Von Rosa Pessl

23:00 Uhr, es poltert an meiner Tür. “Polizei! Öffnen Sie! SOFORT!” Schlaftrunken gehorche ich und starre in vier Pistolenläufe. Bevor ich überhaupt fähig bin, ein Wort zu sagen, packt eine Polizistin meine Unterarme. An meinen Handgelenken spüre ich kaltes Metall und ich höre Handschellen einrasten. “Frau Sommer, Sie stehen unter Verdacht, Ihren Mann ermordet zu haben. Sie sind hiermit verhaftet.”

Ich darf noch in meine Schuhe schlüpfen, danach werde ich nach draußen geführt. Eine Blaulichter-Orgie blendet mich. Doch auch jetzt habe ich keine Zeit, mich zu sammeln. Schwups werde ich auf die Rücksitzbank eines Polizeiautos verfrachtet und schon fahren wir ins Präsidium, wo ich einem schnauzbärtigen Kommissar in einem kahlen Verhörraum gegenüber gesetzt werde. Eine Kamera ist auf mich gerichtet. Seelenruhig macht sich Herr Kommissar – im dicken Rollkragenpullover mit Norwegermuster – Notizen, während ich in meinem Pyjama friere.

“Ich, ich weiß gar nicht, dass mein Mann tot ist …”, versuche ich, die unangenehme Stille zu durchbrechen.

“Schnauze!”, fährt mich der Kommissar an, “Die Fragen stelle ich.” Nach einer gefühlten Ewigkeit erhebt der Kommissar seine Stimme: “Frau Sommer, wo waren sie gestern gegen 8:00 Uhr?”

“Da habe ich mit meinem Mann gefrühstückt”, antworte ich artig.

“Was haben Sie gegessen?”

“Ich ein Lachsbrötchen und mein Mann seine zwei Toaste Hawaii.”

“Bereiten Sie ihrem Mann immer die Toaste zu?”

“Ja, das mache ich.”

“Welchen Toaster verwenden Sie?”

“Einen Elektro-Grill-Toaster! Aber warum ist das wichtig?”

“Die Fragen stellen wir Frau Sommer.”

“Warum bin ich hier?”

“Frau Sommer, genug jetzt!”, herrscht mich der Kommissar an, wendet sich an zwei uniformierte Beamte und befiehlt, “Abführen!”

Die beiden Polizisten zerren mich hoch und schleifen mich in eine kleine Zelle. Darin befindet sich eine Liege und daneben ein Klosett. Decken gibt es keine. Die Halogenbeleuchtung sticht mir in die Augen. Es ist kühl. Ich lege mich hin und versuche, klare Gedanken zu bekommen. Zwei Stunden später werde ich wieder in den Verhörraum gebracht. Abermals lässt mich der Kommissar warten, bis er endlich zu fragen beginnt.

“Frau Sommer, wo waren Sie gestern gegen 8:00 Uhr?“

“Ich habe mit meinem Mann gefrühstückt. Dabei habe ich ein Lachsbrötchen verzehrt und mein Mann zwei Toaste Hawaii, die ich für ihn zubereitet habe”, versuche ich eine Abkürzung zu nehmen.

Der Kommissar lächelt milde: “Sehr schön! Machen Sie Ihren Mann gerne die Toaste Hawaii?”

“Ja sicher, Herr Kommissar!”

“Frau Sommer, jetzt mal Klartext: Haben Sie gestern Ihren Mann mit dem Kabel des Toasters erwürgt?”

Mir bleibt der Mund offen stehen. Ich bringe kein Wort heraus.

“Frau Sommer, ich wiederhole mich ungern: Haben Sie Ihren Mann gestern mit dem Kabel des Toasters erwürgt?”

“Nein, das habe ich nicht! Das könnte ich nicht mal! Wissen Sie, dass mein Mann 100 Kilo hat und ich nur 55?”

