Von Monika Heil

Das war der letzte Satz, den ich von ihm hörte.

Nein, sein Wunsch geht nicht in Erfüllung – noch nicht!

Ich werde, auch wenn ich jetzt in einer Zwischenwelt lebe, Rache üben. Ich will Gerechtigkeit. Für mich und für Friederike.

 

Vierundvierzig jährige Frau verschwunden.

Die Kripo Frankfurt sucht nach der Ehefrau von Franco S., die seit mehr als einer Woche spurlos verschwunden ist. Der eigene Ehemann hatte sie als vermisst gemeldet. Seine Ehefrau war nach einem Abendspaziergang am letzten Sonntag nicht in die Villa des Unternehmers zurückgekehrt. Ihr Handy fanden die Beamten inzwischen im nahen Stadtwald. Die Auswertung der Daten ergab keine Hinweise. Auch Umfragen im privaten Umfeld blieben ohne verwertbare Ergebnisse. Margot M., die Freundin der Vermissten, befürchtet sogar ein Verbrechen. Wer ist der Täter? Sachdienliche Hinweise erbittet die Kripo Frankfurt unter Tel. …

 

Diese kurze Notiz in unserer Tageszeitung erweckte damals mein Interesse. Laut Google gab es einen Franco und eine Friederike Sarelli in unserer Stadt. Die Frau kannte ich. Und deren beste Freundin war Margot Mahler. Ihn kannte ich nur aus deren Erzählungen. Die beiden Frauen aßen jeden Mittwoch in der Pizzeria zu Mittag, in der ich bediente. Sie führten ihre Gespräche nicht gerade leise. Und mittags ist nicht so viel los bei uns. Erst abends. Anfangs hörte ich ihnen unauffällig zu. Dann wurden wir  vertrauter miteinander. Irgendwann gesellte ich mich sogar zu ihnen und wurde in ihre Gespräche einbezogen. Bis mich mein Chef feuerte. Dadurch verlor sich unser Kontakt.

 

Wie gesagt, dann las ich diesen Zeitungsartikel, erinnerte mich an die Gespräche mit Margot und Friederike und reimte mir einiges zusammen. Franco S. konnte meines Erachtens nur Franco Sarelli sein. Friederike kam aus einem – vorsichtig ausgedrückt – wohlhabenden Elternhaus. Ich kann auch sagen, sie waren stinkreich. Trotz ihrer Warnungen heiratete sie Franco sehr schnell. Nur ein halbes Jahr später kamen ihre Eltern bei einem schlimmen Unglück ums Leben. Auch das stand seinerzeit in allen Zeitungen. Durch einen technischen Defekt brannte deren Villa ab. Die Eheleute verstarben in dem Haus offenbar im Schlaf. Und nun war Friederike verschwunden. Gab es da Zusammenhänge?

 

Ich begann zu recherchieren. Ein Hobby von mir. Nur deshalb bewarb ich mich auch um die ausgeschriebene Stelle einer Allroundkraft in Franco Sarellis Firma. So lernten wir uns kennen. Franco und ich. Er verliebte sich sofort in mich. Ich ließ mich auf seine Avancen ein, denn er war ein attraktiver Mann. Dass ich seine Frau kannte, habe ich ihm nie erzählt. Sie blieb verschwunden. Deshalb konnten wir auch nicht heiraten. Franco war ja noch immer mit Friederike verheiratet und die war reich. Richtig reich. Ja, ich gebe es zu –  Ich genoss einfach das Leben. Meine Nachforschungen hatte ich inzwischen längst eingestellt.

 

Und dann erfuhr ich es eines Nachts. Der viele Alkohol war Schuld, denke ich. Er wollte Sex. Ich nicht. Er wurde wütend und dann rutschte ihm der verhängnisvolle Satz heraus.

»Wenn du nicht spurst, ergeht es dir wie Friederike«, schrie er.

»Wieso, wie erging es der denn?«, fragte ich und lachte dabei wahrscheinlich zu gehässig. Das stachelte ihn offenbar noch mehr auf. Er erzählte mir alles. Kein Wunder, dass die Polizei sie nie fand. Wie sollte sie auch?

»Und wo hast du sie verbuddelt?«, fragte ich und versuchte, meine Stimme beiläufig klingen zu lassen. Er erzählte es mir. Haarklein.

