Von Andrea Gebert

Antrag auf Mitgliedschaft

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

mein Name ist Peter Tröger, ich bin 71 Jahre alt und leide an Parkinson.

Die Diagnose wurde vor fünf Jahren gestellt, ärztliche Befunde kann ich auf Nachfrage beibringen. Meine Lebensqualität hat sich in den letzten Jahren stetig verschlechtert, was zum einen dem Krankheitsbild und zum anderen den sich häufenden Schüben, geschuldet   ist. Mein derzeitiger Zustand erlaubt mir, mich noch allein zu bewegen und alle Verrichtungen des täglichen Lebens ohne fremde Hilfe zu bewältigen. Mit fortschreitendem Stadium wird das nicht mehr möglich sein. Ich bin im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte. 

Da in Deutschland aktive Sterbehilfe untersagt ist, wende ich mich vertrauensvoll an Sie und beantrage hiermit meine Mitgliedschaft bei „DIGNITAS“.

Mit freundlichen Grüßen

 

Peter Tröger, Altenburg den 11.April 2017

 

P.S. Ich habe meine Schwester, Inge Müller, vor sieben Jahren zu Ihnen begleitet!

 

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Sehr geehrter Herr Tröger,

vielen Dank für Ihr Schreiben.

Wir haben Ihren Mitgliedschaftsantrag geprüft und übersenden Ihnen mit gleicher Post die Beitrittserklärung. Bitte füllen Sie diese aus und fügen die ärztlichen Befunde ( bitte aktuell) bei. Im Anschluss bestätigen wir Ihnen die Aufnahme als Mitglied bei „DIGNITAS“ 

Sie erhalten außerdem eine Rechnung  sowie eine Patientenverfügung. Nach Zahlungseingang werden wir Ihre Patientenverfügung archivieren. Damit ist die Mitgliedschaft vollzogen.

Mit freundlichen Grüßen

 

Amelie Schweizer, Hannover, den 18.Mai 2017

 

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Sehr geehrte Frau Schweizer,

mein Zustand hat sich in den letzten Monaten verschlechtert, so dass ich davon ausgehen muss, nicht mehr allzu lange reisefähig zu sein. Ich war immer ein optimistischer Mensch und habe lange Zeit gehofft diese Krankheit besiegen zu können. Doch es ist umgekehrt: Parkinson besiegt mich. Meine Kräfte nehmen täglich ab, die Tabletten helfen nicht mehr.

Die ständigen Nervenschmerzen fressen mich auf, die permanente Schlaflosigkeit macht mich zu einem Menschen, der ich nicht sein möchte. Ich möchte mir und meinem Umfeld nicht länger zur Last fallen. Meine Frau gibt sich die grösste Mühe, doch sie schafft es nicht mehr. Ich stürze oft und kann nicht mehr allein aufstehen. Und das Schlimmste ist, ich bin inkontinent geworden. 

Ich möchte deshalb um einen Termin bei einem der Schweizer Ärzte, die für und mit Ihrer Organisation arbeiten, ersuchen.

Mit freundlichen Grüßen

 

Peter Tröger, Altenburg, den 2.Februar 2018

 

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Sehr geehrter Herr Tröger,

wir laden Sie zu einem Erstgespräch mit Herrn Dr. Urs Mattis am

Donnerstag, dem 11. Mai 2018 ein.

Die Adresse finden Sie untenstehend.

Bitte bringen Sie aktuelle Befunde sowie einen Nachweis über Ihre Medikamentation mit.

Herr Dr. Mattis wird sich in einem persönlichen Gespräch von Ihrem Gesundheitszustand überzeugen und die Unterlagen prüfen. Wie Sie aus unseren Statuten wissen, darf der Freitod nur herbeigeführt werden, wenn Ihre Krankheit eine unzumutbare Belastung darstellt, zum Tode führt oder Sie an nicht beherrschbaren Schmerzen leiden. Wenn Herr Dr. Mattis dies attestieren sollte, wird er im Nachgang ein Rezept für das Barbiturat ausstellen.

