Von Ellen Loeper-Cremer

Wie immer ist alles perfekt vorbereitet und auf dem runden Mahagonitisch im Salon präsentiert sich ein fein austariertes Arrangement aus filigranen Porzellantellern und Kristallgläsern. Die indirekte Beleuchtung spiegelt sich in den Wein- und Wassergläsern wider, auf kleinen Tellern hat Veronika ein paar Köstlichkeiten arrangiert: Für Annelie gibt es wie immer ein buntes Potpourri Macarons, für Irmtraut und sich hat sie Canapés mit Lachs, Krabben und Kaviar sowie Käse bereitgestellt. Heute wird ein feinwürziger Reblochon aus Frankreich den Rotwein abrunden. Als versierte und leidenschaftliche Hobbyköchin hat sie selbstverständlich alles selbst zubereitet.

Die Scrabble-Abende mit ihren beiden langjährigen Freundinnen sind ihr heilig. Egal, was auch immer gerade im in ihrem Leben passiert, an dem gemeinsamen Abend einmal in der Woche wird mit eiserner Disziplin festgehalten. Er bringt nicht nur die grauen Zellen in Schwung, auch das ein oder andere Problemchen konnte in dieser an Lebenserfahrung reichen Runde immer kreativ gelöst werden. Ja, Veronika ist äußerst dankbar dafür, mit Irmtraut und Annelie zwei verlässliche, kluge und vor allem verschwiegene Freundinnen an ihrer Seite zu haben. 

Veronika schaut zur Standuhr, noch eine Stunde hat sie Zeit, um sich umzuziehen und etwas frisch zu machen. Sie legt äußerst großen Wert auf ein gepflegtes Äußeres. Mit zunehmendem Alter wird der Aufwand zwar immer größer, ein halbwegs akzeptables Bild abzugeben. Aber Veronika – und ihre beiden Freundinnen übrigens auch – schätzt es in keinster Weise, sich gehen zu lassen. „Wo kämen wir denn da hin?“

Leider sieht das ihr Mann Wolfgang etwas anders. Er ist auch das Problem, welches sie heute Abend mit Irmtraut und Annelie erörtern möchte. Seit Wolfgang im Ruhestand ist, wird er ihr allmählich lästig. Immer und überall kreuzen sich ihre Wege, dabei ist die Villa nun wirklich nicht klein. Selbst im Garten und in ihrem geliebten Gewächshaus, wo sie mit viel Geschick und Hingabe ihre Blumen und Kräuter zieht, hat sie kaum Ruhe vor ihm. Wie ein Geist taucht er zu den unmöglichsten Zeiten plötzlich aus dem Nichts auf und fragt, was sie macht. Offensichtlich weiß er nichts mit sich anzufangen. Außerdem lässt er sich zunehmend gehen.

Von Mal zu Mal registriert Veronika den scheinbar unaufhaltsamen Verfall ihres Mannes. Er hält es offensichtlich nicht mehr für nötig, seine morgendliche Toilette zu absolvieren und bringt es tatsächlich fertig, unrasiert und im Morgenmantel zum Frühstück zu erscheinen. Seinen Füßen gönnt er dabei die Freiheit, „atmen“ zu können, was sie in den Genuss bringt, einen Blick auf seine bleichen Zehen mit den gelblich-grauen Nägeln zu erhalten. Und erst seine Essmanieren! Sabbernd, schlürfend, schmatzend und knurpsend  löffelt er sein Müsli, seine Nase versinkt dabei fast in der Schale. Zwischendurch greift er mit seiner dürren, fleckigen Hand zur Kaffeetasse. Wie hypnotisiert starrt Veronika dabei jedes Mal auf das bläuliche Geflecht von Adern, das auf seinem Handrücken hervorwächst und das bisschen Fleisch verschwinden lässt, das noch die Knochen bedeckt. Mit seinem Duft aus Nachtschweiß, ungewaschenen Füßen und morgendlichen Verdauungsrülpsern nimmt er auch olfaktorisch den ganzen Raum in Beschlag. Das allein reicht schon, um ihr den Appetit auf ihr geliebtes Toast mit Butter und Quittenmarmelade zu verderben.

Veronika stellt sich schon seit längerem die Frage, wie sie diesem Martyrium entkommen kann. Abhilfe tut also Not!

