Von Anne Zeisig

Wie es so ist, wenn man wie ich, Gatte von meiner Marlies seit 51 Jahren, angetrunken eine Idee hat.

Stütze mich am Tresen ab und genehmige mir den zweiten Kurzen, halte meinem Kumpel Ernstchen das Pinnchen mit erhobener Hand entgegen.
Und ignoriere die Worte meiner Frau, dass ich den Schnappes sein lassen soll, weil das bisher immer in einem Fiasko geendet sei. Ich lächele in mich hinein. Mein Graueselchen, sie ist nicht böse über diesen Kosenamen, kennt mich halt sehr gut, hat morgen Geburtstag.
„Marlies wünscht sich was Besonderes“, sage ich leise, hieve mich auf den Barhocker meiner Stammkneipe. „Aber nie treffe ich ihren Geschmack“, jaule ich hinterher.
Ernst knufft mich in die Seite und lacht dröhnend raumfüllend, er ist der Tenor im Männergesangverein. „Heinzi!“, und zeigt mir mahnend seinen Zeigefinger. „Du musst zugeben, dass Frauen nicht besonders angetan davon sind, wenn sie zum 50. Hochzeitstag einen selbstgezimmerten Sarg geschenkt bekommen.“
Ich will protestieren, weil mir das gute Stück letztes Jahr einiges an Nachtarbeit in meiner Hobby-Tischlerei gekostet hat, da meint er weiter: „Und das Parfum zu ihrem 70sten, was nach Chlorreiniger stank, war ja auch nicht gerade romantisch.“ Prostet mir mit seinem Bier zu.
„Aber es war von Douglas! Come in und finde wieder raus!“, hechele ich aufgeregt, „aber der Kaffee zum Muttertag von Tschi-Bohnie war doch super!“ Mache überschwänglich eine ausladende Handbewegung, stiere den Wirt und Ernst an: „Schümli oder Bohne aus Brasilien?“, hatte mich die Blondine gefragt, und ich habe geantwortet, dass Marlies einfach nur normalen Filterkaffee mag.“ Schnappe nach Luft. „Aber am Ende habe ich den Laden mit Kaffeepats und so einer Patmaschine verlassen.“
„Alles Verkaufsphilosphie“, säuselt Ernst und tätschelt mir kameradschaftlich die Schulter. Bekommt glänzende Augen und fragt: „Hat Marlies sich über die Patmaschine wenigstens etwas gefreut?“
Ich winke ab. „Wie gesagt, sie steht auf Filterkaffee, außerdem haben wir bereits einen Kaffee-Vollautomaten, Weihnachten 2005, und eine Filtermaschine, Ostern 1995 mit passender Kaffeemühle.“
Kraseftzki nickt in seinen Seemannsbart hinein und sagt sonor. „Je älter die Weiber werden, umso mehr stehen sie auf Romantik!“
„Beim Kaffeetrinken?“, denke ich laut mit fragendem Gesichtsausdruck, wie auch immer man den interpretieren mag.
„Hatte Tschi-Bohni denn keine Damenunterwäsche im Angebot?“, fragt Ernstchen und lächelt schief, als hätte er gerade auf einer Zitrone herum gelutscht.
Ich schüttele den Kopf, denn mit Dessous war ich bei meiner Holden auch bereits ins Fettnäpfchen getreten.
„Sie braucht A-Körbchen, ich kaufte seinerzeit C!“ Und da hatte mir Marlies unterstellt, ich sehne mich nach Großbusigen …
Kurze Pause.
„Noch ‘n Kurzen, Heinz?“ Unser Wirt lebt vom Umsatz.
Ich nicke.
Alkohol hat immer schon Künstler zu kreativen Höchstleistungen verholfen.
Sicherlich auch mir.
Aus der Musik-Box erklingt ‘Ganz in Weiß’ von Roy Black. Oder Rex Gildo?
War das der mit dem strahlenden Zahnpasta-Lächeln? Keine Ahnung, denn wegen Marlies hatte ich seinerzeit Elvis total aus den Augen verloren.
“Deine Frau will, dass du ihr romantisch entgegen kommst“, nuschelt Ernstchen, der ewige Junggeselle.
„Romantik?“, sinniere ich laut. „Aber Marlies hatte nichtmal ein weißes Brautkleid an!“
„Weil was Kleines unterwegs war bei Euch!“ Ernst und ich gießen den dritten Kurzen die Kehlen hinab und schütteln unsere kahlen Köpfe. „Hach! Tut das gut!“
„Unterwegs? Was war unterwegs?“ Inzwischen klappt das mit dem Abstützen am Tresen nicht mehr so gut, ich rutsche immer wieder ab.
„Krase-fi-z-egal, dein Tresen hat plötzlich runde Ecken!“
Er nickt. „Das kommt hier öfter vor.“
„Deine Marlies war im achten Monat! Da hat man damals nicht in einem weißen Kleid geheiratet“, klärt mich Ernstchen auf.
Nun muss ich eine Sekunde überlegen. „Und warum nicht?“
„Wegen der Nachbarn!“
Ich klopfe ihm auf die Schultern. „Du bist ein wandelndes Lexikon“, und ordere erneut Malteser für Ernst und mich.
“Malteser ist Aus! Kanns auch Feigling sein?“
Wir nicken synchron.
Ich atme intensiv den Zigarettenrauch aus der Vergangenheit aromatisch in mich hinein, weil der historisch in die Holzvertäfelung hinein und heraus müffelt recht rauchig.

