AUS DEM OFF:
„Stopp, stopp, Siggi, du musst den ganzen Dialog steigern, verstehst du? Wie willst du denn sonst diese ganze Wut in dir spüren, die du nachher brauchst, wenn du ihm das Toastbrot ins Gesicht schmeißt?“ 

SIE: „Ich weiß nicht, ist das nicht ein bisschen zu klamaukig?“

MÄNNERSTIMME AUS DEM OFF: „Ja, da bin ich im Prinzip ganz bei dir, es soll aber auch eher slapstickartig rüberkommen. Also, wie gesagt: steigern. Die ganz großen Emotionen rauslassen. Das kannst du normalerweise doch sonst auch sehr gut, Siggi.“ 

SIE mit einem missbilligenden Blick in Richtung „OFF“: „Also gut. Erwin, du willst es nicht anders, jetzt fahr ich dich mit dem Rolli in die Küche und dann bist du da, wo ich dich haben will. Basta!

SIE macht, was sie sagt, und schiebt Erwin energisch in seinem Rolli in die Küche und unsanft an den Tisch. Mit lauter Stimme fährt sie ihn an: „So, jetzt ist mal Schluss mit den Fisimatenten. Willste jetzt zwei oder nur einen?“

ER auch lauter werdend: „Ja, was soll ich denn wollen? Einen oder zwei Luftballons? Ein oder zwei Wienerle? Was denn???“

SIE: „Schrei nicht so, Erwin, ich muss mich aufregen, nicht du.“

ER: „Du weißt aber, dass mich diese trotzigen Dispute mit Dir immer schon sehr aufgeregt haben?“

SIE: beißt die Zähne zusammen, sagt nichts.

ERwin  beruhigt sich wieder und verschwindet hinter seiner Zeitung: „Jetzt bin ich in der Küche und du kannst sehen, dass ich lese!“

SIE, ungeduldig: „Aber nachher, wenn du mit Zeitunglesen fertig bist, dann willste vielleicht was essen, oder?

ER: „Ja dann sag doch mal endlich, was es gibt, SIEgrid.“

SIE, allmählich am Ende mit den Nerven: „Tohoost, ERwin, es gibt Toast.“
SIEgrids Stimme steigert sich weiter: „Und wenn du partout weder einen noch zwei haben willst, kannste auch ein ungetoastetes Weißbrot kriegen und dir, von mir aus, so viel Butter und Marmelade darauf schmieren, wie du willst.“

SIE nimmt eine Weißbrotscheibe und macht, was sie sagt.

SIEgrids Stimme überschlägt sich schier und wird zu einem Gekeife, bei dem sich ERwin die Zeitung über den Kopf zieht und damit die Ohren zuhält:
„Und meinetwegen kannste dann alles in dich reinstopfen, auch während du Zeitung liest.“

SIEgrid reißt ERwin die Zeitung weg, hinter der er verschwunden war, und klatscht ihm die Weißbrotscheibe mit dem Johannisbeergelee  ins Gesicht.
ERwin spürt, wie sich seine Nasenlöcher verschließen und die rote glibberige Masse an seiner Wange kleben bleibt und teilweise den Hals hinunter in seinen weißen Hemdkragen kleckert.

Einen Augenblick hält SIEgrid inne und betrachtet dieses Rinnsal, das wie Blut aussieht.
Mit fanatischem Blick presst SIE jetzt voller Zorn ihre Worte hervor:
„Dann brauch ich nämlich keinen Toaster mehr.“
SIE zerrt wild am Kabel des Toasters und zieht es mit einem Ruck aus der Steckdose.
„Und dann musst du meinetwegen überhaupt keinen Toast oder sonstwas mehr fressen, oder dich über irgendwelche Trotzköpfe aufregen, denn dann hab ich dich schon längst mit diesem Kabel hier erwürgt.“

SIE ist dabei, das zu machen, was sie sagt.

ERwin sitzt in seinem Rolli mit angezogener Bremse am Tisch und kann nicht zurückweichen. Auch in seinem „richtigen“ Leben ist er an den Rollstuhl gefesselt.
ER japst nach Luft und fuchtelt mit seinen erhobenen Armen wild herum.

Da kommt wieder die MÄNNERSTIMME AUS DEM OFF:
„Stopp, stopp, Siggi, das reicht, das ist nur ein Spiel! Zu fest darfst du das Kabel nicht ziehen, das könnte gefährlich wer… was ? Ich versteh dich nicht, warte, ich komm mal runter zu euch auf die Bühne.“

Dort angekommen, erfasst der MANN sofort die Situation: ERwins Kopf steckt noch in der Kabelschlinge und SIEgrid hört nicht auf, immer fester daran zu ziehen.
Der MANN stürzt sich auf sie und kann ihr gerade noch ein Kabelende aus der Hand reißen, als ERwin auch schon die Augen verdreht und seitlich im Rollstuhl zusammensackt. Der bekommt dadurch Schlagseite und kippt um.
Sofort wirft sich der MANN über ERwin und den Rolli und versucht, beide wieder aufzurichten.

In diesem Augenblick spürt er, wie das Kabel sich um seinen eigenen Hals legt und anfängt, nun ihm die Luft abzuschnüren. Während ein Rauschen in seinen Ohren stärker wird, nimmt er die Worte von SIEgrid nur noch wie das Zischeln einer Schlange wahr:
„Warum“, presst sie zwischen den Zähnen hervor, „warum musst du dich auch, seitdem wir verheiratet sind“, sie zieht das Kabel fester an, „immer wieder in meine und meines Vaters Angelegenheiten mischen, MANNfred!?!“

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