Das Glockengeläut des Big Ben erklingt, Irmtraut und Annelie sind da! Schnell noch etwas Eau de Parfum auf die Ohrläppchen und die Handgelenke getupft, ein kritischer Blick in den Spiegel geworfen und schon eilt sie nach unten, um ihre Freundinnen zu begrüßen.

Sobald jede ihren Platz am Spieltisch im Salon eingenommen hat, wird nicht lange um den heißen Brei herumgeredet.

 „Wo drückt dich denn der Schuh, meine Liebe?“ Annelie schließt verzückt die Augen und genießt ihr erstes Macaron: Himbeere. „Ich könnte töten für diese Köstlichkeiten!“

„Du triffst den Nagel auf den Kopf, liebe Annelie. Es geht um Wolfgang.“ Veronika schüttelt den Beutel mit den Buchstaben und lässt jede im Wechsel die Steine ziehen. „Seit er im Ruhestand ist, ist es mit meiner gepflegten Ruhe dahin. Überall sitzt, steht oder läuft er herum und will wissen, was ich gerade mache. Mir wird das zunehmend lästig. Ich brauche eine Lösung, und zwar eine Dauerhafte.“

Irmtraut blickt kritisch auf den kleinen Holzblock in ihrer Hand. „Gehe ich recht in der Annahme, dass dir eine ähnliche Lösung vorschwebt, wie wir sie vor fünf Jahren für meinen Hans – Gott hab ihn selig –  gefunden haben?“

„Und wie vor acht Jahren für meinen guten Klaus?“, ergänzt Annelie. Mit einem Schluck Cabernet Sauvignon spült sie ihr drittes Macaron hinunter. „Ich frage mich schon seit geraumer Zeit, wie lange du es noch mit Wolfgang aushalten willst?“ Vorsichtig suchend kreist ihre schmale, zierliche Hand mit den rosa lackieren Nägeln über das Gebäck und entscheidet sich schließlich für ein Caramel-Macron mit Fleur du Sel. „Ich bin süchtig nach diesen kleinen Wundern.“

Veronika blickt ihre Freundinnen aufmunternd an. „Also gut, meine Damen, ich wäre für ein paar kreative Vorschläge hinsichtlich des Ablebens meines Mannes dankbar. Darf ich euch noch etwas Wein nachschenken?“

Nachdenkliche Stille senkt sich über den sanft ausgeleuchteten Mahagonitisch, selbstversunken werden die Buchstaben immer wieder auf den kleinen Holzständern hin- und hergeschoben. Irmtraut macht den Anfang und legt das Wort ‚Toaster‘. Die Punkteausbeute ist zwar recht mager, aber Irmtraut schwebt etwas anders vor. „Nach zwei dezent herbeigeführten Herzversagen wäre doch einmal ein klein wenig Abwechslung angesagt, was meint ihr? Außerdem wird dein lieber Göttergatte Wolfgang auch der letzte in unserer Runde sein, der in den Genuss des vorzeitig herbeigeführten Ablebens kommt.“ Veronika und Annelie blicken etwas irritiert auf ihre Freundin und wechseln stirnrunzelnd Blicke.

„Wie stellst du dir das vor, meine Liebe? Soll ich meinem Mann den Toaster an den Kopf schlagen? Dazu fehlt mir wohl die Kraft, auch wenn er nur noch Haut und Knochen ist und die Aussicht auf Erfolg vielleicht gar nicht so schlecht stünde. Außerdem verabscheue ich rohe Gewalt.“

Die beiden anderen Damen nicken zustimmen. Plötzlich lacht Annelie kurz auf, schaut siegessicher auf das Spielbrett und legt zielstrebig das Wort ‚Kabel‘ an. „Toasterkabel, na wer sagt`s denn!“, jubiliert sie glockenhell.

