Von Renate Oberrisser

„Liebling, wie lange arbeitest du heute? Ich hol dich mit dem Auto ab, dann brauchst du nicht mit dem überfüllten Bus zu fahren“, säuselte Konrad aufs Band. „Ach ja! Könntest du in der Mittagspause noch schnell einkaufen gehen. Ich hätte wieder mal so richtig Lust auf ein anständiges Schnitzel mit Kartoffelsalat. Und Bier ist auch keines mehr da. Kuss. Bis später.“

 

„Es tut mir so leid Liebling, ich schaffe es nicht rechtzeitig. Sepp hat gerade die Jungs zur Trainingsbesprechung zusammengerufen. Freue mich schon aufs Essen heute Abend.“ Kurz vor Feierabend erhielt Hanna diese zweite Sprachnachricht ihres Mannes.

 

Mit vollen Einkaufstaschen hastete sie zur Haltestelle. Die Fußgängerampel sprang auf Rot, der Bus setzte sich in Bewegung und verschwand mit stoischer Gelassenheit aus ihrem Gesichtsfeld. Das hieß jetzt ganze zwanzig Minuten auf den nächsten warten. Hanna nutzte die Gelegenheit um eines der seltenen Telefonate mit ihrer Freundin Birgit zu führen. Sie war über diese Verschnaufpause froh. Seit sie mit Konrad verheiratet war, zerrann ihr die Zeit zwischen den Fingern.

 

„Hallo Liebling, ich bin da und hungrig wie ein Wolf“, trällerte Konrad gut gelaunt beim Öffnen der Wohnungstür. „Schnüffel, schnüffel?! Ich rieche, rieche noch kein Schnitzel? Ist es zu viel verlangt, nach einem anstrengenden Arbeitstag pünktlich ein anständiges Essen auf den Tisch zu bekommen? Bei Oma musste ich nie warten.“ Krachend fiel die Tür ins Schloss. Hanna zuckte erschrocken zusammen. Nicht genug, dass ihr der Bus vor der Nase davon fuhr, der zweite Verspätung hatte und zum Bersten überfüllt war. Musste sie auch den Einkauf samt Bierflaschen nach Hause schleppen. Und kein Wort der Anerkennung, dass das Essen trotzdem kurz vor dem Fertigwerden war. Atemlos legte sie das Fleisch ins heiße Öl. Sie hatte keinen Hunger mehr.

 

 

„Liebling! Alles Gute zum Geburtstag!“ Samstag früh morgens rissen diese Worte Hanna aus dem Schlaf. „Ich hab schon Frühstück gemacht.“ Konrad stand in voller Trainingsmontur im grellen Licht der Deckenleute vor ihr. „Vergiss nicht, ich komme erst nachmittags gemeinsam mit den Jungs zur Geburtstagsfeier.“

 

Verschlafen tapste Hanna zur Frühstückstafel. Die Thermoskanne befand sich in der Filterkaffeemaschine und obwohl das Lämpchen rot leuchtete, vermisste sie den Duft frisch aufgebrühten Kaffees. Auf dem Tisch stand ein Teller mit der letzten Brotschnitte vom Vortag, belegt mit einem Blatt Schinken. Bei diesem Anblick am frühen Morgen drehte sich ihr der Magen um. Vor der Hochzeit wusste Konrad doch, dass sie Schinken nicht ausstehen konnte, fiel Hanna prompt ein.  Als Draufgabe ergoss sich der Kaffee in trüber Farbe in ihren Becher. Sie erinnerte sich schwach daran, die Kanne am Abend nicht mehr ausgeleert und ausgewaschen zu haben. 

„Kalter Kaffee kittet keinen Knacks“, reflektierte sie die Lage und kippte die Brühe in den Ausguss. Nach Luft schnappend setzte sie sich an den Tisch. Diese Kurzatmigkeit verspürte sie immer öfters. Wie sollte sie nur den restlichen Tag hinter sich bringen? Zum Feiern war ihr nicht zu Mute.

 

„Hallo Hanna. Alles Gute zum Geburtstag!“ Hanna blieb neben der Wohnungstür stehen und nahm vereinzelte Glückwünsche entgegen.