“Frau Sommer, Sie sind Kickboxerin und sehr wendig.” Der Kommissar spricht mit mir, als wäre ich drei Jahre alt. “Ihr Mann war in seine Morgenzeitung vertieft. Sie haben sich hinter ihn geschlichen, das Kabel zu einer Schlinge geformt, diese Ihrem Mann rasch um den Hals gelegt und zugezogen.” Sein Blick durchdringt mich. Dann klatscht er mit der flachen Hand auf den Tisch. “Stimmt ’s?”

“Wo ist mein Mann?”, möchte ich wissen.

“In der Gerichtsmedizin! Wo soll er sonst sein?”, meint der Kommissar achselzuckend.

“Mein Mann hat gestern nach dem Frühstück noch quietschfidel das Haus verlassen!”

Wieder lächelt der Kommissar mich milde an: “Wollten Sie sich nicht scheiden lassen?”

“Das ist mir neu, also eindeutig – NEIN!”

“Frau Sommer, wir wissen, dass Sie schon lange eine Affäre haben.” Der Tonfall des Kommissars macht mich innerlich rasend. Trotzig verschränke ich meine Arme und schaue in die Luft.

“Sie wollten Ihren Mann loswerden. Hab ich recht?”

Ich atme tief durch und ignoriere den Kommissar, bis er plötzlich brüllt: “Abführen!”

Die beiden Polizisten schleifen mich wieder in meine Zelle, aus der die Liege entfernt wurde. Plötzlich durchdringt ein Pfeifen meine Ohren. Es schmerzt unheimlich. “Kann doch bitte jemand den Teekessel vom Herd nehmen! Bitte … Bitte …”, bettle ich zusammengekauert auf dem Fliesenboden. Doch das Pfeifen wird immer lauter und lauter. Ich setze mich auf und versuche meine Ohren zuzuhalten. Zwecklos. Mir wird übel und ich übergebe mich, über die schmutzige Kloschüssel gebeugt. Grelles Licht. Kälte. Das unerträgliche Pfeifen. Ich kann keinen einzigen klaren Gedanken fassen. Dennoch mobillisere ich meine letzten Kräfte und beginne, in der Zelle auf und ab zu laufen.

“Schneeflöckchen, Weißröckchen,
wann kommst du geschneit?”

Dieses alte Winterlied ist das einzige, was sich in meine Gedanken drängt. Wie ging es weiter? “Weißröckchen …., geschneit …?” Ich konzentriere mich.

“Schneeflöckchen, Weißröckchen,
wann kommst du geschneit?
Du wohnst in den Wolken,
dein Weg ist so weit …”

Ja, freue ich mich, die erste Strophe geschafft zu haben. Etwas Wärme durchströmt meinen Körper, das Pfeifen nehme ich nur mehr am Rand wahr. So sehr bin ich vertieft, die Reime dieses Liedes auf die Reihe zu kriegen. Dann öffnet sich die Zellentür. Abermals geht es ab in den Verhörraum. Nun sitze ich lächelnd vor dem Kommissar, der gar nicht mehr milde gestimmt ist.

“Warum lächeln Sie?”

“Schneeflöckchen, Weißröckchen …”

“Sind Sie froh, dass ihr Mann tot ist?”

“Wann kommst du geschneit?”

“Nun, sagen Sie doch endlich die Wahrheit!”

“Du wohnst in den Wolken … “

“Toast Hawaii! Toast Hawaii! Ihr Mann liebte Toast Hawaii!”

“Dein Weg ist so weit …” Ich beginne, schallend zu lachen.

“Sie hassen Toast Hawaii! Und: Sie lieben einen anderen Mann!!!”

“Komm, setz dich ans Fenster …”, gluckse ich.

Der Blick des Kommissars durchbohrt mich, zieht mich förmlich aus.

“Du lieblicher Stern”, fahre ich fort und fixiere den Kommissar.

