von Eva Fischer

 

Wie hießen sie noch?

Moni?

Babsi?

Siggi?

Conni?

Es war die Zeit, wo wir Frauen uns gerne ein ‚i‘ anhängen ließen. Das machte uns jung. Das machte uns flott. So glaubten wir wenigstens. Dabei hatten wir den Zenit des Lebens schon überschritten. Jede hatte eine Familie zu Hause, einen Mann, der seine Bürohemden von uns gebügelt haben wollte, Kinder, die von uns gefüttert und beaufsichtigt werden mussten, die noch nicht flügge waren. Einmal im Jahr gönnten wir uns eine Auszeit. Da fuhren wir für ein Wochenende in ein Wellnesshotel. Hundert Kilometer weit entfernt von Zuhause. Das genügte uns, um uns frei zu fühlen.

Babsi hatte für die Pikkolos gesorgt. Kaum waren wir an unserem Zielort angekommen, reichte sie jeder ein Fläschchen, als ob wir uns Mut antrinken müssten für unser Abenteuer. Wir kicherten wie Teenager, als wir unsere Schlüssel an der Rezeption entgegennahmen.

Unsere Kleidung verteilten wir ordentlich in die dafür vorgesehenen Fächer, bevor wir uns auszogen, um in die bereit gestellten, flauschigen Bademäntel zu schlüpfen. Erstmal ein Saunagang vor dem Date mit dem Masseur, der uns mit seinen starken Armen erwartete.

Jede hatte etwas anderes zu berichten von dem dreißigminütigen Tête à Tête. Moni fand, er habe hemmungslos mit ihr geflirtet. Das konnten wir anderen drei nur zu gut verstehen. Moni sah aus wie ein Model. Welcher Mann konnte ihr widerstehen? Ihre blonden Haare fielen in Kaskaden auf ihre grazilen Schultern. Ihre Lippen waren voll und immer kirschrot geschminkt. Lediglich die langen Beine zeigten blaue Äderchen, die sich an manchen Stellen zu Krampfadern verdickten. Das war auch der Grund, warum sie ihre Beine bedeckt hielt. Selbst der muskulöse junge Masseur sollte sie nicht zu sehen bekommen. Sie legte ihr Handtuch darauf, was den Reiz sicherlich erhöhte.

Babsi fand, der Masseur hätte sie ruhig härter rannehmen können. Schließlich sei sie kein Weichei.

„Nein, für mich massiert er eher zu fest“, protestierte Siggi und strich sich über die Arme, als müsse sie diese im Nachhinein noch schützen.

Ich selbst konnte nichts Erotisches beisteuern, sagte nicht, dass ich bei der Massage fast eingeschlafen wäre. Ich hatte keine Lust, den Masseur zu unterhalten und er schwieg auch, vielleicht nicht unzufrieden, denn Babsi gönnte ihm garantiert keine Pause. Wenn sie erst einmal loslegt hatte, mussten auch wir hart um unseren Redeanteil kämpfen.  

Wir warteten in unseren weißen Einheitsbademänteln an den Aufzügen, wollten in unsere Zimmer, um uns schick zu machen für das Abendessen. Auf der Speisekarte stand „Hirschgulasch mit Rotkohl und Klößen“. Das hatten wir mal nicht selbst gekocht, sondern wir konnten uns an den festlich gedeckten Tisch setzen wie Königinnen. Wir schwebten also in Vorfreude in den Aufzug. Dieser ruckelte etwas und hielt eine Etage höher. Wir guckten ungeduldig, als sich die Tür öffnete, denn unsere Zimmer befanden sich in der dritten Etage. Ein Mann in unserem Alter grüßte freundlich und schaute unverhohlen auf unsere Bademäntel, malte sich ganz offensichtlich aus, was sich darunter befand. Moni schaute ihn unwirsch an und kontrollierte unauffällig die Länge ihres Bademantels. Siggi versuchte ohne Brille, den Eindringling scharf zu stellen. Babsi legte in ihre dunklen Augen Carmen-Glut, die das Thermometer in dem kleinen Raum ruckartig in die Höhe schnellen ließ. Im Gegensatz zum Aufzug, der sich nur langsam in Bewegung setzte, um dann zwischen den Etagen endgültig zum Stillstand zu kommen.

Wir drückten hektisch auf alle Knöpfe. Keine traute der anderen. Vielleicht hatte sie nicht richtig gedrückt, denn der Aufzug musste sich doch bewegen. Das war er uns schuldig. Wir hatten schließlich viel Geld bezahlt für unser Wochenendvergnügen. Der männliche Gast ließ uns gewähren, wartete süffisant ab, bis der Hühnerhaufen sich etwas beruhigt hatte, dann drückte er auf den Notrufknopf. Hatten wir den etwa übersehen? Nach einer Weile knarzte es im Lautsprecher. Dann kam eine Stimme: „Wie kann ich Ihnen helfen?“

„Wir stecken hier fest“, fasste Siggi das Offensichtliche in Worte.

„Wir werden einen Techniker benachrichtigen.“

„Tun Sie das und möglichst schnell“, forderte Babsi kess, nicht ohne dem männlichen Gast zuzuzwinkern.

„Bitte bewahren Sie Ruhe“, meldete sich die Stimme erneut.

„Sie sind gut. Für wen halten Sie uns eigentlich. Wissen Sie, wie unangenehm es ist, auf engem Raum gequetscht zu stehen.“ Moni war ganz offensichtlich genervt.