»Wenn du es je wagst, irgend jemanden davon zu erzählen, geht es dir genau so«, drohte er lallend.

 

Am nächsten Tag schien er sein Geständnis vergessen zu haben. Ich rüttelte nicht mehr an unserem Gespräch, genoss einfach weiter mein Leben. Aber ich schrieb einen Brief an die Kripo. Vorsichtshalber. Den wollte ich eigentlich nie abschicken. Steckte ihn in ein Seitenfach meiner schwarzen Handtasche und eine Kopie in die weiße Tasche. Warum? Das kann ich rational nicht erklären. Welcher Mann interessiert sich schon für die Handtaschen seiner Frau? – Meiner. Er fand die Kopie. Einfach so. Suchte Tempotaschentücher. In meiner weißen Tasche! Eine Stunde vor der Beerdigung von Helene Becker. Das war mein Glück. Denn Pflicht ist Pflicht.

 

Während ich in der Trauerhalle unseres Krematoriums den Blumenschmuck und das Aufstellen der Kränze überwachte, brachte Franco den Sarg der Verstorbenen  zusammen mit Bruno, unserem Werkstattarbeiter. Kaum hatten sie ihre Last auf dem schwarzen Podest abgestellt, kam er zu mir. Sofort fiel mir sein roter Kopf auf. Sein Blutdruck schien für zwei zu reichen. Das konnte nicht von der Anstrengung des Sargtragens kommen. Das war er gewöhnt. Ich registrierte, wie seine Hände zitterten.

»Das wirst du mir büßen«, zischte er zwischen zusammengepressten Lippen hervor.

»Was soll ich büßen?«, fragte ich.

»Ich habe den Brief in deiner Tasche gefunden. Wo ist das Original?« Nun zitterte auch ich.

»Chef, kommen Sie bitte mal?« Bruno enthob mich einer Antwort. Die ersten Trauergäste trafen ein. Ich zog mich zurück. Meine Arbeit für diesen Vormittag war getan. Ich setzte mich in die letzte Reihe und lauschte den frommen Sprüchen des Trauerredners. Dann wurde der Sarg in den Nebenraum gebracht. Von dort kam er direkt zum Einäschern in die hintere Halle. Die Urnenbeisetzung war in acht Tagen festgesetzt. Ich wollte die Trauerhalle – wie immer bei Beerdigungen unserer Pietät –  als Letzte verlassen. Leider kam Franco noch einmal zurück. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich dachte, er sei zu beschäftigt. Ich konnte gerade noch unbemerkt meine Handtasche unter die Bank schieben.

»Fahr´ zur Hölle«, war der letzte Satz, den ich von ihm hörte.

 

Sie ahnen es? Er hat mich mit Helene Becker vereint. Genau, wie er seine Frau mit Hermine Sander vereint hatte.

Sein letzter Wunsch an mich ging erst einmal nicht in Erfüllung.

Bis es in der Zeitung stand. Die Schlagzeile lautete diesmal:

 

Asche zu Asche – Vertuschung misslungen

Zwei Frauen verloren ihr Leben und wurden jeweils auf der Asche einer anderen „entsorgt“.

Franco S. wegen zweifachen Tötungsdeliktes verhaftet.

Die Kripo Frankfurt konnte zwei makabre Tötungsdelikte aufklären. Der Bestattungsunternehmer Franco S. befindet sich in Untersuchungshaft. Inzwischen scheint festzustehen, dass er seine, von ihm selbst als vermisst gemeldete, Ehefrau ermordet, verbrannt und gemeinsam mit der Asche einer anderen Verstorbenen beigesetzt hat. Kommissar ´Zufall` half bei der Aufdeckung der Tat. Die Putzfrau des Unternehmers fand vor wenigen Tagen eine Handtasche. Als sie nach einer Adresse der Besitzerin suchte, entdeckte sie einen Brief, den sie postwendend der Polizei übergab. Die Hinweise waren eindeutig. Als die derzeitige Lebensgefährtin des Bestatters und zugleich Besitzerin der Tasche nicht angetroffen werden konnte, ließ die Kripo alle Urnen der letzten zwei Tage – es waren insgesamt fünf – untersuchen. Nun steht das Ergebnis fest.

 

 

 

Verloren auf Asche, wie Franco es in jener alkoholgeschwängerten Nacht lachend erklärt hatte. Gefunden von der Kripo.

 

Meine Mission ist damit erfüllt.

 

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