von Barbara Hennermann

An ihrem neunundfünfzigsten Geburtstag fiel Edeltraud auf, dass in ihrem Leben etwas fehlte. Zumindest eventuell fehlen könnte.
Bis dato hatte sie nichts vermisst – ihr Job machte ihr Spaß, finanziell war sie gut aufgestellt und konnte sich ein ordentliches Leben leisten. Ihr Bekanntenkreis war groß genug, um bei Bedarf auf Gesellschaft zugreifen zu können. Gesundheitlich war sie fit und mit ihrem Aussehen war sie, im Großen und Ganzen, auch noch zufrieden.
Also, im Grunde fehlte ihr nichts wirklich.Aber … sie ging auf die Sechzig zu. Noch ein paar Jahre und sie würde im Rentenalter sein. Womöglich würde sie Tage vor sich haben, die nicht mit Arbeit ausgefüllt wären, sondern sich vielleicht langweilig und unendlich dehnten. Oder Nächte, die sich in Schlaflosigkeit anstauten, weil sie nicht ausgelastet war.
Kurzum, es ging darum, Vorsorge zu treffen.
Ein möglicherweise entstehendes Vakuum zu füllen.
Das Einzige, was ihr Dasein bisher nicht zu bieten hatte, war „der Mann an ihrer Seite“.

Edeltraud hatte ihr Leben immer zielstrebig angepackt. „Plane, was du tun willst und verfolge dein Ziel Schritt für Schritt“, hatte ihr schon ihre Mutter beigebracht.
Wie jede andere Investition in ihre Zukunft begann Edeltraud, ihr Vorhaben generalstabsmäßig zu planen. Von Zufällen hatte sie noch nie etwas gehalten. Zudem empfand sie es weder ihrem Alter noch ihrer Position angemessen, suchend durch Bars und Discos zu streifen. Oder auf Bahnhöfen und anderen öffentlichen Plätzen Ausschau zu halten. Doch wozu gab es das Internet?
Edeltraud entschied, sich nicht sofort in einem einschlägigen Blog kostenpflichtig einzubringen. Das widersprach ihrer sparsamen Art …
Folgerichtig informierte sie sich über frei zugängliche Internetforen und beschloss, erst einmal die Angebote in Augenschein zu nehmen. „Schließlich ist es immer besser, nicht wie eine Bedürftige zu wirken“, dachte sie sich.

Unglaublich, was ihr da vom Bildschirm alles entgegenpurzelte – Linkanschriften ohne Ende!
Es war nicht einfach, eine zu finden, die nicht zu einer registrierungspflichtigen Seite führte. Denn Registrierung, da war sich Edeltraud sicher, bedeutete nachfolgende Verpflichtungen. So eilig hatte sie es nun auch wieder nicht …

„Er, Anfang 60, gebunden, leidenschaftlich, attraktiv, sucht nette Sie …“
Ja, ging´s noch? Edeltraud entfuhr ein verächtliches „Mistkerl!“ bevor sie weiterklickte.

„Sympathischer, einfühlsamer und unkomplizierter Jüngling, 58, 165, dkl-haarig …“
Einsfünfundsechzig? Edeltraud brachte es selbst auf einen Meter und fünfundsiebzig. „Aha, Jüngling mit achtundfünfzig“, kicherte sie vor sich hin. „Der hofft wohl, dass er noch wächst.“

„Rentner, tageslichttauglich, 78, noch sehr fit, wünscht sich Partnerin zwischen 45 und 65 für ein schönes Miteinander. Führerschein sollte vorhanden sein.“Tageslichttauglich? Edeltraud runzelte die Stirn. Was sollte das denn bedeuten? Im Übrigen schien dieser Herr wohl eher eine Pflegekraft zu suchen.
Eigentlich langte es ihr schon jetzt … Aber sie hatte sich das Projekt nun einmal vorgenommen und kneifen galt nicht.