Bevor sie ihren Geistesblitz näher erläutern kann, richtet Irmtraut sich voller Entrüstung kerzengerade auf. „Das zählt aber nicht doppelt, ‚Toaster‘ lag schon da!“ Gerne und bei jeder sich bietenden Gelegenheit kehrt sie ihre Dozentinnen-Attitüde heraus, dabei ist sie schon seit Jahren im Ruhestand. Als Hüterin des Scrabble-Reglements besteht sie auch darauf, den Punktewert der Wörter auszuzählen und einzutragen, geschummelt wird nicht. „Hier geht alles mit rechten Dingen zu!“

„Toasterkabel.“ Nachdenklich wiegt Veronika ihre frische Dauerwelle hin und her, ein listiges Lächeln umspielt ihre immer noch sinnlich-vollen, mit einem Hauch Rot geschminkten Lippen. „Warum eigentlich nicht! Ich nehme das Kabel des Toasters – das ist tatsächlich eine Herausforderung! Die Frage ist also: Wie stelle ich es an? Irgendwelche Ideen?“

„Die Möglichkeiten sind in der Tat begrenzt und wir sollten uns auf die Dinge konzentrieren, die vorhanden sind.“ Irmtraut fängt wieder an, zu dozieren. „Des Weiteren ist es von Nöten, eine kräftezehrende Auseinandersetzung zu vermeiden. Folglich wirst du nicht umhin kommen, liebe Veronika, deine Gatten in einen Zustand zu versetzen, der die problemlose Verwirklichung deines Vorhabens ermöglicht.“

Die köstlichen Macarons stimulieren Amelies Fantasie, sie sprudelt förmlich über vor Einfallsreichtum. „Du könnest ihm doch ein wenig von der Engelstrompete in sein Müsli mischen, nur so viel, dass er sanft entschlummert. Der Rest dürft dann nur noch ein Kinderspiel sein.“

Veronika schaut irritiert in die Runde. „Ich verstehe nicht ganz, ich dachte, das Kabel des Toasters sollte das Mittel der Wahl sein?“

Annelie lächelt verschmitzt. „Aber ja, meine Liebe, das ist es auch. Denn anschließend kannst du ihm das Kabel um den Hals legen und alles in Ruhe zu Ende bringen.“

„Das dürfte problematisch werden, denn das Kabel ist definitiv zu kurz!“ Irmtraut weiß es wieder einmal besser, bringt aber auch die Schwierigkeit des Unterfangens auf den Punkt.

Wieder senkt sich nachdenkliches Schweigen über die traute Runde. So schnell will man das Vorhaben nicht aufgeben. Veronika geht in Gedanken durch ihre geräumige Küche: Sie ist modern und mit den aktuellsten Geräten ausgestattet. Erst vorige Woche wurde ihre neue, vollautomatische Nudelmaschine geliefert. In der Mitte steht ein blank gewachster, massiver Pinientisch, der ausreichend Platz für gemütliche Kochevents und Gourmetabende mit ihren Freundinnen bietet.

„Ich denke, ich habe die Lösung!“ Mit leicht geröteten Wangen setzt Veronika ihre Freundinnen ins Bild. „Sobald der Gute mit seiner Nase in der Müslischale gelandet ist, nehme ich den Gürtel seines Bademantels.“

Bevor sie weiterreden kann, fährt ihr Irmtraut dazwischen. „Der Gürtel eines Bademantels ist nun wahrlich kein Toasterkabel, meine Liebe.“

„Ich bin ja noch nicht fertig!“ Veronikas Stimme vibriert vor Aufregung. „Ich verlängere das Kabel des Toasters einfach mit dem Stoffgürtel. Den lege ich dann in meine Nudelmaschine, die auf der Anrichte steht. Die Maschine zieht den Gürtel ein und ich brauche lediglich den Toaster festzuhalten. Das müsste doch zu schaffen sein! Was haltet ihr davon? Findet diese Vorgehensweise eure Zustimmung?“

Ihre Freundinnen zeigen sich durchaus beeindruckt von Veronikas fantasievollem Vorschlag, aber wieder ist es Irmtraut, die den Finger in die Wunde legt. „Und wo soll der gute Wolfgang anschließend seine letzte Ruhestätte finden? Schließlich muss dafür Sorge getragen werden, dass seine leibliche Hülle auf Nimmerwiedersehen verschwindet.“

Hochkonzentriert blickt Annelie auf das Spielbrett, auf dem sich mittlerweile ein verzweigtes Wortnetzt gebildet hat, schließlich legt sie das Wort ‚Kompost‘. „Hast du nicht hinter deinem Gewächshaus einen großen Komposthaufen, Veronika?“

Irmtraut runzelt die Stirn. „Es fehlt aber noch das Wort …“ Sie hält inne, räuspert sich und meint großzügig: „Nun ja, man muss ja nicht päpstlicher als der Papst sein.“

 

Version 2