„Müde schaust du aus, meine Liebe“, bemerkte Thomas, einer der wenigen Freunde, die ihr aus der Zeit vor Konrad geblieben waren. „Hält dich dein Göttergatte so auf Trab oder ist schon was Kleines bei euch unterwegs? Ich melde mich freiwillig als Patenonkel. Obwohl ich viel lieber der Vater wäre. Wie du ja sicher noch weißt.“

„Musstest du ausgerechnet Thomas auch einladen. Ist ja peinlich, wie der eine verheiratete Frau anbaggert“, schimpfte ihr Konrad ins Ohr, der das Gespräch hellhörig belauscht hatte. Einem Kollaps nahe hielt sich Hanna am Türrahmen fest. Nicht einmal an ihrem Geburtstag war ihr ein bisschen Frieden vergönnt.

 

„Du kannst dir nicht vorstellen, womit mich Konrad heute früh überrascht hat. Er ist die reinste Aufmerksamkeit in Person“, schüttete Hanna ihr Herz bei Birgit aus.

„Er war doch vor eurer Hochzeit nicht so. Ich versteh nicht, warum er sich so geändert hat“, versuchte die beste Freundin Trost zu spenden.

„Und dann fragen noch alle, ob schon Nachwuchs unterwegs ist. So etwas unsinniges, ich hab ja schon das größte Baby der Nation an der Backe. Er lässt mir oft keine Luft zum Atmen.“

„Das Beste für dich wäre, das Ganze zu beenden. Denk nicht zu lange drüber nach, du verschwendest nur dein Leben mit ihm, wenn er sein Verhalten nicht schnellstens ändert.“

„Du hast recht. Vielleicht passt das alles ja zu der eigenartige Geschichte seiner Kindheit. Die dominante Großmutter, das unerklärliche Verschwinden seiner Mutter. Von seinem Vater weiß ich überhaupt nichts.“

 

„Na, was habt ihr beiden wieder für Geheimnisse zu besprechen. Deine Gäste beklagen sich schon, dass du dich überhaupt nicht mehr um sie kümmerst“, meckerte Konrad, als er mit leeren Bierflaschen die Küche betrat. Birgit warf ihm einen verächtlichen Blick zu.

„Im Grunde sind die meisten deine Gäste, die es sich an meinem Geburtstag schmecken lassen. Ich kann mich nicht erinnern, einen einzigen aus deinem Verein eingeladen zu haben.“ Hanna drückte Konrad einige Tüten mit Knabbereien in die Hände und schob ihn zur Tür hinaus.

„Versorgt euch selbst. Ich nehme eine Tablette und geh ins Bett. Ich habe rasende Kopfschmerzen. Und bitte denk an die Lautstärke wegen der Nachbarn, die beschwerten sich das letzte Mal schon.“

 

„Was fällt dir ein, alle meine Freunde so vor den Kopf zu stoßen. Es hatte keiner mehr Lust zu bleiben, weil du mit derartiger Frust herumgelaufen bist“, entrüstete sich Konrad am nächsten Morgen.

„Alle haben sich bemüht, dir einen schönen Geburtstag zu bereiten. Dir kann man ja nichts recht machen. Vor unserer Hochzeit warst du keine solche Zimtzicke. Derartiges lasse ich nicht weiter einreißen. Merk dir das für die Zukunft. Meine Oma hat mich immer davor gewarnt, die Falsche zu heiraten.“ Seine Stimme überschlug sich fast dabei und nur mit Mühe hielt er seine Hand zurück. Entsetzt starrte Hanna ihn an. Ihr Atem ging keuchend. So hatte sie ihn noch nie erlebt.

 

 

„Beruhige dich doch Hanna. Alles wird Gut.“ Birgit tätschelte ihre Hand, während sie in der Notaufnahme warteten.

„Ich bekomme keine Luft“, japste Hanna vor sich hin. „Er hat es schon wieder gemacht. Und ich lasse es mir jedes mal gefallen. Ich bin ja so bescheuert.“

 

„Liebe Frau Berger. Organisches können wir wie immer ausschließen. Ihre Atembeschwerden sind psychischer Natur. Möchten Sie noch über etwas anderes mit mir sprechen? Frau Berger, Sie sollten wirklich überlegen, etwas in Ihrem Leben zu ändern“, bemühte sich die diensthabende Ärztin nicht zum ersten Mal zu Hanna vorzudringen.

