Von Marcel Porta

Das Brainstorming war für 15 Uhr angesetzt. Nicht die ganze IT-Abteilung sollte daran teilnehmen, sondern nur die Statistikfreaks. So wurden die drei, die für die Programme zur Auswahl der Partner zuständig waren, von ihren Kollegen halb herablassend, halb ehrfürchtig genannt. Jeder wusste, dass ihre Programme das Herzstück der Agentur waren. „In(n)amorato, und das Liebesglück ist garantiert!“, hieß es in der Werbung. Und die Statistikfreaks hatten dafür zu sorgen, dass das Deckelchen aufs Töpfchen passte.
Das Besondere an dieser Partnervermittlungsagentur war, dass jedem, der sich anmeldete, nach einer rein optischen Vorauswahl des Kunden ein Kandidat, bzw. eine Kandidatin für ein Date vorgeschlagen wurde. Aber natürlich nicht zufällig, sondern nach ausgetüftelten statistischen Programmen, die Dinge wie Lieblingsfarben, Körpergröße, Parfümvorlieben, ja sogar die Vornamen von tausenden Kunden auswerteten und Korrelationen suchten, welche die Wahrscheinlichkeit einer glücklichen Partnerschaft erhöhten. Etwas respektlos nannten die Statistikfreaks sie Bang-bang-Wahrscheinlichkeit. Ein harmloser Spaß und dennoch ein bisschen verwunderlich, denn bei den zuständigen Fachleuten handelte es sich um die ansonsten ernsthaften Mathematiker: Michael, Bernd und Lado.

 

„Meine Herren“, begann ihr Vorgesetzter die Eröffnung des Brainstormings, „Sie wissen, um was es heute geht? Wenn nicht, will ich es Ihnen in Erinnerung rufen. Die Erfolgsquote unserer Vermittlung liegt seit einigen Monaten konstant bei acht Prozent. Das heißt, wie Ihnen bekannt ist, dass nur, und ich betone dieses Wörtchen, nur acht Prozent der vermittelten Paare nach zehn Wochen noch zusammen sind und sich zu ihrer von uns vorgeschlagenen Partnerwahl positiv äußern. Mit anderen Worten: Wir müssen unseren Kunden durchschnittlich zwölf Mal Dates vorschlagen, bis sie einen Partner fürs Leben gefunden haben. Das ist entschieden zu viel, meine Herren! Unser Ruf steht auf dem Spiel, ganz abgesehen davon, dass es bei unserem Geschäftsmodell, einer Erfolgsgarantie, um bares Geld geht. Wir müssen da besser werden. In(n)amorato ist …“

Natürlich erzählte ihr Boss ihnen da nichts Neues und so hörten die drei kaum noch zu, als er ihnen vorrechnete, wie sehr der Erfolg der Partneragentur von genau ihren Bang-bang-Quoten abhing. Es ging also darum, die Erfolgsaussichten zu erhöhen, die Wahrscheinlichkeit einer Partnerschaft genauer vorherzusagen.
Endlich ließ ihr Chef sie allein und die drei begannen, Ideen in den Raum zu werfen und in Stichpunkten festzuhalten. Alle drei waren nicht nur gute Statistiker, die mit Regressionen, Korrelationen und Chi-Quadrat umgehen konnten, sondern hatten zudem eine gediegene Ausbildung in Psychologie absolviert.

„Mir gefällt die Idee mit den Gerüchen am besten“, kommentierte Lado in der zweiten Phase die Ergebnisse der ersten. „Wir berücksichtigen sie zwar, indem wir die Angaben der Kunden heranziehen, doch das ist keine Wissenschaft. Da müsste mehr herauszuholen sein.“

Schnell konzentrierte sich die Diskussion auf diesen Punkt, und als der Chef am Abend wiederkam, hatten die drei einen Vorschlag zu unterbreiten, der ihm erst mal den Boden unter den Füßen wegzog.

