Von Eva Fischer

Ich heiße Pia und bin zehn Jahre alt. Mein Bruder Paul ist zwei Jahre jünger und sehr nervig. Wenn er Quatsch macht, was eigentlich täglich der Fall ist, dann guckt meine Mutter mich vorwurfsvoll an, weil ich es nicht verhindert habe. Das finde ich total ungerecht. Am liebsten hätte ich eine Schwester in meinem Alter. Mit der könnte ich viel besser spielen. 

Einmal im Monat gehen Mama und Papa zu Winterscheids, um Doppelkopf zu spielen. Ich soll Paul um neun Uhr ins Bett bringen. Wir kriegen noch eine DVD mit einem kindgerechten Film eingelegt, wie Mama immer sagt, der exakt bis Viertel vor neun dauert. Natürlich sitzen wir schon in Schlafanzügen und mit geputzten Zähnen vor dem Fernseher. Aber kaum sind unsere Eltern weg, schaltet Paul auf Nox um, weil da immer Gruselfilme kommen. Paul liebt Gruselfilme. Paul liebt auch die „Pinkelpausen“, wie er sagt. Immer wenn der Film gerade am Spannendsten ist, kommt Werbung und Paul holt sich ein Eis und eine Cola aus dem Kühlschrank. 

„Willst du wissen, wie der Film weitergeht?“, fragt er mich, während er die Cola blubbernd durch den Strohhalm zieht.

„Woher willst du denn wissen, wie er weitergeht“, antworte ich verächtlich.

„Weil ich schlau bin und du nicht“, meint mein Bruder und grient mich blöde an.

„Dann lass mal hören, du Schlauberger!“, sage ich und denke, dass wir gleich sehen werden, dass mein Bruder wie immer keinen blassen Schimmer hat.

„Also, die Alte ist total sauer auf ihren Mann, weil er die Nachbarin gevögelt hat.“

Das Wort „gevögelt“ lutscht er wie ein Sahne-Bonbon auf der Zunge, als ob ich doof wäre, es nicht kennen würde.

„Und weiter?“, frage ich ungeduldig.

„Die sitzen beim Frühstück und auf dem Tisch steht ein Toaster. Blutrot, hast du das gesehen?“

Ich verdrehe die Augen, denn ich habe keine Lust auf Informationen, die ins Abseits führen.

„Na und!“, sage ich daher und beiße in die Schokoschicht von meinem Knogger.

„Gleich wird sie die Schnur des Toasters nehmen und ihren Mann damit erwürgen.“ Geräuschvoll und offensichtlich befriedigt von seiner Idee versucht er, den letzten Rest aus der Coladose zu schlürfen.

„Du spinnst ja“, gebe ich zurück. „Wenn sie ihn erwürgen will, dann nimmt sie den Gürtel ihres Bademantels, aber keine Schnur, wo ein Toaster dranhängt.“

Triumphierend lehne ich mich auf der Couch zurück. Jüngere Brüder sind nun mal doof. Das weiß jeder. 

Paul wäre nicht Paul, wenn er jetzt aufgäbe.

„Der Toaster ist natürlich wichtig, denn den wirft sie ihm auf den Kopf, damit er zu Boden geht. Ein starker Mann würde sich nie von seiner Alten erwürgen lassen, wenn er bei Sinnen ist“, kontert er.

„Bei Sinnen?!“ Wo hat er dieses Wort schon wieder her?

„Ok, angenommen sie wirft ihm erst den Toaster an den Kopf und der Mann fällt um. Dann wird sie aber dennoch nicht das Kabel nehmen, um ihn zu erwürgen, es sei denn, es hat sich beim Sturz des Toasters gelöst.“ 

Das Strahlen in seinen Augen verrät mir, dass ich seiner Ansicht nach in eine Falle getapst bin.

„Genau!“, sagt er und rülpst.

„Was?!“ Meine Augen verengen sich zu Schlitzen wie bei einer Katze, die eine Maus vor sich hat.

„Wie du schon sagst. Das Kabel geht ab, nachdem die Alte den Mann k.o. geschlagen hat.“

„Niemals! So ein Quatsch!“ Nun mach ich auf überlegene Schwester, was Paul auf den Tod nicht ausstehen kann. Er springt sofort auf, legt sein dahinschmelzendes Eis auf das weiße Tischtuch des Couchtisches, was Mama nicht freuen dürfte, und rast in die Küche. Wenig später steht er mit dem Toaster auf dem Arm vor mir.

