Von Katharina Rieder 

Stella stolperte über so einige Dinge in ihrem Leben: Über die verschmutzte Wäsche, die sich auf dem Fußboden türmte, das Stromkabel, das sich bei jeder Berührung zwischen Bett und Steckdose bewegte oder über die ausgestreckten Beine ihres Mannes.

„Karl, hast du meinen neuen Krimi schon gelesen?“, erkundigte sie sich zum dritten Mal in dieser Woche bei ihm.

„Was hast du gesagt? Ach ja, deine Geschichte. Da werde ich gelegentlich draufschauen!“

Er versank umgehend wieder im weltweiten Netz, wischte zärtlich über sein I-Pad. Stella seufzte, das Tablet beneidend, ließ Chaos, Chaos sein und entschied sich in einem Schreibforum einzuloggen. Ihr Blick glitt über das aktuelle Mitmachprojekt zum Thema: „Der letzte macht das Licht aus“ und blieb an einem der Autorennamen haften.

‚Pah, was für ein verstaubter Name!‘

Dennoch – wie Kaugummi, der einmal in die Haare gekommen, nicht mehr so einfach loszuwerden war, klebte sich sein Nimbus in ihrem Gedächtnis fest. Stella murmelte „Konrad-Klaus Kajan …“ mehrmals verträumt vor sich hin.

Feine Fältchen bildeten sich bei der Intonation des „K“ um ihre himmelblauen Augen, wie Sand, der zum Schwingen gebracht, sich in geometrischen Mustern ordnet. Elektrisierend. Sie vermochte nicht zu sagen warum.

Sie klickte sich zu den Einträgen der Forumsmitglieder zu ihrer Kurzgeschichte durch. Beim Lesen der Kommentare glättete sich ihre Haut schnell wieder. Die Story, der sie viel Zeit gewidmet hatte, wurde von den mitstreitenden Schreiblustigen in Fetzen gerissen. Christl fand den Text zu flach, Yva hätte ihn sich pointierter gewünscht und Bernd konnte beim besten Willen das Monatsthema nicht erkennen …

Stella scrollte weiter nach unten und stolperte dabei erneut über Konrad-Klaus. Eine kaum merkbare Welle schwappte sanft durch ihren Körper, kitzelte ihre Seele.

Die Schwingung verdichtete sich, während sie seinen Kommentar las: „Liebe Stella, du schreibst sehr einfühlsam und tiefsinnig. Deine Geschichte gefällt mir, hat mich gefesselt und ist etwas sehr Besonderes …“

Die nachfolgenden Feedbackmeldungen waren nicht viel besser als die von Christl, Yva und Co. Hätte Stella das nicht stutzig machen können? Empfand der Typ mit dem klangvollen Namen etwa nur Mitleid mit ihr?

Sie bedankte sich für seine einfühlsamen Worte. Schon bald jagte eine private Nachricht die nächste. Es war ein sanfter Gleichklang der inneren Schwingungen spürbar, von der Nordsee bis zu den Alpen. Die E-Mails schwirrten wie aufgescheuchte Brieftauben hin und her. Der Inhalt wurde persönlicher und emotionaler.

Konrad-Klaus Kajan verstand es, ihre Mitte sanft zu streicheln. In ihrer Fantasie sah sie sich mit ihm an einem beseelten Ort sitzen und gemeinsam Bücher schreiben. Es war von Anfang an klar, dass es nur eine rein platonische Beziehung sein sollte. Wohin mit dem Ehemann und der Realität ihres Daseins?

Einmal schickte sie ihm eine Kurzgeschichte, die sie für eine Ausschreibung verfasst hatte. Ihr dämmerte zwar, dass sie vergessen hatte, ihre Adresse aus der Fußzeile zu löschen und für ein Sekündchen taumelte Stella. Doch der Gedanke, dass er neben den ganzen anderen vertraulichen Details über ihr Leben nun auch noch ihre Anschrift kannte, verzauberte sie.

Während Konrad-Klaus via Internet Stellas Haus ins Visier nahm, ergab sie sich dem prickelnden Gefühl und ignorierte die Warnsignale, die sich langsam, aber stetig in ihrem Innersten ausbreiteten.

***

„Gute Fahrt! Meld` dich, wenn du angekommen bist!“

Stella küsste zum Abschied ihren Ehemann, der sich zu einem Firmenmeeting aufmachte.

Er war keine fünf Minuten fort, da läutete es.

„Typisch, jetzt hat der wieder seinen Schlüssel liegen lassen!“

Sie öffnete schwungvoll die Eingangstüre.

„Hast du schon wieder …?“

Sie sah auf und verstummte schlagartig. Vor ihr stand ein unbekannter, gutaussehender Typ und scannte sie hemmungslos von oben bis unten.

„Hallo, aufwachen! Ich bin`s Konrad-Klaus! Da staunst du was! Ich bin extra zu dir in den staubigen Süden gepilgert.“

Er lächelte sie schelmisch an und gab ihr einen Kuss auf den Mund. Stella stand mit hochrotem Kopf, wie schockgefrostet, im Flur.

„Geht`s hier lang?“

Konrad-Klaus drängte sich vorbei und schleppte seinen vergilbten Tramperrucksack, der geradezu nach „Ich bin gekommen, um zu bleiben“ schrie, in Richtung Wohnzimmer.