„Aber meine Herren, das wird doch viel zu teuer!“, war sein Fazit, aber nachdem Bernd ihm die möglichen Vorteile eingehend erläutert hatte, war er bereit, mit der Geschäftsleitung zu sprechen. Und so kam es, dass eine umfangreiche Studie ins Leben gerufen wurde, bei der langjährig glücklich verheiratete Paare gegen ein angemessenes Salär getragene Unterwäsche einschickten. Zwei Chemiker wurden engagiert, welche die darin gefangenen Gerüche nach siebzig verschiedenen Chemikalien klassifizierten. Zudem wurde ein Geruchsfachmann gesucht, und der einzige Sommelier, der sich meldete, wurde eingestellt, da er alle Parfümfritzen, wie die restlichen Bewerber in der Firma tituliert wurden, in einer Blindprobe in den Schatten stellte. Er sollte die Gerüche nach olfaktorischen Gesichtspunkten einordnen.

 

Die Programmierer strebten nach statistischer Signifikanz, die Geschäftsleitung war bemüht, die Kosten in Grenzen zu halten, und so einigte man sich nach zähem Ringen auf eine Stichprobengröße von 500 Paaren.

Die drei Statistiker analysierten die Resultate der Chemiker und des Sommeliers mit allen zur Verfügung stehenden Programmen auf Korrelationen. Sogar neuronale Netze wurden eingesetzt, und am Ende gab es eine Formel, die statistisch relevante Ergebnisse versprach und zur Vorhersage verwendet werden konnte.

 

„Und Sie sind sicher, dass diese Formel die Erfolgsquote erhöhen kann?“, fragte der Oberboss, dem sie ihre Ergebnisse präsentierten.
„Wir sind fest davon überzeugt!“, bestätigte Michael.

„Und Sie glauben, unsere Kunden werden uns ihre getragenen Slips und Büstenhalter, ihre Unterhemden und Pyjamas zur Verfügung stellen? Ganz zu schweigen von den Socken.“

„Das wird zu Beginn etwas schwierig werden“, gab Lado zu, „doch wozu haben wir eine Marketingabteilung mit kreativem Personal? Und wenn wir Erfolg damit haben, werden wir uns vor zugesandten Slips kaum retten können.“

 

In der Tat war es nicht ganz einfach, die Kunden von der Notwendigkeit der Zusendung ihrer getragenen Unterwäsche zu überzeugen. Es mussten erhebliche Rabatte in Aussicht gestellt werden und die Geschäftsleitung stöhnte gemeinsam mit dem Finanzdirektor wie Sumokämpfer vor dem alles entscheidenden Schulterwurf. .

Es dauerte etliche Wochen, bis die ersten zweitausend Kleidungsproben zur Geruchsanalyse vorlagen. Michael, Lado und Bernd hatten zwar auf mindestens fünftausend bestanden, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, hatten sich zu ihrem Leidwesen aber nicht durchsetzen können.

Die Kleidungsstücke trafen  luftdicht verpackt ein, denn die Firma sandte den Interessenten entsprechende Beutel zu. Im ganzen Haus wurden Witze gerissen, über die Statistikfreaks und am meisten über den Sommelier, dessen vierzig Geruchseinschätzungen ständig persifliert wurden: „Eine Mischung von nasser Hund und Flokati-Teppich“, „angepisstes Pferdehalfter“ und ähnliche Kategorien wurden ihm unterstellt. Und bei allem Fröhlichkeitspotenzial, das diese Mutmaßungen boten, so ganz falsch waren sie nicht einmal.

 

Und dann war es so weit, alle Klassifikationen lagen vor, und für die ersten vierhundert Testobjekte, zweihundert Männer und ebenso viele Frauen, wurden Partner aus den zweitausend klassifizierten Kunden ausgewählt. Die neuen Formeln berücksichtigten die alten Kategorien, beinhalteten aber auch die neuen geruchsbasierten Affinitätsvoraussagen. Nun galt es, acht Wochen zu warten, um die Ergebnisse abzufragen. Nicht nur Bernd, Lado und Michael konnten vor Aufregung nachts kaum schlafen, auch den Mitgliedern der Geschäftsleitung stand die Anspannung ins Gesicht geschrieben. Wenn bei dieser Aktion nichts herauskam, hatte man nicht nur einen Haufen Geld in den Sand gesetzt, sondern sich auch granatenmäßig blamiert. Denn natürlich hatte die Konkurrenz etwas spitzgekriegt und an bissigen Kommentaren nicht gespart. Insbesondere der Oberboss echauffierte sich, weil ein Witzbold seine getragene Unterwäsche direkt an ihn adressiert hatte und er nichts ahnend …

