Von Waltraud Gräber

Es war alles so wie sonst, als er sein Büro aufschloss.  Direktor Müller stand auf der Tür in Goldbuchstaben, um die Bedeutung seiner Position hervorzuheben. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und zog die Schreibtischschublade heraus.  Da war er ja wieder, sein Ehering, den er immer vorher ausgezogen hatte und in seine Hosentasche gesteckt hatte – er musste ihm herausgefallen sein und sie hatte ihn beim hastigen Zusammenraffen ihrer Kleider versehentlich mitgenommen. Der Ring lag auf einem Zettel, worauf sie geschrieben hatte:  I` am sorry !

 

Schnell steckte er sich den Ring wieder an, als wollte er damit eine verräterische Spur beseitigen,

Musste sie es so machen?  Auf diese billige Art und Weise. Es war doch klar gewesen, dass die Sache zwischen ihnen keinen Bestand haben konnte – oder doch? Irgendwie hatte er es geahnt, dass es einmal so abrupt enden würde. I´am sorry – drei Wörter, geschrieben auf einem einfachen, karierten Zettel, herausgerissen aus einem Zettelblock. Es passte zu ihr, sie war eine einfache Person – oder wollte sie damit zeigen, dass sie nichts von ihm hielt – absolut gar nichts?

 

Kälte stieg in seinem Körper aufsteigen und sie breitete sich im ganzen Raum aus. Dieser Raum, der die größte Leidenschaft gesehen hatte, fühlte sich jetzt leer und kalt an und er fröstelte.

 

S i e hatte die Sache beendet, die s i e  angefangen hatte. Und was für eine Rolle hatte e r dabei gespielt. Er, der sonst  der Jäger war, stand nun da wie ein kleiner Junge – war verlassen worden von einer einfachen Tippse. Wenn ihn einer so sehen würde: Ihn, den  Direktor des Unternehmens, vor dem alle kuschten.

 

 Und auf einmal  empfand er sich nackt. Was war mit seinem Selbstbewusstsein, was war mit seiner Stellung, was war mit seinem Geld – es war auf einmal nicht mehr da. Verdammt, dachte er, ich wollte doch kein Gefühl. Ich wollte nur diesen Rausch, dieses Vergessen, dieses Aufgehen in einem Wahnsinn, den ich vorher nie gekannt habe. Und er dachte daran, dass er so etwas auch in der Anfangsphase seiner inzwischen schal gewordenen Ehe nie erlebt hatte.

 

Was hatte sie sich eigentlich gedacht, als sie ihn an ihrem letzten Arbeitstag beim  Verabschieden fast brutal an sich gerissen und ausgezogen hatte. Sie war nur für zwei Wochen in der Firma als Aushilfskraft für seine erkrankte Sekretärin  unter Vertrag. Nie hatten sie ein privates Wort gesprochen, alles war nüchtern und rein geschäftlich abgelaufen – nur ihre Augen waren ihm aufgefallen – sie waren wie glühende Kohlen.

 

Einige Male hatte er darüber nachgedacht, dass sie ein rassiges Weib war und wohl eine Sünde wert  wäre. Bevor er aber eine Entscheidung treffen konnte, war sie ihm zuvorgekommen.

Wie eine Wahnsinnige war sie damals über ihn hergefallen, wie Irrsinnige hatten sie sich am Boden gewälzt, zwei Ertrinkende, die nicht wussten, was sie taten – ausgeliefert der dämonischen Kraft der Leidenschaft – verbrennend in einem Feuer – unfähig der Dynamik des Treibens zu entkommen.

 

Sie hatten nicht zusammengepasst, das wusste er von Anfang an und trotzdem konnte er die Sache nicht beenden. Sie hatten dabei nie ein Wort gesprochen – vorher nicht, weil das Begehren ihnen keine Zeit dazu ließ – nachher nicht, weil das Peinliche der Situation jedes Wort im Keim erstickte.

Er  blieb  am .Boden benommen liegen, sah, wie sie hastig ihre Kleider zusammenraffte, nackt und barfuß den Raum verließ.  Ohne ein Wort zu sprechen.

 

Sie hätte das nicht schreiben müssen, hätte einfach nicht mehr kommen müssen – warum machte er sich eigentlich so viele Gedanken um eine Sache, die doch nur eine Affäre war.

Hätte das die Sache leichter gemacht für ihn, wenn sie nicht mehr gekommen wäre? Wieso war es für ihn jetzt so schwer, diese  drei Worte zu verkraften. Und plötzlich war ihm klar, dass er auf sie gewartet hätte, jeden Tag – immer um die Zeit, zu der sie jeden Tag gekommen war. Aber warum? War nicht plötzlich ein Gefühl in ihm, das vorher nicht existierte? Oder hatte er es nur nicht wahrhaben wollen?

 

Hatte sich da mit jedem Mal etwas entwickelt, das sie im Rausche ihrer Leidenschaft gar nicht wahrgenommen hatten. War da etwas unbemerkt zwischen ihnen passiert, was nicht eingeplant war?

 

Dies muss auch ihr bewusst geworden sein, nachdem sie den Ring unter ihren Sachen gefunden hatte. Die Sache mit der Leidenschaft war erlaubt, weil sie wusste, dass  diese sich mit der Zeit abnutzen, der Gewöhnung unterliegen würde und das Feuer zum Erlöschen bringen würde. Gefühle waren jedoch nicht erlaubt, weil sie sich immer weiter ausbreiten würde, fordern würden, Konsequenzen verlangen würden und letztendlich alles zerstören würden.

 

War ihr durch das Auffinden seines Eheringes erst das Schändliche ihres Treibens bewusst geworden?

 

Es war zu spät, er konnte nicht mehr zurück. Es war nicht nur ihre Leidenschaft, nach der er süchtig war – es war ihre Art, die er in ihren Begegnungen erfühlt hatte. Jetzt erst merkte er einen tiefen Schmerz in seinem Inneren, wenn er daran dachte, dass er sie nie  mehr sehen würde. „Ich muss sie finden, ich werde sie finden und ich werde sie festhalten für immer“, sagte eine Stimme in seinem Inneren.

 

Er stand auf, schloss seine Bürotür ab und fuhr nach Hause. Seiner Frau sagte er, dass er die Scheidung einreichen würde.