Von Andreas van Appeldorn

 Frühmorgens, nachdem das Unglück passiert war, setzte er sich in seinen alten Mustang und fuhr los.
Das Unglück, dessen zukünftiges Eintreten beide vorausgeahnt hatten.
Die noch nicht begangene Tat, die wie ein ewig andauernder ‚Kalter Krieg‘ zwischen ihnen gestanden hatte.
Diese immer wiederkehrenden ‚Streitsüchteleien und Beschuldigungen‘, die sie im Nachhinein als ’nicht so gemeinte‘ Beschimpfungen verharmlost oder als ‚zu blühende‘ Fantasie abgetan hatten, welche aber in Wirklichkeit mehr als nur ein bloßes ‚Sichgehenlassen‘ gewesen waren, nämlich der ‚hilflose Ausdruck‘ ihrer inneren, tatsächlichen Wut und Zornigkeit, welche vielleicht aus Kindertagen stammte oder von Vergangenheitsverletzungen herrührte und der unbewusst einherging mit einem tiefen, bis dahin latent unbefriedigten Verlangen nach Rache.
Solcher Art diffuser Gefühle hatten sich über einen langen Zeitraum hinweg, zu einem Wuteisberg, dessen zerstörerische Gewalt sich größten-teils unter der Oberfläche verbarg, aufgestaut – doch an diesem Morgen hatte sich seine Emotion nicht, wie sonst, erniedrigt und versteckt, nein:
Sie hatten sich mit explosiver Kraft ‚tödlich‘ entladen.

Ohne es zu bemerken, überfuhr er die dritte rote Ampel.
Er wunderte sich zwar darüber, dass die Polizei mit Blaulicht hinter ihm herfuhr, aber dass sie ihn verfolgte, darauf kam er nicht.
Er bog links ab.
Stocksteif saß er hinterm Steuer.
Der Mord, besser gesagt – der Totschlag – spulte sich wie ein Film vor seinem inneren Auge ab.
Er begriff sich nicht als Mörder.
Er war das typische Opfer einer Verkettung folgenschwerer Umstände.

  Hätte ihn Verena in ihrer kranken Fantasie nicht, wie so oft, gnadenlos provoziert und ihm zum x-ten Male vorgeworfen, er sei nur hinter anderen Weibern und ihrem Geld her und hätte sie nicht schon wieder damit angefangen, dass sie genau wisse, dass er sie eines Tages verlassen oder umbringen werde und hätte sie ihn nicht grob beleidigt und ab-fälliger behandelt, als einen unge-zogenen Fünfjährigen, der sich all ihre Launen gefallen lassen muß und hätte das Küchenmesser gerade in diesem Moment nicht in Reichweite auf dem Tisch gelegen, dann hätte er nicht rasend vor Wut danach gegriffen und damit auf sie eingestochen und ihr ihre krankhaften Wahnvorstell-ungen und persönlichen Be-leidigungen wieder und wieder in den Körper gedroschen.
Im Grunde genommen hatte sie ihn mit ihren nervtötenden, an den Haaren herbeigezogenen Un-terstellungen und Beleidigungen förmlich angefleht – es zu tun.
Sie hatte ihn tatsächlich soweit gebracht und er hatte sich all die Jahre zuviel gefallen lassen und hatte geglaubt, er wäre stark genug, dieses psychische Märtyrium ein Leben lang auszuhalten oder zumindest kontrollieren zu können. 
Solange er sich erinnern konnte, hatte es Streit gegeben zwischen ihnen, regelmäßig, teils mit har-ten Bandagen, aber zeugte dies nicht von Weiterentwicklung, von Temperament und davon, dass sie nicht spießbürgerlich, brav, leidenschaftslos nebeneinander herlebten, wie sie es von manch an-deren Paaren vermutet hatten oder von einigen sogar wussten, weil zufällig erfahren oder weil an Gerüchten immer etwas Wahres dran ist oder weil manche sich gar nicht erst die Mühe gemacht hatten, das Scheitern ihrer Partnerschaft zu ver-bergen.
Darauf waren sie doch immer stolz gewesen; nicht so zu sein, wie andere Paare.
Anfangs hatten sie fest daran geglaubt.
Später, als alles aus dem Ruder gelaufen war, hätte er sie verlassen müssen.
Zu seinem eigenen Schutz.
Von heute auf morgen hätte er sie verlassen müssen, aber sie waren eine gefühlte Ewigkeit zusammen, er liebte und hasste sie und sie tat ihm trotz allem leid und er sah sich in der Verant-wortung als Mensch, ihr verpflichtet (in guten wie in schlechten Zeiten) und jetzt war sie tot.

  Das Polizeiauto überholte und stoppte ihn.
Er nahm das blutverschmierte Messer, welches auf dem Beifahrersitzt lag, in die rechte Hand,
traumatisiert stieg er aus.