Danach können Sie jederzeit einen Termin mit uns vereinbaren.

Bitte beachten Sie, dass Sie einen solchen Schritt frühzeitig planen und mit Ihren Angehörigen absprechen sollten.

Außerdem müssen bei einer Freitodbegleitung mindestens zwei Personen anwesend sein.

Bei einer dieser anwesenden Personen handelt es sich um eine Assistenz unseres Vereins, die andere begleitet Sie.

Mit freundlichen Grüßen

 

Frederike Wehrli, Zürich, den 20. März 2018

 

P.S. Ich kann mich noch an Sie erinnern, als Sie damals mit Ihrer Schwester da waren.

Wie tragisch, dass Sie nun selbst schwer erkrankt sind.

 

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Sehr geehrte Frau Wehrli,

diesen Brief diktiere ich meiner Tochter Anke, die  mich auch nach Zürich begleiten wird.

Ich bitte dringendst um einen Termin. Das Rezept liegt Ihnen vor.

Ich kann nicht mehr lange warten, bald wird es mir unmöglich sein, die Reise zu unternehmen.

Herzlichst,

Peter Tröger, Altenburg, den 9. September 2018

 

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Sehr geehrter Herr Tröger,

bitte finden Sie sich mit Ihrer Begleitung am

Montag, dem 12. Oktober  um 14.00 Uhr in unseren Räumen ein.

Wir werden alle Vorbereitungen treffen.

Bitte besprechen Sie mit Ihren Angehörigen ob eine Überführung nach Deutschland geplant ist oder eine Kremation vor Ort.

Herzlichst,

Frederike Wehrli, Zürich, den 18. September 2018

 

P.S. Die Asche  Ihrer lieben Schwester wurde damals in der Zehntentrotte dem Zürichsee übergeben. Dies wäre auch eine Option, falls Ihnen das nicht zu anonym ist.

 

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Hella hat all seine Lieblingsspeisen gekocht, seit drei Tagen schon steht sie in der Küche, um alles vorzubereiten. Es gibt Markklößchensuppe, Ragout fin, Kaninchen mit Rotkohl und Thüringer Klößen. Zum Nachtisch stehen ein Stachelbeerkuchen mit Baiserdecke und eine Erdbeertorte bereit, natürlich mit Sahne. Der Esstisch ist ausgezogen und mit ihrer feinster Tischwäsche bedeckt. Sie hat das gute Meissner hervorgeholt und das Silberbesteck geputzt und darauf bestanden, dass er die dunkelgraue Hose anzieht und das rote Hemd mit den Punkten. Gegen das Jacket hat er sich erfolgreich gewehrt.

Sie treffen fast alle gleichzeitig ein. Sohn und Tochter, die verschiedener nicht sein können und sich nichts zu sagen haben, außer „Guten Tag“ und „Auf Wiedersehen“, Schwiegersohn Christoph und Schwiegertochter Eli, die beide jahrelang Probleme mit Hellas übergriffiger Art hatten, Cousine Iris, heute ausnahmsweise nur dezent geschminkt,

die Zwillinge Niklas und Holger, Eli´s Mitbringsel aus erster Ehe und Roman, Anke`s Sohn.

Die Einzige, die wieder zu spät zu kommen scheint, ist Maria, seine Lieblingsenkelin.