“Es ist April, Frau Sommer”, murrt dieser. Dabei entdecke ich weiße Brösel auf seinem opulenten Schnauzbart direkt unter seiner Nase. Unschlüssig, sich mit seinem Atem fallen zu lassen oder doch haften zu bleiben, wippen sie hin und her.

Ich hebe meine rechte Hand und beobachte, wie mein Zeigefinger die Brösel anvisiert. Dabei kann ich nicht anders, als wieder zu lachen. Tränen rinnen über meine Wangen, während ich mich vor Lachen krümme.

Der Kommissar beobachtet mich. Seine Augenbrauen verengen sich, auf seiner Stirn bilden sich Zornesfalten.

“Es reicht! Ab in den Raum 199!”, brüllt er.

Seine beiden Lakaien gehorchen und schleifen mich, immer noch lachend, in den Raum mit der Nummer 199, in dessen Mitte eine Holzpritsche steht. Sonst ist der Raum leer. Sie werfen mich auf die Pritsche. Obwohl ich eine schmerzhaft harte Landung hinlege, lache ich weiter. Ein Beamter fixiert mich mit Fußfesseln, während der zweite versucht, meine Arme ebenfalls in Fesseln zu legen. Ich wehre mich und fahre mit dem Kopf hoch. Meine Stirn wird durch von etwas Hartem gebremst.

Ich öffne meine Augen und sehe im Halbdunkel des Schlafzimmers, wie sich mein Mann, neben mir im Bett sitzend, an der Oberlippe reibt. “Also deine Träume möchte ich haben …”, brummt er. “Du hast so laut gelacht, dass ich sehen wollte, was mit dir los ist …”

Ich greife mir an die Stirn und bilde mir ein, einen Zahnabdruck zu spüren. Irritiert schlurfe ich ins Bad. Es ist drei Uhr morgens. Fünfzehn Minuten später lege ich mich widerwillig ins Bett. Homöopathische Schnarchgeräusche aus der anderen Betthälfte beruhigen mich und wiegen mich in einen traumlosen tiefen Schlaf.

Am nächsten Morgen sitzt mein Mann bereits am Frühstückstisch und ist in seine Morgenzeitung vertieft. Ich frage ihn: “Was möchtest du frühstücken?” Ohne aufzublicken teilt er mir seinen Wunsch mit: “Zwei Toaste Hawaii”. Seufzend schalte ich den Toaster ein. 

“Ach du, dein Handy hat schon mehrfach gepiepst”, verkündet mein Mann teilnahmslos und rückt seine Lesebrille zurecht. Schnell greife ich nach meinem Handy, das mir 4 Anrufe in Abwesenheit und eine neue Nachricht anzeigt. Mein Herz klopft mir bis zum Hals, als ich die Nachricht lese: “Vorgestern Nacht hat sich alles verändert. Ich …”

“Verflucht, jetzt hat Admira schon wieder 4:0 verloren. Solche Versager!”, poltert mein Mann los und haut mit der flachen Hand auf den Tisch. Vor Schreck lasse ich das Handy fallen. Rasch bücke ich mich danach, ich möchte meinen Mann jetzt nicht in die Augen sehen. Dann verkrieche ich mich in den Vorratsschrank, bis sich mein Puls wieder normalisiert hat. 

Schließlich greife ich nach der Dose Ananas, stelle sie aber Sekunden später wieder zurück an ihrem Platz. Mein Mann hat nichts gemerkt. Ich ziehe das Kabel des Toasters aus der Steckdose und spanne es zwischen meinen Händen. Noch immer sitzt mein Mann ahnungslos über derZeitung gebeugt am Frühstückstisch. Ich beobachte ihn, wie er sorgsam umblättert und die letzte Seite überfliegt. Dann sieht er mich fragend an. “Ach Liebling”, hauche ich, “die Ananas ist alle. Lass uns heute auswärts frühstücken.”

 

v2- Rosa Pessl