Von Michael Kothe

»Ja verdammt, dann hab´ ich ihn halt umgebracht. Ich habe mich von hinten an ihn herangeschlichen und ihm das Kabel um den Hals gewickelt. Zweimal. Dann habe ich zugezogen. Mit aller Kraft.« Meine Hände vollführten die Bewegung nach. Kraftlos fielen meine Arme nach dieser Demonstration auf die Tischplatte. Was mein Gegenüber auf der anderen Seite des kahlen Tisches in dem nackten Raum als Vernehmung bezeichnet hatte, war in ein Verhör ausgeufert. Mit laut hervorgestoßenen Forderungen nach meinem Geständnis, schließlich wisse man von meinem gespannten Verhältnis zu meinem Mann, von seinen Eskapaden und Seitensprüngen. Außerdem hinterlasse er mir ja ein Vermögen! Angeschrien hatten sie mich, mir gedroht und mir im gleichem Atemzug Hafterleichterung oder kürzeren Freiheitsentzug versprochen, wenn ich kooperierte. Kaum hatte ich es ausgesprochen, da bereute ich mein Geständnis bereits. Aber ich hatte keine Kraft mehr zu dementieren.

»Na endlich!« Entspannt atmete er auf, gerade in dem Moment, in dem sein Kollege mit zwei Bechern den Vernehmungsraum betrat. »Sie hat gestanden.«

»Ich hab´s mitgehört.«

Natürlich bekam ich von dem dampfenden Kaffee nichts ab.

 

Auch in der Gerichtsverhandlung half es mir nichts, dass ich wieder und wieder meine Unschuld beteuerte. Er sei stärker gewesen als ich, wie hätte ich ihn dann strangulieren können, ohne dass er mich erfolgreich abgewehrt hätte? Und Frauen bevorzugten ohnehin bei Tötungsdelikten eine indirektere Methode. Gift statt Toasterkabel.

»Ihr Mann war betrunken. Für eine Gegenwehr war er zu langsam, auch erkannte er Ihre Mordabsicht zu spät. Und genau mit dieser indirekten Methode, auf der Sie herumreiten, wollen Sie bloß von sich als Täterin ablenken.« Diesem Staatsanwalt war mit meinen Argumenten nicht beizukommen! Sein zynisches Grinsen werde ich mein Lebtag nicht vergessen, als er auf den Tisch mit dem Beweismaterial zeigte. Zwischen den zahlreichen Liebesbriefen, die mein Mann seinen Geliebten geschrieben oder die er von ihnen erhalten hatte, seinem Smartphone mit den getippten Liebesschwüren und Verabredungen und den Tankquittungen und Hotelrechnungen, die seine erotischen Wochenenden belegten und die nun als Motiv für meine Bluttat herhalten mussten, stand der Design-Brotröster mit Edelstahlapplikationen. »Wo kam übrigens der Toaster her?«

»Aus dem Versandhandel«, erklärte ich. »Das alte Ding mit seinem vergilbten und angesengten Plastikgehäuse konnte ich nicht mehr sehen. Er kam am selben Tag an, an dem mein Mann ermordet wurde. Im Übrigen nicht von mir! Ich habe den Toaster ausgepackt und auf das Küchenregal gestellt. Danach habe ich ihn nicht mehr angerührt.«

«Aha, also griffbereit hinter den Platz Ihres Mannes! So brauchten Sie nur noch zuzugreifen, sobald er mit seinem wer-weiß-wie-vielten Bier vom Kühlschrank zurückkam und sich wieder gesetzt hatte.«

Meine Verteidigung war schwach, und ich hatte das Gefühl, nicht einmal mein eigener Anwalt glaubte mir. Zumindest schritt er nicht ein, sondern überließ dem Staatsanwalt kampflos das Feld, der mir weiterhin im Brustton der Überzeugung seine Vermutungen entgegenhielt.

»Wir haben das nachgeprüft: Am Toaster und seinem Kabel befanden sich lediglich Ihre Fingerabdrücke. Keine sonst. Was auch kein Wunder ist. In der Fabrik tragen alle Mitarbeiter von der Teileherstellung über die Montage bis zur Verpackung Vinyl- oder Latexhandschuhe.« Er drehte sich um. »Hohes Gericht, da die KTU …«

Mein Verteidiger hatte meinen ratlosen Gesichtsausdruck bemerkt. »Die kriminaltechnische Untersuchung«, raunte er mir zu.

»… am gesamten Gerät samt seiner elektrischen Zuleitung ausschließlich Fingerabdrücke der Angeklagten gefunden hat …« Kurz wandte er sich mir zu, und wieder erschreckte mich sein zufriedener, triumphierender Gesichtsausdruck. »… ist die Beweiskette abgeschlossen. Ich beantrage für die Angeklagte …«

Das Gericht folgte seinem Antrag, und so endete auf lange Sicht mein Leben in Freiheit.

