Von Hannes Wille

Besorgnis schwingt in der Stimme des Nachrichtensprechers. Am Abend soll es heftige Gewitter geben. Seit mehreren Stunden schmerzt mein linker Arm. Bin ich wetterfühlig? Nein, das ist Unsinn. Das ewige Sitzen verspannt meine Muskeln.
Noch regnet es nicht. Schwer senkt sich der Himmel über die Autobahn. Ich mag diese Mischung aus dunklem Grau und schmutzigem Blau. Es ist, als stünde über mir ein Meer.
Noch eine Stunde bis Dortmund. Ich möchte kein Unwetter während der Fahrt. Später, von meinem Hotelzimmer aus, werde ich das Gewitter über der Stadt genießen wie einen Film im Kino.
Ziehender Schmerz verspannt meine linke Schulter. Mir ist kalt. Hoffentlich hat das Hotel eine Sauna. Dünner Regen wird von den Scheibenwischern zur Seite gewischt. Eine Frauenstimme sagt Rachmaninow an. Drittes Klavierkonzert in d-Moll.

Morgen treffe ich Herrn Wollner. Der Mann ist Fondmanager und möchte eine Wohnbebauung mit zweihundert Einheiten errichten. An diesem Planungsauftrag bin ich interessiert. Deshalb fahre ich seit fünf Stunden auf der A2.
Manchmal bin ich einen ganzen Tag auf der Autobahn unterwegs. Am Ende steht ein einziges, freundliches, nicht allzu langes Gespräch. Dabei verfolge ich ein klares Ziel. Mein Geschäftspartner muss spüren, dass sein Projekt nur mit mir gelingen kann. Ich zeige mich als sein Partner, kompetent, sympathisch, loyal und absolut verlässlich. So bekomme ich Aufträge für mein Architekturbüro. Auf diese Weise verdienen meine Mitarbeiter sehr gut und ich mehr als überdurchschnittlich.

Markus ist mein Prokurist. Er sagt, dass ich Aufträge herbeizaubern kann. Das ist richtig. Es geht um den Auftrag, mein Ziel ist ein unterschriebener Vertrag. Die Arbeit im Anschluss ist Routine engagierter Mitarbeiter.
Bei tiefem Durchatmen sticht es in meiner Brust. Ich muss ruhiger werden, flacher atmen. Die letzten Tage habe ich zu viel gearbeitet. So geht es nicht ewig weiter.
Irgendwann übernimmt Markus mein Büro. Noch ein paar Jahre und dann werde ich das tun, was ich früher gern getan habe, zaubern.

Ja, ich kann zaubern. Vor vierzig Jahren begann ich mit einem Zauberkasten. Am Anfang habe ich mich über jeden gelungenen Trick gefreut. Viele Nachmittage übte ich vor meinem Wandspiegel. Einige Jahre später konnte ich mein Publikum in ein Traumland ziehen. Vor Kindern habe ich immer gern gezaubert. Ihre staunende Freude kam von mir. Wer als Kind eine Welt der Wunder sieht, vergisst das nicht.

Ich lenke meine Gedanken von der Zauberei weg. Im Moment geht es um Geld. Wie führe ich mein Gespräch mit dem Auftraggeber? Welche Informationen habe ich über den Mann?

Rachmaninow ist intensiv. Die Autobahn schwankt, weiße Streifen werden zu flatternden Bändern. Wieso pocht es in meinem Kopf? Ich kenne die Strecke. Hinter einer nach links abfallenden leichten Kurve kommt die Wildbrücke. Ich sehe die Lichter des Kühlturms nicht. Warum fahre ich auf die rechte Spur? Die Fenster müssen auf, so wenig Luft halte ich nicht aus. Mein Radio hat schlechten Empfang. Immer wieder dieses Aussetzen, der kurze Einbruch einer lauten Stimme, grell, unverständlich. Warum habe ich meine Warnblinkanlage an? Es sind noch vierzig Minuten bis Dortmund. Die Welt um mich herum wirkt wie gefroren. Irgendetwas stimmt nicht. Ich brauche Hilfe. Aber hier kommt niemand. Ich halte auch nicht an, wenn ein Auto auf der Standspur steht.
Was passiert mit mir? Wer presst meine Brust immer fester zusammen? Wenn ich das hier überstehe, werde ich wieder zaubern. Wofür habe ich das ganze Geld verdient? Drei Leben lang könnte ich zaubern und bräuchte keinen Cent. Ja, ich werde zaubern, ganz sicher.
Hier hält niemand. Querstehen müsste ich, mitten auf der Autobahn.
Wer bist du denn, Mensch? Hör auf, ich bin müde, schwach, möchte schlafen. Was wollt ihr denn, in euren roten Jacken?

***
Drittes Klavierkonzert in d-Moll. Gegen zehn werde ich in Bochum ankommen.
Hier ist es passiert. Ich erinnere mich. Mit einer Kreuzfahrt für zwei Personen habe ich mich bei dem Handwerker bedankt, der seinen Kastenwagen stoppte und den Rettungsdienst anrief. Mein Herz hat sich gut erholt.
Herr Meinert hat gestern zugesagt. Ich bin auf dem Weg zu ihm. Ein umfangreicher Planungsauftrag wird mich in den nächsten drei Jahren beschäftigen. Danach ist wirklich Schluss. Markus ist der richtige Nachfolger für mein Büro. In vier, spätestens fünf Jahren höre ich auf. Dann werde ich zaubern.
Hinter einer nach links abfallenden Kurve kommt die Wildbrücke. Dünner Regen wird von den Scheibenwischern zur Seite gewischt. Ich habe alles im Griff. Nur noch einige Jahre.…

 

 

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