Von Ina Rieder

Fragt der mich doch glatt, ob meine Libido inaktiv ist! So ein Loser!

Leila eilt auf der Innpromenade Richtung Stadt. Die Wolkendecke bricht kurz auf und die Sonne streift einen Moment zärtlich ihr Gesicht. Kastanien landen mit einem klackenden Geräusch auf dem Pflasterstein. Sie beachtet sie nicht, denn sie muss an Chris denken. Schon wieder!

Blockiert mich der Typ einfach. Ich hatte 14 Tage schon keinen Sex mehr … Ja, und? Ist ja nicht so, als hättest du in Mali zwei Wochen nichts zu essen bekommen!

Die junge Frau schüttelt gedankenverloren den Kopf, übersieht ein Loch auf dem Fußweg und strauchelt. Als sie nach vorne fällt, kann sich gerade noch mit den Handflächen am Boden aufstützen. Dennoch landet sie mitten in einer Wasserpfütze.

„Fuck!“

Leila rappelt sich auf und sieht an sich herab. Sie ist bis auf die Unterhose nass. In ihrer Strumpfhose auf Kniehöhe ist ein Loch. Eine Laufmasche zieht sich von dort bis zu ihren Knöcheln hin.

„Scheiße, so kann ich mich nicht im Büro blicken lassen!“

Leila wringt Rock und Pullover, die sich mit Wasser vollgesogen haben, aus. Sie zittert und blickt sich um. Es ist niemand zu sehen. Im Schutz des massiven Stammes einer Kastanie zieht sie ihre Turnschuhe aus, befreit sich von Strumpfhose und Slip, die sie in ihre Handtasche stopft.

Schon besser! Also noch mal zurück nach Hause!

Während sie wieder in ihre Sneakers schlüpft und ihre Jacke zuknöpft, setzt ein eiskalter Wind ein. Sie erhöht ihr Schritttempo. Ihr ist kalt und sie muss dringend auf die Toilette. Sie zückt ihr Handy, um ihrer Chefin Bescheid zu sagen.

Vor Leila ragt das zehnstöckige Hochhaus, indem sie wohnt, auf. Sie betritt das Gebäude und eilt auf den Aufzug zu, der in dieser Minute im Erdgeschoss einfährt. Sie seufzt erleichtert. Die Türe schiebt sich auf. Frau Windisch, die einen Stock über ihr wohnt, steigt mit ihren zwei Kindern im Schlepptau aus. Leila nickt ihr knapp zu, betritt die Kabine und drückt den Knopf der neunten Etage. Sie rümpft die Nase. Es riecht nach einer Mischung aus Paprika, Zwiebel und Maggi.

Wie ich diesen abgefuckten Aufzug hasse! Der Spiegel könnte auch mal ersetzt werden!

„Warte auf mich! Ich muss auch nach oben!“

Leilas Kopf wendet sich Richtung Eingang. Ihre Gesichtszüge entgleisen. Sie dreht sich schneller als man bis eins zählen kann wieder ab. Ihr Herz rast, Blut schießt in ihre Wangen und Schweißperlen bilden sich auf ihrer Stirn. Unfähig zu reagieren, bleibt sie wie eine Amphibie in der Kältestarre, stehen.

Was macht Chris denn hier? Komm, mach schon, geh zu! Verdammt! Schneller!

Die Aufzugstüre schiebt sich im Schneckentempo zu. Kurz bevor sie schließt, drängt sich ein Arm dazwischen.

„Puh, gerade noch geschafft!“

Chris, ein Typ Anfang Dreißig, betritt grinsend den Fahrstuhl, betätigt den Liftschalter und lehnt sich lässig gegen die mit Kunstleder ausgepolsterte Wand. Er zieht die Kapuze seines Sweaters nach hinten und krempelt die Ärmel hoch. Ein süßlicher Duftschleier breitet sich in den wenigen Quadratmetern brandschnell aus. Ein Gemisch aus Zedernholz, Amber und Moschus. Ein Aroma, das Leilas Knie in Wackelpudding verwandelt. Sie dreht sich ab, fischt mit zittrigen Fingern nach ihrem Handy, wischt geschäftig über die Oberfläche und versucht, Chris und seinen unwiderstehlichen Duft, zu ignorieren.

Plötzlich ruckelt es. Leila entgleitet ihr Handy. Es landet direkt zu Chris` Füßen.

„Fuck! Der Scheiß-Lift ist gerade erst repariert worden!“

Chris stößt sich von der Wand ab. Sein Zeigefinger bewegt sich auf den gelben Notrufknopf zu. Bevor er ihn betätigen kann, wird es dunkel. Kurze Zeit später leuchtet ein grünes Notlicht auf.

„Super, jetzt haben wir auch noch Stromausfall! Warte, ich helfe dir!“

„Ist nicht notwendig“, erwidert sie eisig und bückt sich nach ihrem Telefon.