 

***

 

Diesem Prolog folgten als Rückblende gut 400 Romanseiten über das Leben einer verurteilten Mörderin. Der erfrischend lockere Schreibstil gefiel mir. Gut unterhalten legte ich das Buch für einen Moment auf meinem Schoß ab, bevor ich von dem Tischchen den Cognacschwenker griff und mich nach einem kurzen Kontrollblick zum knisternden Kamin in meinem Ohrensessel zurücklehnte und weiterlas. »Toastermord« war der autobiografische Debütroman von Martha Brandt, die wegen Mordes an ihrem Ehemann eine langjährige Freiheitsstrafe verbüßte und die sich vor einem halben Jahr kurz nach der Abgabe des Manuskripts an einen Verlag in depressiver Stimmung in ihrer Zelle erhängte. Noch am Tag seines Erscheinens hatte ich mir das Buch besorgt. Von der örtlichen Buchhandlung war es beworben worden und hatte nicht nur mich neugierig gemacht, sondern gleichfalls die gesamte Nachbarschaft. Von der ersten Seite an fand ich es interessant. Obwohl wohlhabend, lebte die Autorin mit ihrem Mann in einer einfachen Etagenwohnung in einem heruntergekommenen Mietshaus. Arbeiten mussten beide seit Jahren nicht, die Mieteinnahmen aus mehreren Eigentumswohnungen und ihrem Bungalow am Stadtrand gewährten ihnen ein großzügiges Auskommen. Ihren Mann hatte sie treffend beschrieben: trunksüchtig und unbeherrscht, ein ungepflegter, ich-bezogener Charakter. Aber mit einem Doppelleben, das sich ihr erst nach und nach offenbarte: Für seine Liebschaften wurde er zum gut gekleideten, weltgewandten Kavalier. Doch war sie besser? Als ständig gereizte, keifende Hausfrau hatte ich meine Tante in Erinnerung. Ihr Erscheinungsbild stand dem meines Onkels in nichts nach. Und die unordentliche Wohnung war ein Abziehbild beider.

Anfangs war ich ihnen dafür dankbar gewesen, dass sie mir die freie Mansardenwohnung in dem Altbau vermittelt hatten, in dem sie wohnten. Mehr konnte ich mir als Berufsanfänger damals nicht leisten. Die Harmonie währte jedoch nicht lange. Zu oft hatten sie sich mit mir angelegt. Meine Tante nicht so häufig wie mein Onkel und auch ohne Körpereinsatz. Dennoch: Nie hatte ich ihnen etwas recht machen können. Entweder war ich im Treppenhaus zu laut an ihrer Wohnungstür vorbeigetrampelt oder ich hatte sie an der Haustür nicht gegrüßt. Ihr Vorwurf, ich hätte alle Werbezettel, die in meinem Briefkasten lagen, einfach in ihren umgesteckt, war genauso unzutreffend wie alle anderen.

An jenem Abend hatte meine Tante bei den Mülltonnen ihre Lieblingsnachbarin getroffen. In Gedanken daran, dass dieser Tratsch wieder Stunden dauern konnte, schüttelte ich den Kopf. Gerade in dem Moment kam mir mein Onkel auf der Treppe entgegen. »Was glotzt du so? Überhaupt, du bist ein richtiges …« Seine Beschimpfung verstand ich nur ansatzweise, zu sehr war ich darauf konzentriert, mich nicht ernsthaft zu verletzen: Er hatte mir unvermittelt beide Hände auf die Brust gelegt und mich rückwärts die Treppe hinuntergestoßen, bevor er an mir vorbeistampfte. Bei Bewusstsein, aber benommen, war ich solange auf dem Treppenabsatz liegengeblieben, bis mein Onkel mit mehreren Flaschen Bier aus dem Keller wieder nach oben schnaufte und in seiner Wohnung verschwand. Die Wohnungstür ließ er offen, schließlich musste Tante Martha auch wieder zurück. In einem plötzlichen Aufbegehren folgte ich ihm, um ihn zur Rede zu stellen; nach den jahrelangen Demütigungen war sein neuerlicher Angriff der sprichwörtliche Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Ihm gegenüber stand ich nun vor dem Küchentisch, als er sich von seinem Stuhl aufstemmte. »Verpiss dich, du Hurensohn!« war nur der Anfang unflätiger Ausdrücke, mit denen er mich belegte.

Als ich meinen Blick von ihm löste, bemerkte ich im Regal hinter ihm etwas verändert: Der alte Toaster mit seinen Brandflecken war verschwunden. An seiner Stelle stand ein neuer. Ausgepackt, aber noch unbenutzt, das Kabel in losen Schlaufen abgelegt. Eigentlich hatte ich ihn nur betrachten wollen, als mein Onkel sich lauthals darüber beschwerte, dass ich hinter ihn getreten war. »Fass da nichts an, du Nichtsnutz. Da hast du nichts dran verloren!« An ein Anfassen hatte ich in dem Augenblick nicht einmal gedacht, aber seine Boshaftigkeit setzte in mir einen Reflex frei: Ich rastete aus, als er mit dem Bierkrug nach mir schlug. Als er sich gleich wieder der Flasche auf dem Tisch zuwandte, um den Krug aufzufüllen, griff ich spontan den Toaster, wickelte das Kabel um seinen Hals und zog die Schlinge zu.

Später hatte meine Tante seinen Fall vom Stuhl auf seinen Alkoholkonsum zurückgeführt und den Notarzt gerufen.

 

Mein Onkel und meine Tante waren kinderlos gewesen und ich ihr einziger lebender Verwandter. Dank dieses Umstands konnte ich bald das Erbe des Paares antreten. Nach und nach löste ich seinen und meinen Hausstand auf und zog nach Ablauf der Kündigungsfrist in das Haus am Stadtrand. Seitdem lebe ich von den Mieteinnahmen der übrigen Objekte und von den Tantiemen für Tante Marthas Buch. Warum mir niemand auf die Schliche gekommen ist? Wegen der Fingerabdrücke meiner Tante. Auf dem Toaster und dem Kabel hatte ich keine hinterlassen. Ich wurde mit einem äußerst seltenen Gendefekt geboren, der Adermatoglyphie: Mir fehlen die Kapillarlinien an den Fingerkuppen.

 

V2

9149 Zeichen Text