Unzählige Klicks und Stunden später fand sie, inzwischen doch auf einer registrierungs-, jedoch nicht kostenpflichtigen Seite gelandet, eine Offerte, die ihr zumindest überlegenswert erschien.
„Pensionär, verw., o. Anhang, 60+, reiselustig, unabhängig, sucht nette und vorerst unverbindliche Bekanntschaft.“
Edeltraud brannten mittlerweile die Augen vom Fixieren des Bildschirms und ihr Rücken schmerzte vom langen Sitzen. „Unverbindlich klingt gar nicht so schlecht“, nuschelte sie vor sich hin.
Dann setzte sie eine Mitteilung an „Pensionär 837“ ab: „Treffen möglich. Wann und wo?“ Das klang unverbindlich, fand sie. Überdies wusste man ja nie, wem man im Netz so begegnete. Also bloß nicht zu viel von sich selbst verraten!
Die Antwort kam prompt.
Treffpunkt und –zeit passten in Edeltrauds Terminplanung.

Ein wenig aufgeregt war sie schon, als sie ihrem Ziel zustrebte. „Edeltraud, sei nicht albern!“, schalt sie sich selbst. „Du bist schließlich kein Teenager mehr!“
Zum Glück erkannten sie sich am vereinbarten Treffpunkt auf Grund vorher ausgetauschter Passbilder auf Anhieb. Nun, das seine war wohl schon etwas älteren Datums gewesen ( 60 -), aber ihres auch, wie sie zugeben musste. Dennoch machte er einen ganz sympathischen Eindruck, auch sein Händedruck war fest, seine Stimmlage angenehm.
Sie bummelten durch die Fußgängerzone und unterhielten sich über nichtssagende Dinge. Dass er ständig „meine Amelie“ erwähnte, empfand Edeltraud nicht unbedingt störend, sondern eher als Zeichen von Zuverlässigkeit und Treue. Der Gedanke, als „meine Edeltraud“ in seinen Sprachschatz einzugehen, hatte durchaus etwas Positives.
Mehr irritierten sie die knarzenden Geräusche, die in regelmäßigen Abständen von ihm ausgingen. „Also, wenn das was mit uns werden sollte, muss ich ihm als erstes besseres Schuhwerk einreden“, nahm sich Edeltraud vor.
Da es Mittagszeit war, beschlossen sie, in einem Restaurant eine Kleinigkeit zu essen. Galant hielt er ihr die Tür auf und ging dann voran an einen freien Tisch. Da! Da war es schon wieder! Das knarzende Geräusch. Trrrrrrrt … fssss … Seltsam. Und jetzt wurde sie eingehüllt in eine ausgesprochen unangenehme Duftwolke. Buttersäure? In einem Lokal der gehobenen Kategorie?
Trrrrrrrt …. fsssss ….
Die Erkenntnis traf Edeltraud jäh: Der Mann pupste ! Und zwar praktisch ununterbrochen seit sie sich getroffen hatten!
Sie unterdrückte einen Schauder.
Am Tisch versuchte sie, Abstand zu halten. Eine lockere Unterhaltung zu führen, war Edeltraud kaum noch möglich, denn sie wartete, horchte, lauerte ständig auf das nächste Knarzen. Trrrrrrrrt…. fssss …
Furchtbar!
Ihr Begleiter dagegen plauderte unbeschwert inzwischen auch über privatere Dinge, offenbar hatte er an dem Zusammensein Gefallen gefunden. Edeltraud blieb einsilbig und sehnte das Ende des Essens herbei.
Endlich standen sie wieder vor dem Lokal.
„Pensionär 837“ war zwischenzeitlich beim „du“ und seinem Vornamen (Ansgar) angelangt, legte vertraulich den Arm um Edeltraud und wollte außer ihrem richtigen Namen auch ihre Telefonnummer wissen.
Trrrrrt … fssssss ….
Ansgar blieb völlig locker. Edeltraud erstarrte.

Eigentlich war er ja ganz nett. Offenbar auch nicht unvermögend. Seine Absichten schienen ehrlich zu sein. Er sah, für sein Alter, noch nicht einmal schlecht aus. Edeltraud registrierte das alles wohl.
Aber …
„Leider muss ich jetzt sofort los“, presste sie heraus. „Ich habe ja deine Telefonnummer und kann dich anrufen, wenn das zeitlich bei mir passt.“
Fluchtartig strebte sie der nächsten Straßenbahnhaltestelle zu.
„Was für eine Schnapsidee, sich das Leben mit einem Mann zu belasten!“ seufzte sie beim Einsteigen.

hb V1 11/16