 

„Verdammt, warum erfahren wir nichts?“, beklagte sich Lado, als die Frist vorüber war und niemand ein Wörtchen zu ihnen sagte.

„Wahrscheinlich ein Fiasko“, mutmaßte Michael, „und sie suchen sich schon neue Anwärter für unseren Job.“

„Quatsch“, kommentierte Bernd die Selbstzweifel seiner beiden Kollegen, „wir sind die Besten in diesem Metier, wir schaffen es sogar, Rotkäppchen mit dem Wolf zu verkuppeln, oder Trump mit Putin.“

„Für Letzteres brauchst du keine Software, die sind sowieso schon innamorato“, zwang sich Lado zu einem Lächeln. Just in diesem Moment klingelte das Telefon.

„Zeus persönlich“, meinte Bernd nach einem Blick aufs Display. Einige Minuten später hasteten drei Männer zum mahagonigetäfelten Konferenzraum im obersten Stockwerk.

 

„Was habt ihr euch nur bei dieser Aktion gedacht?! Wisst ihr, was uns der Spaß gekostet hat?“

Bernd antwortete stellvertretend für seine Kollegen, wie immer, wenn sie mit der Geschäftsleitung zu tun hatten. Er war nicht nur der Älteste, sondern auch am eloquentesten.

„Wir waren und sind überzeugt, dass diese Idee gut ist und die Quote erhöhen kann. Wenn es diesmal nicht geklappt hat, müssen wir die Stichproben erhöhen und die Ergebnisse auf eine breitere Basis stellen“, gab er sich selbstbewusst.

„Habt ihr das gehört?“, wandte sich der Geschäftsführer an seine Kollegen, „Breitere Basis und Stichproben erhöhen? Sollen wir das wirklich tun?“

Das allgemein zu hörende „Nein“ wurde nur übertrumpft durch das „Auf keinen Fall“ des Finanzchefs.

„Tja, das ist also keine Lösung, meine Herren“, wandte er sich wieder an die drei Programmierer. Dann folgte eine Kunstpause, die sich unangenehm in die Länge zog.

„Ist aber auch nicht nötig“, schmetterte er plötzlich in den Raum und strahlte von einem Ohr zum anderen. „Die Quote ist durch die Decke geschossen! Wahnsinnige ZWEIUNDZWANZIG Prozent! Das ist absolut grenzgenial!“

Rumpelstilzchen wäre von dem Tanz bei dem Wörtchen zweiundzwanzig begeistert gewesen. Noch nie hatten die drei Programmierer den Geschäftsführer grinsen oder gar lachen sehen. Doch jetzt war er so außer sich, dass er gar nicht mehr zu reden aufhören konnte, während die Sektkorken knallten.

„Könnt ihr euch vorstellen, wie die Kunden uns die Bude einrennen werden, wenn wir damit an die Öffentlichkeit gehen?“

 

Einige feuchtfröhliche Stunden später saßen Bernd, Michael und Lado sich an ihrem Arbeitsplatz gegenüber.

„Haben wir jetzt eigentlich was Gutes fertiggebracht?“, fragte Bernd erstaunlich selbstkritisch.
„Für die Firma auf jeden Fall“, meinte Lado, „wobei ich nicht weiß, ob dem Geschäftsführer der viele Sekt so gut bekommen wird.“

„Und für die Kunden? Manipulieren wir sie nicht zu sehr?“

„Ach was“, zog Michael sein Resümee, „sind doch alles erwachsene Leute. Und wenn wir manchen aufs Pferd helfen können: ab mit der Post!“

 

© Marcel Porta, 2017

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