von Eva Fischer

„Stört Sie dieser Krach nicht, den Ihre ständigen Besucher verursachen? Sie kommen schon alkoholisiert an. Damit nicht genug haben sie noch weitere Flaschen bei sich. Sie gröhlen Lieder und zupfen an den Saiten eines einfachen Instrumentes, das sich Gitarre nennt.“
„Was wäre das Leben ohne Musik? Es fehlte die Luft zum Atmen.“
„Ob das Musik ist, was Ihre Gäste da produzieren, darüber ließe sich trefflich streiten. Ist Musik nicht schon Rausch an sich? Warum braucht man Drogen, um diesen Genuss zu verfälschen?“
„Verstärken!“
„Wie meinen?“
„Drogen geben der Musik noch eine ganz andere Dimension. Sie knacken die oberflächliche äußere Schicht, eröffnen ein vollkommen neues Universum. Sie katapultieren uns aus dieser beschissenen Alltagswelt, die doch nur ein Machwerk von hirnamputierten Möchte-gern-Autoritäten ist.“
„Was bringt Sie zu dieser Aussage?“
„Wie?“
„Von welchen Autoritäten sprechen Sie? Vom König von Frankreich? Vom österreichischen Kaiser? Oder vom Zaren?“
„Sie sind wohl etwas retro. Ich meine diese Regierungen, die im Namen des Volkes Krieg führen und dabei eben dieses Volk rücksichtslos abschlachten.“
„Krieg ist immer ein blutiges Geschäft. Da gebe ich Ihnen recht, aber ist es nicht auch ein edler Kampf für die Freiheit des Volkes? Ich wünschte, meine Gesundheit hätte mir erlaubt, am polnischen Freiheitskampf teilzunehmen.“
„Den Kampf gegen die imperialen Aggressoren unterstütze ich durchaus. Wir dürfen uns nicht zum Werkzeug der Mächtigen machen lassen. Provozieren wir diese Arschlöcher, bis ihnen das Blut aus dem After spritzt. Let’s fuck them!““Zum Ficken, wie Sie es, pardon, ein bisschen vulgär ausdrücken, würde ich mir lieber eine schöne Frau aussuchen.“
„’Denn Liebe ist so stark wie der Tod und Leidenschaft unwiderstehlich wie das Totenreich.’“
„Goethe?“
„Guy de Maupassant. Aber den kennen Sie vermutlich nicht.“
„Nein. Aber trotzdem schön. Wenn ich da an Konstanze Gladkowska denke, an Maria Wodzinska oder gar an George Sand, meine geliebte Aurore, da wird mir warm um mein erkaltetes Herz.“
„George Sand? Den Namen habe ich schon mal gehört.“
„Sie war eine exzellente Schriftstellerin, eine wunderbare Gesprächspartnerin und mir eine hervorragende Meisterin des Liebesspiels.“
„Was hat Sie denn an der Dame gereizt? Etwa nicht das Ficken?“
„In der Musik sprechen Sie von einem neuen Universum und bei der Liebe sind Sie, pardon, etwas unromantisch.“
„Mir ist schon aufgefallen, ihre Besucherinnen sind hübsche junge Frauen, zartgliedrig, Polinnen zumeist, die die weite Reise nicht gescheut haben.“
„Sie machen mich glücklich über den Tod hinaus.“
„Wäre schon geil, wenn Pamela jetzt neben mir läge und ich in ihren heroingeschwängerten Körper eindringen könnte.“
„Es gibt da eine klitzekleine Kleinigkeit.“
„Nämlich?“
„Wir haben keine Körper mehr, Herr Morrison.“
„Sie kennen meinen Namen?“
„Er steht auf Ihrem Grabstein. Darf ich mich meinerseits vorstellen: Frédéric Chopin.“
„Ach der, dessen Etüden mich früher genervt haben.“
„Es wäre ungerecht, meine Musik darauf zu reduzieren. Warum liegen Sie als Amerikaner eigentlich hier in Paris auf dem Père Lachaise?“
„L’amour toujours, würden die Franzmänner sagen.“
„Also, haben Sie Ihre Pamela geliebt?“
„ Nicht so wie Sie Ihre Aurore. Pamela war nicht nur meine Muse, sondern auch mein Dämon, der mich nie losgelassen hat. Come on baby light my fire! Try to set the night on fire. Und ja, der Sex mit ihr war ekstatisch, vor allem, wenn sie mal nicht komplett zugedröhnt war. Außerdem haben mir die amerikanischen Behörden den Prozess gemacht. Scheißbullen!“
„Haben Sie jemanden umgebracht?“
„Hätte ich es mal getan! Meinen Vater zuerst. Der Mörder unschuldiger Vietnamesen ließ sich noch als Helden feiern! Dieses verlogene Establishment!! Aber wissen Sie, Frédéric, ich bin überzeugter Pazifist. In mir wohnen die gepeinigten Seelen unserer Ureinwohner. Nein, den Idioten von Richtern hat meine Sprache nicht gefallen und auch nicht meine Fellatio mit einer Gitarre auf der Bühne. Gibt es etwas Geileres als dieses Instrument, auf dessen Tönen wir ins Nirwana reiten?“
„Das kann ich nicht beurteilen. Ich bin ein Freund des Pianos, wie Sie wissen.“
„ Ha, ha, ein Flügel, der nicht fliegt. Starr und unbeweglich verharrt er in irgendeiner Ecke. Oder können Sie ihn mitnehmen, wenn Sie kacken gehen?“
„Nun, das brauche ich jetzt nicht mehr. Aber Ihre Ausdrucksweise ist wirklich etwas gewöhnungsbedürftig. Haben Sie sich abfällig über den Präsidenten der Vereinigten Staaten geäußert?“
„Das auch, denn der Fisch stinkt immer vom Kopf. Die Anarchie ist die Königin der Nacht. Wir brauchen keine einfältigen Beamten, keine Speichellecker der Macht, keine Spielverderber, keine humorlosen Wichser, keine…“
„Ich sehe schon, Jim, Sie sind noch voller Leben, wenn ich das so sagen darf. Haben Sie es nie bereut, dass Sie so jung gestorben sind, einen Großteil des Lebens verpasst haben?“
„Trau keinem über 30! Ha! Ein mickriges, mittelmäßiges Leben war nie mein Fall. Lieber ein gewaltiges Feuerwerk, auch wenn es einen verbrennt!“
„Mir war leider auch nur ein kurzes Leben vergönnt.“
„ Haben Sie sich den Tod eigentlich so vorgestellt, Frédéric?”
„Wie?“
„So endlos lang! Na, Sie liegen ja schon über hundert Jahre länger hier als ich.“
„Solange wir in den Herzen und Köpfen der Menschen leben, sind wir nicht wirklich tot, Jim. Musik ist eine Sprache, die jeder versteht. In der Musik machen wir den Turmbau zu Babel rückgängig. Ob Ihre Musik allerdings die nächsten hundert Jahre überlebt, weiß ich nicht.“
„ Sie sind doch ein arrogantes, aristokratisches Arschloch!“
„Nehmen Sie es nicht persönlich, Jim! Es war nett, mit Ihnen geplaudert zu haben. Die Ewigkeit ist auch nicht immer die reinste Freude. Es ist November. Die letzten Blätter fallen. Bald kommt der Winter und die Besucher werden weniger. Diese Kälte konnte ich schon zu Lebzeiten nicht ertragen. Warum hat mich Aurore nicht im sonnigen Mallorca ruhen lassen?“