„Sind Sie klaustrophobisch?“, wollte der ungebetene Gast wissen.

„Nein! Wieso?“

„Wenn Sie nicht zugestiegen wären, dann wären wir nicht stecken geblieben!“, entrüstete sich Moni erneut.

„Sehe ich so dick aus?“ Der Mann schaute an seiner zugegeben schlanken Silhouette hinab.

„Darum geht es doch gar nicht“, mischte sich Siggi ein. „Aber vielleicht haben Sie das vorgeschriebene Gewicht überschritten. Hier dürfen nämlich nur vier Leute rein oder 400 Kilo.“

Ich fragte mich, wie das Siggi ohne Brille herausgefunden hatte. Vielleicht gehörte das zu ihrem Allgemeinwissen.

„Also ich wiege 50 Kilo“, sagte Moni.

„Ich 55 Kilo“, fügte Siggi hinzu.

„Und du, Conni?“ Alle schauten mich an. Zehn Kilo mehr war kein Gewicht, mit dem man punkten konnte.

„60 Kilo“, murmelte ich. Hier war keine Waage, die mich bloßstellen konnte.

„Und du Babsi?“ Ich war gespannt, denn wir beide waren keine Kostverächter.

„Ich auch so. Habe mich schon lange nicht mehr gewogen.“ Sie sah mich beschwörend an: Wenn du jetzt etwas sagst, Conni, dann bist du nicht mehr meine Freundin.

„Na also, meine Damen. Das macht 238 Kilo. Ich selbst bringe nur 73 Kilo auf die Waage. An mir kann es also nicht liegen.“ Er warf Moni ein triumphierendes Lächeln zu. Diese wandte sich jedoch ab.

„Wenn uns nicht bald der blöde Techniker hier rausholt, dann pinkle ich auf den Boden“, sagte sie zu Siggi, die männliche Anwesenheit offensichtlich ignorierend.

„Bewahren Sie Ruhe“, knarzte es erneut aus dem Lautsprecher. „Ein Techniker ist unterwegs.“

„Ich hoffe, er hat keinen so weiten Weg“, feixte Babsi.

„Es kann sich nur um Stunden handeln“, legte Siggi nach.

„Wieder besser drauf die Damen?“, grinste der Mann.

„Wir wollen uns noch hübsch machen zum Abendessen. Das braucht Zeit“, versuchte ich nun auch zu witzeln, während Moni schwieg.

Endlich setzte sich der Aufzug mit einem Ruck in Bewegung.

„Juhu! Gerettet“, jubelten wir im Chor und ließen uns von dem Blaumann aus unserem Gefängnis befreien, der uns galant die Hand reichte. Nur Moni rannte sofort los.

  

*

Zwanzig Jahre später

Auf dem gedeckten Kaffeetisch liegen Servietten mit der Aufschrift: „Endlich sehen wir uns wieder.“ Ich bin froh, dass ich sie in einem Schreibwarenladen gefunden habe. Denn es ist wirklich schon lange her, dass ich meine ehemaligen Freundinnen gesehen habe. Eines Tages habe ich Siggi zufällig auf der Straße getroffen. Sie hatte gerade eine Krebs OP überstanden. „Glück im Unglück“, murmelte sie. „Die Bestrahlungen habe ich bereits hinter mir und gut vertragen“. Ich schaute auf die schmale, ausgezehrte Figur, dachte bewundernd, dass Siggi  sich nicht unterkriegen lässt.

„Und hast du noch Kontakt zu Moni?“, wollte ich wissen.

„Sie hat ihre Herz OP gut überstanden.“

Hilfe! Wie alt sind wir denn? Doch gerade mal 70, denke ich.

„Was hältst du davon, wenn ich euch zum Kaffee bei mir einlade?“

 

Babsi kommt mit dem Rollator. Die Hüfte. „Altwerden ist nichts für Feiglinge“, zitiert sie. „Wie geht’s euch Mädels? Guckt mal, was ich mitgebracht habe!“

Sie holt eine Flasche Sekt ans Tageslicht.

„Ich darf keinen Alkohol mehr trinken“, murmelt Moni.

„Ich auch nicht,“ stimmt ihr Siggi zu.

„Ihr werdet doch mal eine Ausnahme machen können. Heute ist ein besonderer Tag. Wer hätte das gedacht, dass wir uns nach all den Jahren wiedersehen! Komm, lasst euch knutschen! “

Die Pandemie hat uns die Freude an der körperlichen Nähe zum anderen genommen. Die Küsse verlieren sich im Nichts, erreichen ihr Ziel nicht.

„Für mich bitte einen koffeinfreien Kaffee“, wendet sich Moni an mich. „Für mich auch“, echot Siggi. „Sonst kann ich heute Nacht nicht schlafen“, entschuldigt sie sich.

„Kinder, wer denkt denn heute ans Schlafen? Heute wird gefeiert! Heute lassen wir es mal richtig krachen! Komm, Conni, hole Gläser für den Sekt! Wir stoßen erstmal auf unser Wiedersehen an.“

Sie schaut auf die freudlosen Gesichter ihrer ehemaligen Freundinnen.

„Was ist? Habe ich was verpasst? Ist jemand gestorben?“

Plötzlich fängt Babsi an zu lachen.

„Erinnert ihr euch noch, wie wir damals im Aufzug festhingen?“, prustet sie los.

Die anderen nicken.

„Das war für lächerliche zehn Minuten. Und wie lange steckt ihr jetzt schon fest? Ich meine, in euren Altersbeschwerden?“

 

2.Fassung