Von Helga Rougui

Anfang Dezember erinnerte sich Gott an die Menschen und an den Geburtstag seines Sohnes, der bald gefeiert werden sollte, und anstatt zu denken, wie es unter ihm auf der Erde vielfach geschah: „Oh je, ich habe ja noch gar kein Geschenk für ihn“, freute er sich, daß sein Sohn gesund und munter neben ihm auf dem Himmelsthron saß – war er nicht selbst das beste Geschenk ever?

Gott schaute zerstreut auf das unter ihm stattfindende Gewimmel, und plötzlich hörte er in dem Gemurmel all dieser Wesen Genaueres. Sie sagten gar nicht, sie hätten kein Geschenk für IHN, der hier oben neben seinem Vater saß, sondern sie hatten noch nichts für Beate, Eva, Fridolin, Kevin, Florian, Chantal und Frau Meier, und so ging es weiter mit unendlich vielen Vornamen und Namen, die durch die Köpfe der Menschlein blitzten.

Gott überlegte – hatte er da was verpaßt? War die Bibel umgeschrieben worden? Wenn dem so war, ginge es in der Krippe aber ziemlich übervölkert zu. Was ebenfalls ein Grundproblem dieses Planeten war, wie er sich vage erinnerte – hatte er ihnen denn nicht schon Corona und den Ukrainekrieg geschickt, in der Hoffnung, dieses Phänomen möge sich in Wohlgefallen auflösen?

Gott rief sich zur Ordnung – was hatte es auf sich mit den Geschenken und den vielen Namen, die nicht die seines Sohnes waren? Und er begriff – es ging den Menschen gar nicht darum, die Geburt Jesu zu feiern, sondern sie feierten sich selbst – sie dachten nur an sich und an ihre Nächsten gar nicht mehr.

Und er, der Schöpfer des Himmels und der Erden, unterstützte das auch noch, indem er ihnen jedes Jahr den Weihnachtsmann sandte mit Säcken voller Geschenke, die großzügig verteilt wurden, natürlich sofort ausgepackt werden mußten, dann mußte die Gebrauchsanweisung gelesen und das neue Spielzeug ausprobiert werden, nebenbei wurden noch eine Gans und ein Karpfen verschlungen und nach der dritten Flasche Champagner war jeder zu faul und zu vollgefressen, um den Mitternachtsgottesdienst zu besuchen.

Gott schüttelte den Kopf. Gerade eben hatte er den Weihnachtsmann gesehen, wie er seinen Wagen mit den Geschenkesäcken in den Aufzug geschoben hatte, der sich alsbald Richtung Rentierschlittenplattform in Bewegung setzte. Gleich würde das große Verteilen losgehen.

 

Und Gott faßte einen Entschluß. Dank seiner göttlichen Willenskraft brachte er den Aufzug, der sich in voller Fahrt befand, abrupt zum Stehen, und da er von Technik mehr verstand, als mancher glauben wollte, veränderte er die eingebaute Elektronik derart, daß erst lange nach Silvester der Fehler gefunden werden und sich der Aufzug wieder in Bewegung setzen konnte.

Man würde den Weihnachtsmann finden, wohlausgeruht durch vierzehn Tage erholsamen Schlaf und mit zehn Kilo mehr auf den Rippen, reichlich gesättigt durch die leckeren Lebkuchen und Liköre, die sich überall in den Geschenken befanden.

Und kein Geschenk hatte die erreicht, für die sie bestimmt gewesen waren.

 

Und die Menschen? Sie saßen am Heiligabend ohne Geschenke unter dem Weihnachtsbaum und drehten zunächst einmal Däumchen. Dann hob einer den Kopf und erblickte zum ersten Mal seit langem sein Gegenüber, und sie sprachen und sangen miteinander, und viele Mißverständnisse wurden ausgeräumt, viele Wahrheiten wurden gesagt und entgegengenommen, und sie sahen, daß keiner dem anderen etwas voraus hatte und daß der goldene Löffel im Mund aus niemandem einen besseren Menschen machte.