„Wetten?!“ 

„Um was?“, frage ich ruhig, während ich genüsslich an meinem Knogger weiterschlecke. 

„Um fünfzig Euro.“

„Hast du nicht“, sage ich verächtlich.

„Dann um zehn Euro.“

Ich weiß, dass Paul wöchentlich zehn Euro Taschengeld kriegt, und schlage ein.

Paul lässt den Toaster auf den Wohnzimmerboden fallen. Lautlos versinkt er im Teppich. Ich zeige auf das Kabel, das ganz offensichtlich noch fest am Toaster hängt.

„Wir müssen in die Küche. Da sind Fliesen“, schlägt Paul vor, der sich noch längst nicht entmutigen lässt. Er gibt mir ein Zeichen, dass ich ihm folgen soll. Seufzend erhebe ich mich, aber ich denke an die zehn Euro und Pauls wütendes Gesicht, wenn er sie mir geben muss. 

Paul klettert samt Toaster auf den Küchentisch. Ich schaue ihn fragend an.

„Der Mann, den die Frau erschlägt, ist größer als ich“, klärt mich mein Bruder auf.

Diesmal fällt unser silbergrauer Toaster laut krachend zu Boden. Ich sehe, dass er eine kleine Delle abgekriegt hat, aber die Schnur ist noch dran, wie ich zufrieden feststelle.

Wie im Schwimmbad, wo Paul ständig aufs Einmeterbrett steigt, weil er nicht genug vom Springen kriegen kann, klettert er auch jetzt immer wieder auf den Tisch. Es kracht und scheppert. Die Dellen auf dem Toaster geben mittlerweile ein lustiges Muster ab. Doch die Schnur lässt sich nicht abmachen, so sehr Paul auch daran zieht. 

„Sie kann ihren Alten auch erwürgen, wenn der Toaster dranhängt“, meint mein Bruder schließlich.

„Soll ich dir das mal zeigen?“ Paul nähert sich mir samt Toaster und glotzt auf meinen Hals.

 „Gib doch endlich zu, dass du verloren hast!“, sage ich spöttisch.

„Komm! Einen Versuch!“

„Nein!“

„Einen Versuch! Bitte!“

„Nein! Ich bin doch nicht bekloppt und lasse mich von dir strangulieren!“

„Strangu was?“

„Na killen, du Spasti!“

„Dann kriegst du auch keine zehn Euro“, sagt er.

„Ich kann dich ja killen, wenn du willst“, sage ich. Paul reicht mir tatsächlich den Toaster und streckt mir seinen Hals hin.

Es ist nun wirklich nicht einfach, das Kabel samt Toaster um Pauls Hals zu schlingen, aber mein Bruder ist so nett und hilft mir dabei. Er will unbedingt die zehn Euro von mir.

„Kannst ruhig fester machen“, versichert er mir.

Na schön, wie du willst, denke ich wütend.

In dem Augenblick sehe ich meine Mutter in die Küche kommen.

„Sofort aufhören! Bist du wahnsinnig, Pia! Was machst du mit deinem Bruder!“

Meine Mutter bringt den Toaster in Sicherheit, bevor sie mir dann doch noch eine Ohrfeige verpasst.

 „Da bin ich aber froh, dass es Papa nicht so gut geht und wir eher nach Hause gekommen sind. Nicht auszudenken, was hätte passieren können“, seufzt sie.

Ich weiß, es ist zwecklos, Mama alles zu erklären. Sie würde mir doch nicht glauben. Heulend will ich in mein Zimmer flüchten. 

„Die zehn Euro kriegst du nicht“, brülle ich meinen Bruder noch an, der mich doof angrinst. Er zeigt mir einen Stinkefinger, was meine Mutter natürlich wieder nicht sieht, weil sie mich anfaucht: „Und denk daran, Pia, du hast für die nächste Woche Stubenarrest, damit du Zeit zum Nachdenken hast, wie du dich gegenüber deinem kleinen Bruder zu verhalten hast! “

Mit einem Blick auf den kaputten Toaster fügt sie hinzu: „Außerdem brauchen wir einen neuen Toaster. Das Geld ziehe ich dir von deinem Taschengeld ab.“