Von Barbara Meyer

Sie war überzeugt davon, zurecht nicht geliebt zu werden. Schon die Eltern hatten damit begonnen. Lieblosigkeit lag wie eine dicke Decke ihr ganzes Leben über ihr. Heute, als erwachsene Frau hatte Helena längst die Hoffnung aufgegeben, sie hatte zwei Ehen vergeigt, es musste ja an ihr liegen, dass kein Mann Interesse an ihr zeigte. Na ja, da stimmte so nicht ganz, erst kürzlich hatte sie mit ihrer Freundin Suse darüber gestritten. „Soll ich sie Dir alle aufzählen? Aber Du wirkst zu stark auf die Männer, Du weißt doch, sie wollen gebraucht werden, müssen Helden sein. Bei Dir fehlt ihnen das Gefühl, Dir imponieren zu können. Damit vergraulst Du sie schneller, als sie Dich überhaupt kennen gelernt haben.“ Suse nahm ihren Aperol Spritz und sah mich an. „Und jetzt diese beiden, zwei Witwer. Du verknallt Dich in zwei Männer und es sind ausgerechnet Witwer? Warum suchst Du Dir in Gottes Namen nicht einmal in Deinem Leben etwas Einfaches aus?“ Ihr Glas war leer und sie bediente sich, um es wieder zu füllen. „Du weißt, dass ich gerne gefunden würde, mein Leben lang gehe ich auf andere zu, treffe die Verabredungen, organisiere Feste und Treffen, habe mir meine beiden Männer auch selbst nehmen müssen, sonst wäre das nie etwas geworden. Und jetzt will ich das nicht mehr, ich will gefunden werden, geholt werden. Ich möchte nicht nur lieben, ich möchte zurück geliebt werden.“

Suse dachte nach. Helenas Problem war, dass sie sicher war, der Welt nichts zu bieten zu haben. Sie ist eigentlich immer irgendwie am Abgrund entlang balanciert, musste immer aufpassen, nicht vollends abzustürzen. Dadurch wirkte sie nach außen sehr stark, aber innen drinnen schrie sie nach Liebe und Hilfe. Als sie mir ihre Geschichte irgendwann einmal erzählte, konnte ich das alles nicht glauben. „Das bist nicht Du, von der Du mir da gerade erzählt hast, das hast du Dir ausgedacht, oder?“ Doch ich wusste natürlich, dass sie mir die Wahrheit erzählt hatte, ungeschönt und eigentlich etwas, worüber man berichten sollte. Ihr ganz persönliches „Me too“. Das wollte Helene auf keinen Fall, für sie waren ihre Therapien schon ein schwerer Schritt gewesen. „ Pass auf, meine Liebe, verbrenn Dich nicht an den beiden, wer weiß, wann sie über den Tod ihrer wahrscheinlich besten Ehefrauen aller Zeiten weg sind? Ob überhaupt? Ich möchte nicht, dass es Dir wegen nicht erwiderter Gefühle wieder so schlecht geht, wie bei Deinem Letzten. Oder soll ich sagen, dem immer noch? Oder doch nicht mehr? Wer weiß das bei euch beiden schon so genau?“

Helena wusste, dass Suse mit allem Recht hatte und hatte sie nicht selbst in den vergangenen Wochen immer laut getönt, sie wolle sich ja gar nicht verlieben,  die Freundschaft zu den beiden sei ihr viel wichtiger? Auf ihrem Handy ging eine Nachricht ein, sie hörte es an dem „Ding- Ding“. Wie meistens, so schaute sie auch jetzt sofort nach, wer ihr etwas geschrieben hatte. Und freute sich; einer der beiden besagten Witwer, ihr Favorit, hatte sich aus dem Urlaub zurück gemeldet und wollte sich mit ihr treffen. „Mal nur wir beide, was hältst Du davon?“ Sie sagte Suse noch nichts davon, die Freude gehörte erstmal nur ihr. Während ihre Freundin von neuen Möbeln und dem nicht enden wollenden Stress in der Firma erzählte, hörte Helena nur mit unhöflichem halben Ohr zu, ihre Gedanken waren bei Hans, dem „Favoriten“, der ihr Herz erobert hatte, egal, was der Verstand dazu sagte. Herz und Verstand gingen bei ihr selten konform, was häufig zu Problemen führte. Vermeidbaren Problemen, wohlgemerkt. Sie dachte an sein verschmitztes Lächeln, an seinen Humor, an seine Sensibilität. Außerdem hatte er Stil und war an Vielem interessiert. Hoffte sie zurecht, auch an ihr?

Der Abend ging zu Ende, Suse und Helena verabschiedeten sich müde voneinander und Suse fuhr nach Hause. Helena räumte noch auf und hing dabei noch ihren Gedanken nach, danach fiel sie todmüde ins Bett und schlief sofort ein.

Am nächsten Morgen hatte Hans einen für sie akzeptablen Terminvorschlag geschickt, den sie mit Freude bestätigte. Er wollte Mittags für sie kochen und hatte danach noch eine Radtour angedacht. Sie stand vor seinem Haus und was sie sah, gefiel ihr. Ihr Kopfkino malte sich alles möglich aus, nur, dass er sie, kaum das die Tür wieder geschlossen war, an sich zog und vorsichtig küsste, war das wirklich allerletzte, was sie sich vorgestellt hatte. Hans bat sie in die Küche, wo es sehr angenehm roch, bot ihr ein Glas Wein an und sagte ihr, dass er sie während des Urlaubs vermisst habe und ob sie sich mehr als eine Freundschaft mit ihm vorstellen könne. Sie konnte ihr Glück kaum fassen, dieser Durchbruch in ihrem nicht vorhandenen Liebesleben war gleichermaßen unverhofft und unfassbar. Ja, sie wolle es sehr gerne mit ihm versuchen, er mache sie glücklich mit seiner „Idee“. Hans benutzte genau wie sie den Begriff Durchbruch, bei ihm war es ein Durchbruch hin zum Loslassen.

Die beiden redeten stundenlang miteinander und beide empfanden sich als wohltuend. Helene verabschiedete sich im stillen von ihrem Singleleben, es gab ein kleines innerlichen Begräbnis mit anschließender Freudenfeier. Der Ort dafür, sein Bett.

Suse hatte vorerst nur einen Kommentar: Helene, was schert Dich Dein Geschwätz von gestern. Wann lernen ich ihn kennen, Deinen Hans?