Sie folgte ihm mechanisch und willenlos.

„Was machst du hier? Wie …? Warum …?“

Konrad-Klaus zog sie mit einem Ruck zu sich und hauchte ihr ins Ohr.

„Du bist noch heißer, als ich dachte.“

Stella, die in ausgeleierten Leggings und zwei Euro Shirt ungewaschen vor Konrad-Klaus stand, ließ sich von ihm rückwärts in ihr Schlafzimmer navigieren.

‚Es gibt anscheinend doch noch einen Gott! Endlich mal ein Mann, der mich sieht, wie ich wirklich bin‘, flimmerte es durch ihre Gehirnwindungen.

Sie strauchelte und stolperte ins eheliche Bett. Ihr Verstand verabschiedete sich zusammen mit der Wäsche. Konrad-Klaus` Hand sauste auf Stellas Po nieder. In der Intensität, wie sie es sich immer gewünscht hatte, aber es sich ihrem Mann nie zu sagen traute. Sie stöhnte ekstatisch.

***

Kaum hatte Stellas Mann Karl die Wohnung verlassen, sackte er innerlich zusammen. Er schleppte sich zu seinem Auto, das längst der Bank gehörte, genauso wie das Haus samt Grund und Garten. Seinen Job hatte er schon vor Monaten verloren. Er führte ein Doppelleben, trieb sich in Spielhöllen und Spelunken herum. Immer häufiger versteckte er sich tagsüber im Schuppen hinter dem Haus.

Karls Hände zitterten. Er suchte in seiner Aktentasche nach dem Flachmann, öffnete den Schraubverschluss und setzte die Flasche an.

„Verdammt!“

In der Hoffnung noch ein bisschen Alkohol aus dem Flachmann heraus zu bekommen, schüttelte er ihn über seinem geöffneten Mund. Nicht einmal ein Tröpfchen erbarmte sich seiner.

Bei dem Gedanken, seiner Frau beichten zu müssen, dass sie quasi vor dem Nichts standen, schwappte erneut eine Welle der Übelkeit durch seinen Körper. Gerne hätte er den Druck abgelassen! Aber wie?

‚Zuerst einmal Nachschub holen.‘

Ein Teil seines gesunden Menschenverstands schien noch zu funktionieren. Als er aus der Ausfahrt bog, kam ihm ein fremder Mann, mit vergilbtem Tramperrucksack, entgegen. Der Typ schien es eilig zu haben und pfiff vergnügt vor sich hin.

‚Was will der Vogel denn hier?‘

***

Schon bald vernebelte Karl eine Mixtur aus Bier und Wodka das Gehirn. Er saß im Schuppen hinter dem Haus, wie Michel aus Lönneberga, wenn er wieder einmal vollkommenen Blödsinn initiiert hatte. Er schnitzte aber keine Männchen, sondern schaltete den DVD-Player ein. Beethovens Fünfte mit seinen hämmernden Anfangsakkorden verstärkte seinen aufgewühlten Gemütszustand. Ein Verlängerungskabel zog sich am Boden von der linken Seite des Schuppens zur gegenüberliegenden. Die Erinnerung an die eindringliche Stimme seiner besseren Hälfte Stella durchzuckte seine Gedankengänge.

‚Karl! Herr Gott, hast du schon wieder eine Stolperfalle geschaffen? Wie dumm kann man eigentlich sein?‘

Er wusste darauf keine zufriedenstellende Antwort und drehte die Musik wieder ab. Sein Blick schweifte durch den winzigen Innenraum und blieb an einem antiquierten Toaster seiner verstorbenen Mutter haften. Ein langes schwarz-weiß-kariertes Kabel baumelte an einer Seite herab. Sein Blick glitt weiter über die Deckenbalken und endete bei dem wackeligen Küchentisch. Eine neue verhängnisvolle Schnapsidee war geboren.

***

Stella gab sich indessen ihrem wohligen Zippen, das sich vom Wurzelchakra bis zum Herzchakra zog, hin. Sie überlegte fieberhaft wie sie für ihren Konrad-Klaus, ihre sorbetfrische Forumsbekanntschaft, eine romantische Stimmung für die zweite Runde im Schlafzimmer erzeugen konnte.

‚Irgendwo müssten doch noch Kerzen sein!‘

Ihr fiel wieder ein, wo diese zu finden waren. Ein Lächeln huschte über ihr rosiges Gesicht. Sie machte sich auf den Weg. Kurze Zeit später öffnete sie schwungvoll die knarzende Türe des Schuppens. Stella ging in das Innere und stolperte über Karls Verlängerungskabel. Sie knallte gegen den Küchentisch, auf dem sich Karl mit dem Toasterkabel um dem Hals für die „endgültige Reise“ vorbereitet hatte. Es ruckte und der Tisch krachte in sich zusammen. Stella lag am Boden und schielte nach oben. Sie sah Karl aus ungünstigem Winkel am Balken zappeln.

‚Er ist ganz schön füllig geworden‘, war das Letzte, was Stella dachte, bevor es still wurde, er herabstürzte und sie unter sich begrub.

„Keine Liebe ohne Leiden und ohne Leiden keine Liebe“, pflegte Konrad-Klaus bei solchen Gelegenheiten zu sagen.

***

Danke an meinen Freund Hans-Günter Falter, der mich zu dieser Story inspiriert hat.

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