Chris hat bereits die Taschenlampe seines Handys aktiviert und leuchtet den Boden ab.

„Moment mal! Ich kenn dich doch!“

Leila richtet sich hektisch auf. Sie spürt einen unangenehmen Druck auf ihrer Blase und spannt ihren Beckenboden an.

„Du verwechselst mich sicher!“

Chris geht einen Schritt auf sie zu und leuchtet der jungen Frau direkt ins Gesicht. Sie kneift ihre Augen zu.

„Hey, spinnst du? Mach sofort das Licht aus!“

„Nein, oder? Du bist doch die Libido-Frau, oder?“

Chris lacht und zwinkert Leila zu.

„Und du bist ein Grinch!“

„Sorry, war nicht so gemeint. Ich hatte gestern einen schlechten Tag. Sag mal, musst du pissen, weil du so rum zappelst?“

Leila bleibt stumm. Sie kneift ihre Lippen zusammen.

„Also, ja?! Sag schon!?“

Ein gequältes „ja“ dringt aus ihrem Mund.

 „Warte mal, ich habe ein Plastiksackerl in meinem Rucksack. Das könnte funktionieren!“

Chris zieht es hervor, nimmt zwei Äpfel und eine Banane heraus und übergibt ihre das leere Sackerl. Dabei berühren sich ihre Finger für eine Sekunde. Leila zieht ihre Hand wie elektrisiert zurück. Sie spürt ein sanftes Ziehen, das sich von ihrem Wurzelchakra bis zum Bauchnabel ausbreitet.

„Danke“, murmelt sie. „Kannst du dich bitte umdrehen?!“

„Klar, Ehrensache! Dass wir ausgerechnet im selben Fahrstuhl feststecken! Ich bin erst vor kurzem hier eingezogen. Hab dich noch nie gesehen!“

„Kannst du bitte deine Klappe halten, ich kann sonst nicht!“

Leila rafft die Tüte etwas zusammen und geht in die Hocke.

„Ja, okay! Ich höre in der Zwischenzeit Musik, wenn dir das hilft!“

„Mach!“

Nach ein paar Minuten nimmt Chris seine Stöpsel aus den Ohren.

„Kann ich mich wieder umdrehen?“

„Ja!“

„Du bist echt heiß, Leila. Ich habe schon ein paar Mal dein Profil gecheckt!“

„Ich weiß. Daher verstehe ich auch nicht, warum du mich seit gestern ‚ghostest‘!“

„Ich war einfach down, hab mich darüber geärgert, dass du mich nicht ernst genommen hast.“

„Ja, sorry, aber du hast zwei gesunde Hände, oder?“

Chris hebt sie grinsend in die Höhe.

„Ich weiß auch, was ich alles damit anstellen kann! Moment mal, wieso zitterst du? Du stehst also doch auf mich!“

„Haha, ich bin in eine Pfütze gefallen! Mein Rock ist klatschnass.“

„Dann zieh den Fetzen doch aus!“

„Geht nicht?“

„Wieso? Glaubst du, ich habe noch nie ein Mädel im Slip gesehen?“

„Doch, aber ich kann nicht!“

„Wieso? Sag schon! Hast du so einen Liebestöter an, oder was?“

„Nein, Mann! Ich habe drunter gar nichts an!“

„Wow, gewagt bei diesem Wetter!“

Chris lacht so heftig, dass Leila glaubt, die Kabine würde wackeln. Er zieht seinen übergroßen Sweater aus. Sie starrt auf seine muskulösen, tätowierten Arme. Das Ziehen in ihrer Körpermitte verstärkt sich. Chris geht auf sie zu. Leila zittert am ganzen Körper, Blut schießt in ihre Wangen. Plötzlich setzt sich der Fahrstuhl ruckartig in Bewegung, Leila erschrickt und strauchelt. Chris kann sie gerade noch auffangen.

„Hoppla!“

Sie hebt ihren Kopf und versinkt in Chris Augen. Kleine Blitze jagen durch ihren Körper. Der Aufzug fährt in der sechsten Etage ein.

„Ich muss hier raus. Magst du mit auf meine Bude kommen?“

Die junge Frau windet sich aus Chris` Armen.

„Das hättest du wohl gerne!“

Chris stellt sich in die Türe.

„Natürlich! Würde ich sonst fragen?“

„Oh, hattest du keinen Erfolg bei deiner Onlinesuche nach einem Bettopfer?“

„Na ja, jede will man halt auch nicht an sich ranlassen!“

„Komm, verzieh dich!“

„Wusste ich`s doch, dass deine Libido inaktiv ist. Okay, man sieht sich, Süße!“

Chris dreht sich um. Die Türe schiebt sich wieder langsam zu.

Leila schließt die Augen, nimmt einen tiefen Atemzug, spürt ein Prickeln auf ihrer Haut und ein wohliges Ziehen in ihrer Leistengegend.

Wenn du wüsstest, wie unrecht du hast…

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