Unser Wirt fühlt sich nun in Höchstform. „Wo hast du denn überhaupt deiner Frau einen Heiratsantrag gemacht?“, fragt er und zwirbelt seinen Bart.
Ich will mich abermals am Tresen abstützen, aber dessen Ecken sind inzwischen noch runder geworden, ich rutsche mit den Ellbogen abermals ab.
„Am Kanal.“
„Rhein-Herne oder Dattel-Ems?“, fragt er mich.
„He! Wirt!“, mischt sich mein Ernstchen ein. „Du kannst dir denken, dass unser Heinz vor seiner Angetrauten bestimmt nicht im feuchten Ufergras des Weser-Mindener-Kanals auf die Knie gefallen ist!“ Er nickt zweimalig. „Prost!“ Und flüstert: „Bin ich froh, Single geblieben zu sein.“
„Und wat ist nu mit diese Romantik zum Ge-burts-tel-tach?“, lalle ich.
Kraseftzki stellt eine leere Pulle auf die für mich viel zu runde Theke ohne Ecken und Kanten, legt ein Blatt Papier dazu samt Kugelschreiber und meint „Flaschenpost!“
„Genau!“ Ruft Ernst und tippt sich an die Schläfe. „Schreib Marlies was Schönes auf den Zettel, rein damit in die Flaschenpost, zugestöpselt, und ab damit in den Kanal!“
Ich überlege knallscharf … der Schweiß tropft mir aus den Poren meiner Stirn, als ginge es um mein Leben, denn ich will es nicht wieder verkacken bei ihr, meinem geliebten Graueselchen.
„Aber sie geht längst nicht mehr am Kanal spazieren.“ Ich resigniere. „Warum auch. Marlies-chen kann nicht ahnen, dass da Flaschenpost für sie angeschwemmt wird.“
„Stimmt“, meint Ernst kurz und knapp.
Der Wirt nickt und ermuntert mich dennoch zu romantischen Worten für den Inhalt der Flaschenpost, drückt mir den Kugelschreiber in die Hand und faselt was von „Der-Rest-Wird-Sich-Finden, die Pulle an die Frau zu bringen.“
Ich schreibe:
‘Mein-ein-zige Marlies-s!
Nuhun bist du 71!
Keine Falte bei Dir!
Wenn ich die Brille nicht auf-ha-ha-be. Egal!
Dat mit dem Sarg tut mir leid vor einem Jahr!
Auch das mit dem Duftwassser vom ALDI. (Oder war es ein anderer Laden?)
Das Brasilien-Koffein war auch nicht dat Wahre leider.
Nun soll es ro-rom-ah-tisch sein.
Und ich kni-e nun am Kanal in Wanne-Eickel eigentlich sinngemäß wie einst als Jüngling, aber mit romantischer Postflasche im Hier und Jetzt.“
Beide Kerle klopfen mir auf die Schulter, rollen meine Blattworte ein, ohne sie gelesen zu haben, und stecken sie in den Flaschenhals.
„Super! Das bist du, Heinzi!“
Plopp! Der Verschluss sitzt fest.
„Unser original Karl-Heinz!“
Und drücken mir die Glasflasche in die Hand mit den Worten! “Wenn dat mal nich romantisch ist, dann wissen wir dat auch nich.“
* * *
„Heinz!“, gellt es durch die Schlafetage unseres Hauses.
Ich stehe senkrecht im Bett, obwohl mein Schädel brummt, denn die hysterische Stimme meiner Marlies ist durchdringend, stellt jede Sirene in den tauben Schatten.
„Die Badewanne ist voller Wasser und darin schwimmt eine Flasche mit dem Etikett ‘Kleiner Feigling nun in groß zum Sonderpreis’!“
Ich schleppe mich restalkoholisiert ins Bad, umarme meine Liebste und hauche ihr ins Ohr. „Auf den Inhalt kommt es an.“

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