 

„Liebling! Ich weiß gar nicht, warum du dir von Birgit und dieser Ärztin immer so einen Unsinn einreden lässt. Du hast ganz einfach Asthma. Genauso wie einst meine Mutter“, donnerte Konrad beim Abendessen. „Hetze nicht immer so herum. Nach der Arbeit noch zu so unsinnigen und teuren Kursen. Die helfen nicht bei Asthma. Und zu Hause bleibt die Arbeit liegen. Ich kann es nicht ableugnen, meine Oma hatte recht.“ Weiter vor sich hin schimpfend verließ er das Esszimmer und zog sich zum wohlverdienten Fernsehabend zurück.

 

 

Zu vorgerückter Stunde fiel Hanna erschöpft ins Bett. Aus dem Nebenraum hörte sie ihrem tief schlafenden Noch-Gatten.  Der nächste Tag sollte alles ändern und  trotzdem fand sie, wie schon so oft, keinen Schlaf. Tastend suchte sie im Nachtkästchen nach den Oropax. Endlich Ruhe, dachte sie  noch erleichtert, als sie unsanft an der Schulter gerüttelt wurde.

„Hörst du den Wecker nicht?“, fauchte Konrad sie an. „Ich möchte keine unnötige Zeit verlieren.“

 

Verschlafen tappte sie in die Küche und begab sich auf die Suche nach dem Asthmaspray.

„Hast du gestern noch Schinken gekauft? Du weißt genau, dass ich es hasse, wenn nicht genügend Schinken im Toast ist.“ Breitbeinig stellte sich Konrad vor den Kühlschrank und wühlte darin herum.

„Ich bin gestern nicht Einkaufen gegangen. Ich hab dich mehrmals erinnert, es selbst zu erledigen.“

„Zum Glück hab ich dir diesen Monat kein Geld mehr gegeben.“ Mit hochrotem Gesicht begann Konrad herumzuschreien.

Hanna zuckte überdrüssig mit den Schultern. ‚Wenn er jetzt auch noch mit seiner Großmutter anfängt, erwürge ich ihn mit dem Kabel vom Toaster.‘

 

Während ein Sanitäter Hannas verletztes Handgelenk schiente, berichtete sie den erhebenden Beamten vom letzten gemeinsamen Frühstück.

„Wir hatten doch schon fast alles geklärt“, schluchzte sie erschüttert und drückte den Kühlbeutel an ihre Stirn. „Ich erinnere mich noch daran, dass Konrad wieder einmal ‚Meine Oma hatte schon recht, mit den undankbaren Weibern‘ zeterte und wie viel Zeit er verschwendet habe. Und dann ging alles ganz schnell. Er trug den Toaster zum Esstisch und stolperte. Ich hechtete instinktiv nach dem fallenden Teil. Ob ich erst mit dem Kopf auf dem Boden aufschlug oder auch den Toaster traf, weiß ich nicht mehr. Das letzte woran ich mich erinnere ist ein eigenartiges, japsendes Geräusch und ein höllischer Stich im Handgelenk. Als ich wieder aufwachte, lag Konrad regungslos mit dem Kopf auf der Tischplatte, zwischen Schinken, Käse und Toastbrot.“

„So ein Unglück aber auch!“, murmelte eine Polizistin verständnisvoll. 

 

„Die arme Hanna. Zum Glück ist ihr nichts gröberes passiert. Was nur in den Konrad gefahren ist, dass der wieder so herumbrüllen musste“, tuschelten die Nachbarinnen als Hanna mit dem Rettungswagen weggebracht wurde.

„Das Leben nimmt oft sonderbare Wege. Mit dem Kabel vom Toaster am Küchentisch stranguliert und das am Tag, an dem er ausziehen sollte.“

Aufgeregt vor sich hin schnatternd blickten die Nachbarinnen dem großen, schwarzen Wagen nach, der Konrad der verehrten Oma ein Stück näher brachte.

 

Version 2