Er sitzt im Sessel und hört sie tuscheln im Flur, räuspert sich vernehmlich, damit sie wissen, dass er wach ist. Es ist alles fertig. In den letzten Tagen hat er von morgens bis abends bzw. bis ihn die Kräfte verließen, Unterlagen sortiert. Achtundvierzig gemeinsame Jahre in zwei Aktenordnern, die Register sorgfältig beschriftet. Er ist beruhigt, er kann gehen. Für Hella ist gesorgt. Er hat das Sparguthaben auf ihren Namen umschreiben lassen und sein Girokonto aufgelöst. Seine Kreditkarte steckt bereits in ihrem Portemonnaie. Für den Fall der Fälle hat er trotzdem eine Generalvollmacht aufsetzen lassen. Der Kuckuck verläßt sein Häuschen und ruft fünfmal. Morgen um diese Zeit…

Er hat heute seine Medikamentendosis erhöht. Hella ist daran gewöhnt, die Pillendose, sie sie wöchentlich sorgfältig füllt, mehrmals aufzuräumen. Seine Hände zittern in letzter Zeit so stark, dass beim Herauspicken der einzelnen Tabletten oft die anderen mit herausfallen. Heute ist Donnerstag, er hat sich von Freitag, Samstag und Sonntag kräftig bedient. Er wird mit seiner Familie essen können, ohne dass ihm das Besteck aus der Hand fällt und hoffentlich auch ohne, dass er sich bekleckert wie ein kleines Kind.

Rechts und links am Stuhl sind Platten angebracht, damit er nicht fällt. Nur den schweren Kopf kann er nicht mehr sicher oben halten, sein Oberkörper neigt zu starken Schwingungen.

Mit gesenkten Köpfen kommen sie herein, wagen kaum ihn anzusehen.

„Das ist nicht der Leichenschmaus“, sagt er und muss sich beim Sprechen anstrengen, damit nicht nur ein heiseres Krächzen hervorkommt, weil diese verfluchte Krankheit nun auch seine Atemmuskulatur angreift.

Hella trägt die Suppe auf. Die Weinflasche wird herumgereicht. Die Zwillinge fragen nach Bier.

„Ich kann nichts essen!“ Ingo, sein Großer, legt den Löffel weg.

„Du kannst!“ erwidert Anke. „ Du hast Vater in den letzten drei Jahren nur zum Geburtstag gesehen, so groß kann dein Schmerz nicht sein.“

Hella schluchzt auf. „Bitte nicht heute!“ Eli beugt sich über den Tisch, um Hella in den Arm zu nehmen, dabei stößt sie ihr Rotweinglas um. Die Zwillinge lachen.

„Ihr seid verdammte Idioten!“ schreit Roman. In diesem Augenblick klingelt es an der Tür.

Iris geht öffnen. „Opa!“ Maria stürmt herein, setzt sich auf seinen Schoß und umarmt ihn.

„Wenn du nicht mehr da bist, will ich auch nicht mehr leben!“

Er zwinkert Anke zu und zeigt auf die Cognacflasche, die auf der Anrichte steht.

„Ihr werdet jetzt alle vernünftig sein, mit mir essen und trinken und….“

Weil er nicht weiterreden kann, hebt er sein Glas: „Auf meine Familie!“

                            2.58 Uhr zeigt die Digitalanzeige seines Weckers an. Hella weint seit Stunden, während sich in ihm eine Endlosschleife dreht: „Ich schaffe es nicht, ich schaffe es nicht, ich schaffe es nicht. Ich bin nicht so stark wie du.“

Plötzlich hört er Inge : „Natürlich schaffst du es kleiner Bruder. Du hast dir immer nur eingeredet, dass ich die Stärkere war. Dabei konnte ich nur besser schauspielern als du.

Sie schnipst mit ihrem Zeigefinger dreimal gegen seine Stirn, so wie sie es früher getan hat, wenn sie ihn ärgern wollte. Er greift nach der Triangel über dem Pflegebett und zieht sich mühsam hoch, um nach der Taschenlampe zu tasten. Doch da ist nichts, nur eine kleine rote Stelle auf seiner Stirn. 

Als ihn seine Tochter am nächsten Morgen abholt  ( Christoph bleibt bei Hella ), blickt er in einen verwaschenen grauen Himmel, durch den sich mühselig ein winziger heller Strahl bohrt.

„Ich bin auf dem Weg zu dir!“ sagt er und lässt sich von Anke ins Auto helfen.

 

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